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       # taz.de -- Berliner Szene vor dem Frauenkampftag: Notwendiges Räumeschaffen
       
       > Feministische Gruppen gibt es viele. Nur sind sie oft homogen. Wie
       > arbeiten Weiße, Schwarze, Queere und Behinderte zusammen? Eine Exkursion.
       
   IMG Bild: Entweder oder? Identität kennt das nicht
       
       Berlin taz | Es ist kurz vor acht Uhr – früh für Berlin-Neukölln an einem
       Samstagabend. Bald werden größere und kleinere Gruppen aus der ganzen Stadt
       die Weserstraße hochziehen. In die Kneipen, kleinen Clubs und Spätis, die
       sich nebeneinander aufreihen. Das Silverfuture füllt sich langsam. Neben
       der Bar hängt ein Schild: Ich liebe meine Vagina, Audrey Hepburn trägt auf
       dem Poster an der pinken Wand einen Bart. Die Klos des Silverfuture sind
       nicht nach Geschlecht, sondern Funktion getrennt. Eine Berliner
       Szenekneipe, könnte man sagen. Queer, links. Friederike Benda setzt sich zu
       den anderen Frauen. Sie hat eben ein Plakat im Klo aufgehängt:
       „Frauen*kampftag 2017“.
       
       Das Logo ist noch das gleiche wie bei der ersten Demo vor drei Jahren. Auch
       die hat Friederike Benda mitorganisiert. Benda und die anderen fünf Frauen
       sind auf Kneipentour für das Frauen*kampftag-Bündnis. Sie bestücken die
       Szenekneipen im Kiez mit Stickern und Plakaten.
       
       „Ich frage mich, ob es wirklich möglich ist, 100-prozentig inklusiv zu
       sein“, sagt Katrin Wagner. Die zweite Runde Getränke steht auf dem Tisch,
       Wagner und Benda diskutieren über die Zusammensetzung des Bündnisses. „Wir
       werden immer die ‚weiße Mittelschichtsdemo‘ genannt“, sagt Wagner. Sie kann
       den Vorwurf nicht verstehen: „Wenn man das so sagt, dann werden alle
       Nichtweißen in der Grünen Jugend oder bei den Jusos weiß gemacht“. – „Das
       Bündnis ist weiß dominiert“, entgegnet Benda. „So viel Selbstkritik muss
       schon sein.“
       
       Die kurdische Frauengruppe Destan etwa rief bisher gemeinsam mit dem
       Bündnis zur Demo am 8. März auf. In diesem Jahr aber machen sie ihre eigene
       Demo mit den Frauen von Women in Exile und dem International Women’s Space.
       In Kreuzberg sollen sich dann alle zur gemeinsamen Abschlusskundgebung
       treffen. Zumindest am Ende soll nach außen klar sein: Wir sind viele.
       
       ## Streitthema Prostitution
       
       Auch nach innen spielt Vielfalt durchaus eine Rolle: Junge Frauen arbeiten
       mit 70er-Jahre-Feminist_innen zusammen, die ihre Mütter oder Großmütter
       sein könnten. Das endet immer wieder in Spannungen und Streit. Mal spricht
       man aneinander vorbei, weil man sich in verschiedenen Diskursen bewegt –
       mal ist man aber auch fundamental anderer Meinung.
       
       Eines der größten Spaltungsthemen ist Prostitution: Die beiden
       Sexarbeiter_innen im Bündnis müssen sich immer wieder gegen die
       Prostitutionsgegner_innen behaupten. „Die älteren Frauen im Bündnis fordern
       oft Haltung ein“, sagt Benda. Wer Erfahrung in Parteiarbeit hat, kann sich
       oft besser durchsetzen. „Vielleicht“, heißt es irgendwann im Laufe des
       Kneipenabends, „müssen wir über Barrierefreiheit sprechen, wenn wir
       Diversität wollen.“
       
       Die Zahl politischer Gruppen in Berlin ist groß. Feminist_innen verbünden,
       beraten, vernetzen sich in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Doch die
       Gruppen selbst sind sehr homogen: Frauen mit den gleichen oder ähnlichen
       Erfahrungen und Biografien schließen sich zusammen. Kann es eine gemeinsame
       diverse Frauenbewegung überhaupt geben?
       
       Drei Tage später. Ein Gespräch über das Räumeschaffen: Peimaneh
       Yaghoobifarah hat nichts mit dem Bündnis zu tun. Auch nicht mit Parteien,
       zumindest nicht mehr. Als Schülerin in Buchholz war sie mal bei der
       Linksjugend Solid. Die Gruppe hat sich sonntags getroffen, rumgehangen. Es
       ging um Marx und Adorno. „Ich habe mich davon ziemlich eingeschüchtert
       gefühlt“, sagt Yaghoobifarah. „Jemand, der das alles nicht gelesen hat,
       konnte gar nicht mitreden. Solid und auch Antifa-Kontexte sind oft
       dominiert von weißen Typen, die keinen Raum schaffen, wo sich alle Leute
       wohlfühlen.“
       
       ## Nicht so richtig Platz
       
       Auch in der Berliner queeren Szene gibt es für Yaghoobifarah als Person of
       Color nicht so richtig Platz. Immer wieder erlebten Nichtweiße etwa in
       queeren Clubs Rassismus. „In weißen Räumen fühle ich mich angestarrt“, sagt
       Yaghoobifarah. „Meine Abwehrhaltung ist groß, einfach aufgrund meiner
       Erfahrungen.“ Als mehrfach diskriminierte Person sei es schwierig,
       unvoreingenommen auf die Leute zuzugehen.
       
       Über ihre ältere Schwester Hengameh ist sie auf das CutieBPoC-Festival
       gestoßen: Eine kleine Community von nichtweißen queeren Personen
       organisiert verschiedene Veranstaltungen, dazu einmal im Jahr ein großes
       Festival – nur für PoC. CutieBPoC steht für
       Queer_Trans*_Inter*_Black_und_People_of_Color. Yaghoobifarah ist
       mittlerweile Teil der Community, vergangenes Jahr hat sie das Festival mit
       organisiert. „Wir brauchen solche intersektionalen Räume“, sagt sie. Wer
       sich einen eigenen Raum schafft, muss sich nicht vor Diskriminierung
       fürchten.
       
       „Intersektional“ – das klingt ein bisschen sperrig, ist aber ganz einfach:
       Es geht um mehrfache Diskriminierung. „Identität kennt kein Entweder-oder“
       steht auf den Plakaten im Büro von Senami Zodehougan. Die Psychologin
       arbeitet bei LesMigraS, einem Projekt der Berliner Lesbenberatung, das
       queere PoC begleitet. „Egal ob homo, trans*, PoC – es ist hilfreich,
       Menschen zu suchen, die ähnliche Erfahrungen machen“, sagt Zodehougan. „Wir
       sind nicht zu sensibel oder zu anspruchsvoll. Die Realität ist gewaltvoll.
       Immer wieder werden uns unsere Erfahrungen abgesprochen.“
       
       In der Community tritt man aus der Vereinzelung heraus. Man erkennt: Es
       geht nicht nur mir so. Es gibt ein System, eine Geschichte, die mit meinem
       Körper zu tun hat. „Die Community ist die Keimzelle für politische
       Forderungen“, sagt Zodehougan.
       
       Deswegen braucht die Bewegung die Arbeit der Communitys. Auch Demos seien
       als Ort der Vernetzung und der Solidarität enorm wichtig, sagt Zodehougan.
       Aber: „Weiße Frauenräume machen für mich wenig Sinn.“ Auch von diesen Orten
       sei viel Gewalt ausgegangen. Vielmehr müsse eine Community ganz aktiv Raum
       schaffen für mehrfach diskriminierte Personen, damit diese nicht hinten
       runterfallen. „Weiße feministische Gruppen müssen sich fragen: Warum gibt
       es bei uns keine oder kaum Menschen mit Rassismuserfahrung“, erklärt
       Zodehougan. „Warum kommen sie nicht zu uns, oder warum bleiben sie nicht?“
       Ein solcher Prozess müsse aus den Gruppen heraus entstehen. „Das wird ihnen
       niemand abnehmen.“
       
       7 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amna Franzke
       
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