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       # taz.de -- Bericht des Biodiversitätsrats: Einseitiger Blick auf die Vielfalt
       
       > Die Leistungen der Natur können verschieden bewertet werden. Doch der
       > Welt-Biodiversitätsrat moniert, dass die Sicht der Industrieländer
       > dominiere.
       
   IMG Bild: Lecker? Hübsch? 30 Cent? Wie bewertet man einen Pilz?
       
       Berlin taz | Die Natur verarmt, weil unsere Sicht auf sie zu einseitig ist.
       Das ist die Haupterkenntnis des neuesten Berichts des
       Welt-Biodiversitätsrats IPBES, die das wissenschaftliche Gremium am Montag
       in Bonn vorgestellt hat. Die Art, in der Natur in politischen und
       ökonomischen Entscheidungen bewertet wird, sei sowohl eine Hauptursache für
       die weltweite Krise der biologischen Vielfalt als auch eine entscheidende
       Chance, diese zu bewältigen, schreiben die 82 Autor:innen des Berichts.
       
       Für ihren Bericht über die [1][„Bewertung von Natur“] haben die Experten
       des IPBES rund 13.000 wissenschaftliche Arbeiten und andere Quellen darauf
       untersucht, wie sie Leistungen der Natur betrachten und einschätzen.
       „Werte, die nicht marktgängig sind, werden nicht beachtet“, sagt Unai
       Pascual, vom Baskischen Zentrum für Klima, einer der Co-Vorsitzenden des
       Berichts, „das ist ein starker Treiber für die Biodiversitätskrise.“
       
       So lasse sich ein Fluss unter der Fragestellung betrachten, wie viel Fische
       in ihm zu fangen seien, erklärte Mitautorin Patricia Balvanera von der
       Autonomen Universität von Mexiko – oder aus der Perspektive des Fischs, der
       ein natürliches Recht habe, in diesem Fluss zu leben, oder aus der
       Perspektive von Menschen, für die der Fluss Teil ihrer Heimat und ihrer
       Identität sei.
       
       Immer gehe es um die Frage, „wer vor Entscheidungen gehört wird und wer
       nicht – und welche Konsequenzen das hat“, sagt Pascual. Dass der
       „instrumentalisierende“ Blick der Industrienationen nicht der einzige auf
       Natur sei, müsse nicht nur in politische Entscheidungen einfließen. Es
       gehöre auch in [2][die Verhandlungen zu dem neuen Biodiversitätsabkommen],
       das Ende des Jahres verhandelt werden soll, fordern die Autoren.
       
       Schon am Freitag hatte der IPBES einen Bericht vorgestellt, der die Nutzung
       wilder Tiere und Pflanzen untersucht. „Jeder fünfte Mensch auf der Erde ist
       unmittelbar von wild lebenden Arten abhängig, sei es direkt als
       Nahrungsgrundlage oder für den Lebensunterhalt“, kommentierte Matthias
       Glaubrecht, Projektleiter am Leibniz-Institut zur Analyse des
       Biodiversitätswandels, die Forschungsarbeit. „Mehr als 10.000 Arten werden
       direkt für die menschliche Ernährung genutzt“, sagt Glaubrecht. „Rund 2,4
       Milliarden Menschen – immerhin also beinahe ein Drittel der Menschheit –
       nutzen Wälder und Bäume direkt für das zum Kochen notwendige Feuerholz.“
       
       ## Der Wert lokaler Gemeinschaften
       
       Der Bericht nennt vier Möglichkeiten, wie wilde Arten beansprucht werden:
       Jagd, Fischerei, Holzeinschlag in Wäldern und Pflanzen-, Pilze- und
       Algensammeln. Immer häufiger verlaufe das nicht nachhaltig, stellt der
       Bericht fest. Als Stressfaktoren nennt er Überfischung, Abholzung von
       Wäldern für Feuerholz oder den illegalen Handel von Wildtieren. Als
       zentrale Erkenntnis stellt er heraus, wie wichtig lokale und indigene
       Gemeinschaften in diesem Zusammenhang sind. „Um eine nachhaltige Nutzung
       von wild lebenden Tier- und Pflanzenarten zu erreichen, müssen diese in
       Entscheidungen miteinbezogen und ihr Wissen über natürliche Ressourcen
       genutzt werden“, heißt es.
       
       Und auch dabei, wie Natur zu bewerten sei, müsse der Sicht lokaler
       Gemeinschaften mehr Bedeutung beigemessen werden, fordern die
       Autor:innen und stellen nebenbei fest, dass nur 0,6 Prozent der 13.000
       untersuchten Quellen sich mit dem Thema „Macht“ befassen.
       
       12 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://zenodo.org/record/6813144
   DIR [2] /Naturschutz-scheitert-in-Nairobi/!5860971
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
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