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       # taz.de -- Berlin wählt Sonntag nochmal: In der Verfolgung
       
       > Bei der Teil-Wiederholungswahl zum Bundestag entscheidet vor allem die
       > Beteiligung über Wahlkreise, Mandate und ein klares Signal gegen die AfD.
       
   IMG Bild: Ministerin Lisa Paus (Grüne) startet in Charlottenburg-Wilmersdorf mit Rückstand auf Michael Müller (SPD) in die Wiederholungswahl
       
       Berlin taz |.Die Berliner Teilwiederholungswahl am 11. Februar muss man
       sich vorstellen wie den [1][Verfolgungswettbewerb im beliebten Fernsehsport
       Biathlon]: Die Wahlkreissieger der Bundestagswahl vom 26. September 2021
       gehen mit einem Vorsprung aus jenen Wahllokalen ins Rennen, in denen nicht
       neu gewählt wird. Und die bislang dahinter Platzierten müssen schauen, dass
       sie die Favoriten noch überholen können. Doch nur in zwei der zwölf
       Berliner Wahlkreise scheint ihr Vorsprung einholbar – weil er nicht
       übergroß war und der oder die Erste von 2021 aktuell schwächelt. Zudem
       hängt das mit dem Einholen von der Wahlbeteiligung ab: Über 75 Prozent,
       also drei von vier Wahlberechtigten, gaben 2021 berlinweit ihre Stimme ab.
       Je weniger diesmal hingehen, desto kleiner ist der Topf, aus dem sich ein
       Vorsprung ausgleichen lässt.
       
       Dass Wechsel am Sonntag überhaupt in Betracht kommen, liegt an der
       gegenüber 2021 völlig veränderten Ausgangslage: Zog die damalige
       bundesweite CDU-Talfahrt auch die Berliner Christdemokraten nach unten, so
       ist die CDU in den meisten aktuellen Umfragen mehr [2][als doppelt so stark
       wie die SPD].
       
       Die Folgen lassen sich beispielhaft in Charlottenburg-Wilmersdorf
       betrachten, einem der beiden Wahlkreise, in dem eine Veränderung noch
       möglich scheint. Hier hat 2021 Michael Müller gewonnen, Sozialdemokrat und
       früherer Regierender Bürgermeister. [3][Um rund 5.400 Stimmen lag er damals
       vor Lisa Paus] von den Grünen, rund 8.600 vor Klaus-Dieter Gröhler von der
       CDU. Noch mal abgestimmt wird nun in 42 Prozent aller Wahllokale des
       Wahlkreises. Das heißt: In den restlichen 58 Prozent bleiben die damaligen
       Ergebnisse stehen. Sie bilden, um im Biathlonvergleich zu bleiben, das
       Sprintergebnis und den Vorsprung für den Verfolgungswettbewerb.
       
       Bei den Grünen hat man nachgerechnet und geht davon aus, dass Müller am 11.
       Februar mit rund 2.700 Stimmen Vorsprung auf Paus und einigen weiteren
       hundert Stimmen mehr auf Gröhler startet. Wahlberechtigt sind in
       Charlottenburg-Wilmersdorf am kommenden Sonntag etwa 82.000 Menschen. Läge
       die Wahlbeteiligung in diesem Wahlkreis ebenso hoch wie 2021, nämlich 79
       Prozent, würden 65.000 Stimmen in den Wahlurnen landen.
       
       Verteilen die sich so [4][wie bei der in der vergangenen Woche
       veröffentlichten Umfrage] zur Berliner Landespolitik, bekäme CDU-Kandidat
       Gröhler davon 29 Prozent, Paus 17 und Müller 16. Umgemünzt in Stimmen hieße
       das: 18.800 für Gröhler, 10.300 für Müller, rund 11.000 für Paus. Für die
       Grüne wäre das zu wenig, der Vorsprung vor Gröhler aber wäre für Müller
       dahin. Der CDUler würde ihm den Wahlkreis sicher abnehmen – im Bundestag
       sitzt Müller dank Spitzenplatz auf der Landesliste trotzdem sicher.
       
       ## Auch Beliebtheit zählt
       
       Dass erneut 79 Prozent zur Wahl gehen, gilt allerdings als äußerst
       unwahrscheinlich. Macht sich nun lediglich die Hälfte davon auf den Weg ins
       Wahllokal, sieht die Sache viel enger aus: Dann nämlich bedeuten Gröhlers
       angenommene 29 Prozent – wie gesagt: rein auf Basis des Partei-Umfragewerts
       – nur noch knapp 9.400 Stimmen, Müllers 16 Prozent stünden für 5.200. In
       diesem Fall dürfte jenseits der Parteipräferenz die persönliche Beliebtheit
       entscheiden. Hierbei dürfte sich auch auswirken, dass die Grüne Paus seit
       2022 eine zwar umstrittene, aber in den Medien höchst präsente
       Bundesministerin ist.
       
       Auch in Pankow, wo sogar in vier von fünf Wahlbezirken neu gewählt wird,
       hängt eine Veränderung in erster Linie von der Wahlbeteiligung ab. 2021 lag
       die CDU-Kandidatin Manuela Anders-Granitzki mit 12,7 Prozent zwar
       [5][chancenlos hinter Wahlkreissieger Stefan Gelbhaar] von den Grünen (25,5
       Prozent) und Klaus Mindrup von der SPD (21,5 Prozent). Schon bei der
       Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus 2023 hingegen lag die CDU in Pankow
       nur noch knapp hinter den Grünen – und seither haben die Christdemokraten
       bundes- wie landesweit zugelegt, die Grünen jedoch leicht verloren.
       
       Wie ihr Parteikollege Gröhler in Charlottenburg-Wilmersdorf muss
       Anders-Granitzki aber nicht bloß vorne liegen, sondern zudem jene Stimmen
       ausgleichen, die Gelbhaar als Vorsprung aus den Wahlbezirken gebunkert hat,
       in denen nicht erneut gewählt wird. Pures Glück ist es jeweils für die
       Kandidaten, wenn das Wahlbezirke waren, in denen sie 2021
       überdurchschnittlich gut abschnitten.
       
       Die Höhe der Wahlbeteiligung hat jenseits der Auswirkungen auf den
       Wahlkreissieg noch eine weitere bedeutsame Konsequenz, auch wenn diese
       weniger sichtbar ist. Denn kommen am Sonntag weit weniger Stimmen zusammen
       als im September 2021, reduziert das die Zahl der Bundestagssitze, die
       Berlin im Verhältnis zu den anderen Bundesländern zustehen.
       
       Die werden nämlich nicht nach der gesamten Einwohnerzahl bemessen, sondern
       nach den abgegebenen Stimmen. Parteistrategen haben bereits vorgerechnet,
       dass Mandate an andere Bundesländer abzutreten sein könnten. Das würde die
       jeweils Letzten auf den Landeslisten treffen – über die die Parteien
       Abgeordnete ins Parlament schicken, wenn ihnen mehr Sitze zustehen, als sie
       Wahlkreise direkt gewonnen haben. Bei der Linken könnte das Pascal Meiser
       betreffen, bei den Grünen deren neue Landesvorsitzende Nina Stahr.
       
       Und nicht zuletzt: Nur mit einer hohen Wahlbeteiligung lässt sich [6][das
       von CDU bis Linkspartei gewünschte Zeichen gegen die AfD] setzen, bei der
       wiederum eine hohe Mobilisierung der Anhängerschaft wahrscheinlich sein
       dürfte. Unterm Strich gilt für alle Punkte: Berechnungen, Sympathie oder
       Haltung allein helfen nicht weiter – um dem gewünschten Ergebnis
       näherzukommen, muss schlicht der Wahlzettel in die Urne.
       
       7 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.sportlexikon.com/biathlon-verfolgung
   DIR [2] https://www.wahlrecht.de/umfragen/index.htm
   DIR [3] https://wahlen-berlin.de/wahlen/BU2021/AFSPRAES/ergebnisse_wahlkreis_80.html
   DIR [4] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm
   DIR [5] https://wahlen-berlin.de/wahlen/BU2021/AFSPRAES/ergebnisse_wahlkreis_76.html
   DIR [6] /Teilwiederholung-der-Bundestagswahl/!5985154
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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