# taz.de -- Bierpinsel wird in Farbe getaucht
> WAHRZEICHEN Eine Investorin will den Steglitzer Bierpinsel mit Street-Art
> besprühen lassen. Sie nennt das „Pop-Art“. Der Architekt wettert gegen
> das Vorhaben und nennt die junge Frau „ein Schlitzohr“
VON JOHANNES GERNERT
Larissa Laternser sitzt auf einem beigen runden Lounge-Sessel im obersten
Stockwerk des Bierpinsels und sagt, dass sie natürlich nicht mit dem Wort
Bierpinsel „kommunizieren“. Beim Haus der Kulturen der Welt würden man sich
ja selbst auch nicht schwangere Auster nennen. Laternser, 28 Jahre alt,
blond, sehr entschlossen, sehr lächelnd, sagt Schlossturm statt Bierpinsel.
Dieses Wahrzeichen, mitten in der Steglitzer Schloßstraße, soll jetzt
wieder wachgeküsst werden. So kommunizieren sie das.
## Bezirk der Herzchirurgen
Unten im zweiten Stock schrauben Handwerker an den Deckenleuchten. An der
Zwischenebene rauscht der Autobahnstrom vorbei, darunter die Busse,
darunter die U-Bahn. Der Bierpinsel steht da wie ein blassroter Pilz mit
einer etwas eckigen Knolle. Ganz oben, im Turmcafé, trinkt Laternser einen
Kaffee mit laktosefreier Milch und erzählt: dass die Steglitzer gerne
vergessen, dass in ihrem Bezirk die besten Herzchirurgen der Welt arbeiten,
am Uniklinikum. Dass 40 Nobelpreisträger aus der Gegend stammen. Dass der
Schlossturm einen Verkehrsknotenpunkt mit sieben Ebenen darstellt. Dass das
Wahnsinn ist. Und dass dem Gebäude bisher niemand das gegeben hat, was es
verdient hätte.
Im Raum verteilt stehen noch einige von den alten schwarzen Stühlen und
Tischen. Hier war früher ein Ü60-Café. Im Augenblick ist es ein ehemaliges
Ü60-Café mit wenigen Lounge-Sesseln. Es soll jetzt also eine Kunstaktion
geben. Im Frühjahr wird die Fassade besprüht, von internationalen
Street-Art-Künstlern. Im zweiten Stock ist Parkett verlegt worden, die
Heizung wurde erneuert, Kabel durch den Turm gezogen, Sprenkelanlagen
installiert. Die vergangenen zehn Jahre, sagt Laternser, haben dem Turm
nicht gutgetan.
Auf der schwarzen Café-Bestuhlung saßen einmal ältere Damen mit lila
Dauerwellen und Herren mit dünnen Seitenscheiteln. Wenn sie aus dem Aufzug
stiegen, der an der Disko und dem Steakhouse vorbei nach oben fuhr, wurden
sie im Turmcafé von einem altherrenwitzelnden Ober per Handschlag oder
Umarmung begrüßt. Sie tranken nachmittags Kaffee und abends Berliner Kindl,
schauten aus den Panoramafenstern, nach Süden Richtung Zehlendorf, nach
Norden Richtung Schöneberg. Manchmal liefen nackte Saunabesucher aus dem
Fitnessstudio übers Hausdach gegenüber. Gegen Ende kam gelegentlich der
Geschäftsführer an die Tische und murmelte unter seinem Schnauzbart
hindurch, dass die Fassade viel zu undicht sei, das Ganze ein marodes
Objekt und dass das nicht lange so weitergehen könne. Irgendwann war
Schluss.
Vor vier Jahren kaufte Tita Laternser den Turm, eine Immobilieninvestorin,
wohnhaft auf Mallorca. Als ihre Tochter Larissa in Australien ihren Master
of Business Administration gemacht hatte und zurück in Berlin war, fuhr die
Mutter mit ihr in die Schloßstraße und zeigte ihr das neueste Projekt.
„Wow“, dachte Larissa Laternser. Aber auch: „Gut, dass ich meine Firma
habe. Ich muss jetzt leider zurück nach Spandau.“ Sie verkaufte damals mit
einem Freund und einigen Mitarbeitern Telefonanlagen.
## Ein Turm für die Kunst
Der Schlossturm ist dann doch zu ihrem Projekt geworden. Ihre Mutter war
mit anderen Objekten in Spanien zu beschäftigt. „Das ist eine Immobilie,
die man pflegen muss“, sagt Larissa Laternser. Da, wo sie sitzt und Kaffee
aus einem weißen Becher nippt, soll ein Kunstcafé eröffnen. Die besten
Herzchirurgen der Welt und Kollegen aus anderen Fachdisziplinen sollen im
zweiten Stock After-Hour-Partys feiern und den Raum für Präsentationen
buchen. Das Gesamtinvestment beträgt viereinhalb Millionen Euro, sagt
Laternser. Sie will Kunst und Kultur nach Steglitz holen. In Mitte gebe es
davon ohnehin genug, das quelle ja über vor Galerien. Aber in Steglitz, da
sieht sie noch Bedarf. Es ist bisher vor allem eine Idee.
Und weil sie die Leute eben nicht in ihren Kopf reinlassen könne, um ihnen
zu zeigen, wie ihre Vision aussieht, hat sie einen schnellen Film
zusammenschneiden lassen. Der Clip steht auf ihrer Internetseite und zeigt,
was die Street-Art-Sprüher aus dem Bierpinsel machen könnten. Was das dann
wiederum aus Steglitz machen würde. Es ist in diesem Video ein anderer
Bezirk, in dem die Menschen, die über die Schloßstraße flanieren, wirken
wie DJ Bobo im Technoclub Berghain. Eine irgendwie unwahrscheinliche
Vorstellung. Man muss mutig sein, sagt Larissa Laternser. Jeder Unternehmer
muss über seine Risiken nachdenken. Sie ist stellvertretende Vorsitzende im
Bundesverband der jungen Unternehmer, saß schon bei Maybrit Illner.
Was ihnen noch fehlt, ist ein Betreiber, der das dann alles übernimmt. Es
gebe Interessenten, sagt die Geschäftsfrau. Wenn sie von dem Turm spricht,
vergleicht sie ihn mit Pop-Art.
Wenn Ralf Schüler den Bierpinsel erklärt, lässt er seine Frau ein Buch
bringen, mit Kathedralen darin. Pop-Art, sagt die junge Investorin, an
Kirchen denkt der alte Architekt. Das passt nicht. Vielleicht ist das eine
Erklärung für Schülers Wut. Diese Laternser, sagt er, die sei ein
Schlitzohr. Er werde nicht zulassen, dass auf diesem historischen Bauwerk
rumgesprüht werde. Wo komme die Mutter noch mal her? Mallorca. „Na bitte
schön, da weiß man schon, was los ist.“
Über ihm schweben Holzmodelle von Flugzeugen, im Arbeitszimmer nebenan
häufen sich Papprollen mit Plänen, draußen im Flur der Charlottenburger
Wohnung hängt ein Bild vom Schlossturm und über der Küchentür ein Modell
vom Internationalen Congress Centrum. Ralf Schüler und Ursulina
Schüler-Witte haben beides entworfen. Zwei von knapp 270 Projekten. Ihr
Lebenswerk wird bald ausgestellt. Der Bierpinsel war eines ihrer ersten
Bauvorhaben. Sie kamen gerade von der Uni und sollten für den Senat eine
U-Bahn-Haltestelle gestalten, „aufgrund unserer Vorverdienste“, sagt
Schüler. Man nannte sie die U-Bahnitäter, und später die Urbanitäter. Sie
hatten sich mit ihren Entwürfen empfohlen.
## Gotische Kathedralen
Ralf Schüler wollte nicht nur unterirdisch wirken, sondern auch überirdisch
bauen. 1.000 Quadratmeter Nutzfläche auf einem Schaft von zwölf
Quadratmetern stellte er sich vor. Eine Form wie ein Baum. Eigentlich war
das an der Stelle in Steglitz nicht zulässig, aber er fand eine Lücke im
Straßenbaugesetz. Wenn die Sache von öffentlichem Belang war, würde es
gehen. Sie planten einen Behindertenaufzug ein. Da hatten sie den
öffentlichen Belang. Die ganze Schwerkraft der 1.000 Quadratmeter musste
aufgefangen werden. Schüler fielen die Kuppeln der gotischen Kathedralen
ein. Man baute Kreuzgewölbe und leitete den Druck der Last so über die
einzelnen Streben nach unten. Skelettierung der Kräfte, sagt Schüler.
Ähnlich war das beim ICC.
Der Spitzname „Raumschiff“, den manche dem Congress Centrum gegeben haben,
ist deshalb auch so verkehrt, sagt Ursulina Schüler-Witte. Gerade im Orbit
gibt es ja gar keine Schwerkraft. Nur um die geht es doch. „Völlig richtig,
Stinchen“, sagt Schüler. „Die Leute verstehen das nicht.“ Vielleicht ist
auch das ein Grund für diesen Ärger. Laternser kommuniziert, sie sinnieren.
In den Zeitungen steht, dass man das ICC am besten abreißen sollte, weil es
riesige Summen verschlingt, und dass der Bierpinsel hässlich sei, aber von
einer jungen hübschen Frau endlich wieder schön gemacht wird. Sollen sie
sich darüber freuen?
Es war nicht einfach, den Schlossturm in den Siebzigern zu bauen.
Zwischendurch sind Bauherren pleitegegangen. Als der Turm eröffnet wurde,
waren Schüler und seine Frau wohl da. Sie erinnern sich nicht mehr genau.
„Ich mag Ansammlungen von Menschen nicht“, sagt der Architekt. Er mag
Ideen. Seine erste war ein Wohnwagen mit Lautsprechern, den hat er durch
Ostberlin geschoben, von Veranstaltung zu Veranstaltung, er war da noch ein
Schüler. Ein Modell von dem Wohnwagen steht im Wohnzimmer. 1975 reisten sie
zu Farah Diba-Pahlavi, der letzten Kaiserin von Persien, um das Modell für
eine Freizeitanlage vorzustellen, sie gewannen den Wettbewerb. Sie planten
Kunststoffhäuser für BASF, gestalteten S-Bahnhöfe und U-Bahn-Haltestellen.
Urlaub haben sie selten gemacht. Sie sind wohl auch nicht besonders reich
geworden, aber darum ging es nie. Jetzt wohnen sie im Hochparterre zwischen
all den Gebäudeentwürfen, die ihr Leben gewesen sind. Sie haben eine Liste
gemacht, die mit der Planung einer Augenarztpraxis endet. Im Jahr 2007.
Einige Monate später kam Tita Laternser zu Besuch und dann ihre Tochter.
Sie waren sehr freundlich und Schüler hatte den Eindruck, dass man sich
geeinigt habe, das am Bierpinsel von außen alles so bleibt, wie es ist,
nämlich rot. Im Oktober 2009 las er in der Zeitung von den Sprüh-Plänen. Am
selben Tag setzte er einen Brief auf. Betreff: „Bruch der mündlichen
Vereinbarung zwischen Frau Larissa Laternser und Frau Tita Laternser sowie
den Architekten Ralf Schüler und Dipl. Ing. Ursulina Schüler-Witte.“ Sie
würden „energischen Einspruch“ erheben gegen die „Verschandelung des
künstlerisch geprägten, international bekannten Bauwerks mit seiner (etwas
verblichenen) originalen Farbgebung“. Die Fassade sei aus Asbestzement,
prinzipiell ungefährlich, müsse aber richtig behandelt werden. Die Mittel,
mit denen die Sprühfarbe abgelöst werden soll, würden den Turm in „große
Gefahr“ setzen, sagt Schüler. „Das ist ein Riesenbetrug an der
Öffentlichkeit, dazu ein jämmerlicher.“
Larissa Laternser sagt, dass sie den Brief nie bekommen hat und dass sie
das alles sehr überrascht. Sie hätten sich damals so gut verstanden. Sie
telefoniert dann mit Schüler und versichert ihm, dass sie den Bierpinsel
nicht dauerhaft verändern will, nur für ein Jahr, und dass sie ihn so
liebt, wie er ist – in Rot. Sie bietet Schüler an, das alles noch einmal in
Ruhe zu erklären. Laternser sagt, dass sie hofft, dass Schüler bald wieder
hinter allem steht: „Es wäre doch schade, wenn ausgerechnet der Schöpfer
des Pop-Art-Gebäudes dagegen ist, das das Bauwerk wieder bewundert wird.“
Sie sagt, dass sie am 15. Mai gern mit ihm die Einweihung des Schlossturms
feiern würde.
Aber Schüler mag ja keine Menschenansammlungen.
16 Mar 2010
## AUTOREN
DIR JOHANNES GERNERT
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