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       # taz.de -- Belarus und der Krieg in der Ukraine: Die Geduld der Menschen hat ihre Grenzen
       
       > Die Entsendung eigener Truppen würde Lukaschenko endgültig zu einem
       > politischen Leichnam machen. Einige Armeeangehörige haben sich längst
       > geweigert.
       
   IMG Bild: Ein alter Mann hat das einfach für alle entschieden: Lukaschenko und Putin am 11. März 2022
       
       Noch vor nicht allzu langer Zeit nahmen die Belarussen in den sozialen
       Netzwerken die kollektive Verantwortung dafür auf sich, dass russische
       Truppen ins Land kommen konnten: „Das machen sie. Aber mir ist es
       peinlich.“
       
       Aber wer hat die Einwohner der Städte Gomel und Chojniki danach gefragt,
       [1][ob sie das Gerassel von Panzern und Kampfflugzeugen neben ihren Häusern
       hören wollen]? Ein alter Mann hat das mit seiner Einzelmeinung einfach für
       alle entschieden.
       
       Während die Menschen, die mit Antikriegsplakaten auf den Straßen
       demonstriert hatten, für 15 Tage ins Gefängnis kamen, bewegten sich zur
       gleichen Zeit russische Militärzüge mit Kampfausrüstung in Richtung Grenze.
       All diese Bewegungen werden [2][in einem Telegram-Kanal] live
       aufgezeichnet. Während der Kanal vor einer Woche noch 27.000 Abonnenten
       hatte, sind es gegenwärtig bereits 88.000.
       
       Unter den Kommentierenden sind viele Ukrainer, die sich für die
       Operativ-Informationen bedanken. In unserem Computerzeitalter kann jeder
       militärischer Kundschafter werden, und Nachrichten verbreiten sich sehr
       schnell. Genau wie Fake News.
       
       Kürzlich sagte Lukaschenko, dass zwei Tage zuvor von ukrainischem
       Staatsgebiet aus eine Rakete vom Typ Totschka-U in Richtung Belarus
       abgeschossen worden sei, die man aber habe abfangen können.
       
       „Sie liegt irgendwo in Flussnähe. Wen es interessiert – gehen Sie gerne hin
       und schauen Sie es sich an.“ Wir gingen hin und schauten. Nichts. So was
       nennt man Faktencheck. Sollte Lukaschenko nach einem Vorwand für die Armee
       suchen, in der Ukraine einzumarschieren, muss er sich was Besseres
       einfallen lassen.
       
       ## Lieber vor Gericht als tot
       
       Zum einen hat Belarus gar keine große Armee als solche. Und die, die wir
       haben, hat sich schon geweigert, zu kämpfen. Die Armeeangehörigen sagen,
       dass sie sich lieber vor ein Militärgericht stellen lassen oder ins
       Gefängnis gehen als in den Tod. Die Offiziere schreiben in Berichten, dass
       sie Angst davor haben, dass, wenn sie die Grenze überqueren, ihre Soldaten
       entweder desertieren oder die Waffen gegen sie richten würden.
       
       Zum Anderen träumt Lukaschenko davon, Belarus zur Pufferzone zu machen und
       so vom Handel zwischen dem Westen und Russland zu profitieren. Naja, das
       wird ihm natürlich nicht gelingen. Die Entsendung seiner eigenen Truppen
       wird ihn endgültig zu einem politischen Leichnam machen.
       
       Und vielleicht sogar zu Aufständen in den belarussischen Städten führen.
       Lukaschenko hat niemanden, mit dem er in den Krieg in der Ukraine ziehen
       könnte. [3][Hinter ihm steht nicht das Volk, wie es in der Ukraine hinter
       Selenski steht].
       
       ## Die Preise steigen. Die Panik machen wir bewusst
       
       Neulich habe ich Gemüse auf dem Markt gekauft und mich dabei mit der
       Verkäuferin unterhalten. Sie hat gesagt, dass sie ihren Sohn und ihren Mann
       nicht in den Krieg ziehen lässt, sondern dass sie auf die Straße gehen
       werden. Und zwar nicht mit Blumen in den Händen wie noch im Jahr 2020.
       
       Bitte, glauben Sie nicht, dass Belarussen mit Putin oder Lukaschenko
       gleichzusetzen seien. Wir sind gegen das, was die verrückten Opas da
       losgetreten haben.
       
       Kürzlich haben belarussische Partisanen nachts die Bahnstrecke
       Domanowo-Lesnaja lahmgelegt, indem sie Bahntechnik zerstörten. Die
       Militärzüge mit russischen Panzern konnten nur noch etwa 10-15 km/h fahren.
       
       Und dabei sind wir noch nicht mal richtig böse geworden. Lukaschenko
       versteht nicht, dass er einen Bürgerkrieg entfesseln könnte. Die Geduld der
       Belarussen hat ihre Grenzen.
       
       In den Geschäften von Minsk passieren jetzt auch interessante Dinge. Die
       Verkäuferin schreit, dass man sie nach den Preisen der Waren fragen muss,
       weil die in dem Laden täglich geändert werden. Im Schnitt sind die Preise
       um 30-40 Prozent gestiegen.
       
       Mein Lieblingsmineralwasser hat noch vor zwei Wochen 1,99 Rubel gekostet,
       jetzt ist es schon bei 2,75 Rubel (umgerechnet von etwa 0,55 auf 0,75 Cent;
       Anm.d. Redaktion). Und das, obwohl die Sanktionen Belarus noch gar nicht
       erreicht haben.
       
       Aber die Belarussen machen bewusst Panik. Sie kaufen jetzt einfach
       Streichhölzer, Salz, Buchweizen und Mehl. Im Geschäft neben meinem Haus gab
       es kein Sonnenblumenöl, keine Hirse, keine Haferflocken und kein Soda mehr.
       Ich habe die letzten drei Tomatenkonserven aus dem Regal genommen. Während
       ich in der Kassenschlange stand, sah ich, dass alle vor mir Alkohol in
       ihren Einkaufskörben hatten.
       
       Ich fühlte mich ein bisschen unwohl vor meinen Landleuten. Und nahm eine
       Flasche Merlot aus Chile aus dem Regal. Weil es die noch zum alten Preis
       gab, für etwa drei Euro. Und weil nicht klar ist, ob es ihn später
       überhaupt noch geben wird. Und ich werde auf jeden Fall bis zum Ende dieses
       verrückten Krieges trinken wollen.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt durch die [5][taz Panter Stiftung].
       
       21 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Belarus-und-der-Ukraine-Krieg/!5840641
   DIR [2] https://t.me/Hajun_BY
   DIR [3] /Hauptstadt-der-Ukraine-im-Krieg/!5839658
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       ## AUTOREN
       
   DIR Janka Belarus
       
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