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       # taz.de -- Belarus erpresst EU: Lukaschenkos Rachefeldzug
       
       > Seit der belarussische Diktator Lukaschenko die Grenze zum Nachbarn für
       > Geflüchtete geöffnet hat, kommen viele nach Litauen. Das Land ist
       > überfordert.
       
   IMG Bild: Geflüchtete im litauischen Camp Pabrade, rund 40 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt
       
       Rukla/Vilnius taz | Oxana sitzt auf heißen Kohlen. Die Belarussin lebt seit
       März im Aufnahmelager im litauischen Rukla. Aus Angst vor [1][Repressionen]
       hat sie ihre Heimatstadt Grodno verlassen. Nun wartet sie auf Anerkennung
       als Geflüchtete. Dann will Oxana nach Polen – zu ihren Kindern, die dort
       studieren.
       
       Doch das könnte jetzt noch dauern. Seit Ende Juni steigt die Zahl der
       Menschen, die illegal die belarussisch-litauische Grenze überqueren,
       kontinuierlich an. Offenbar aus Rache für die EU-Sanktionen hat der
       [2][belarussische Diktator Alexander Lukaschenko] die Grenze geöffnet.
       Bisher habe Minsk Drogen und Migranten aufgehalten, damit sei es jetzt
       vorbei, hatte er sinngemäß gesagt. Am 28. Juni verkündete Minsk die
       Aufhebung eines Grenzabkommens mit der EU.
       
       Für ein kleines Land wie Litauen mit drei Millionen Einwohnern ist das eine
       große Herausforderung. Allein am 1. Juli haben Grenzschützer 150 Menschen
       aufgegriffen, mehr als in den letzten zwei Jahren insgesamt. Die Menschen
       kommen mit Flügen aus Bagdad und Istanbul nach Minsk, von dort werden sie
       mit Bussen an die litauische Grenze gebracht. Die meisten haben keine
       Dokumente, viele kommen mit kleinen Kindern.
       
       Natalja Kolegowa erzählt davon. „Da sitzen ganz kleine Kinder. Für die
       brauchen wir erst mal was zu essen und Kinderkleidung.“ Die belarussische
       Immobilienmaklerin, die schon seit über 20 Jahren in Litauen lebt, hilft
       seit vergangenem August ihren Landsleuten, die vor politischer Verfolgung
       fliehen müssen. Mittlerweile hat sie eine kleine Freiwilligenorganisation
       aufgebaut. Sie holt Leute an der Grenze ab, organisiert Unterkünfte,
       Kleidung und Lebensmittel.
       
       ## Auf Covid getestet
       
       Damit helfen sie jetzt auch allen anderen, die nach Litauen kommen.
       „Aktuell wurden etwa 1.500 Menschen aufgegriffen“, erzählt die agile
       Mittfünfzigerin. „Aber wie viele es wirklich sind, kann niemand sagen. Denn
       viele kommen unerkannt über die Grenze und reisen dann gleich weiter.“
       
       Die anderen werden gleich an der Grenze registriert, auf Covid getestet und
       dann in eines der zwei Aufnahmelager gebracht. Im Lager Pabradė werden die
       Menschen mittlerweile in Zelten untergebracht. In Rukla dienen ehemalige
       Armeegebäude als Flüchtlingsunterkünfte – Geld für den Umbau kam von der
       EU.
       
       Aktuell leben dort mehr als 300 Menschen, davon 8 aus Belarus. Die anderen
       kommen aus Irak und Syrien, aus Tschetschenien und Afghanistan. Täglich
       werden es mehr. Derzeit lebten sie zu sechst in einem Zimmer, erzählen die
       Belarussen. Aber man stelle jetzt einfach überall Betten dazu. „Fast wie im
       belarussischen Knast“, sagt einer sarkastisch. In die Gebäude dürfen
       Besucher nicht, aus Pandemiegründen. Das Gespräch findet deshalb auf einem
       benachbarten Parkplatz statt.
       
       „Ein Georgier war hier, ein Kubaner, eine tadschikische Familie – jetzt
       kommen die Afrikaner“, erzählt Oxana. Man merkt, dass sie noch nie so viel
       Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern hatte wie ausgerechnet hier in der
       Baltenrepublik. Geflüchtete aus der ehemaligen Sowjetunion sprechen
       Russisch. Mit ihnen kann sie reden. Sie erzählen, dass sie weiter wollen
       nach Deutschland.
       
       ## Nichtraucher kommen klar
       
       Litauen zahlt den Menschen 88 Euro monatlich. Davon müssen sie sich selbst
       verpflegen. Einmal im Monat bekommen sie Grundnahrungsmittel und
       Hygieneartikel. „Nichtraucher kommen klar“, so die einhellige Meinung. Mehr
       aber auch nicht.
       
       Die Neuankömmlinge aus dem Irak und Syrien werden misstrauisch beäugt. „Die
       haben schon Autos“, sagt Oxana und zeigt auf den Parkplatz. „Die wissen,
       dass sie mit ihren vielen Kindern in Deutschland viel mehr Geld bekommen.
       Die bleiben hier nicht.“
       
       10 Jul 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gaby Coldewey
       
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