URI: 
       # taz.de -- Bierstadt München lebt: „Heute läuft es aber wieder gut“
       
       > Eine neue Brauerei mischt den Biermarkt auf. Giesinger, der Parvenü in
       > der Szene, darf sich demnächst offiziell als „Münchner Brauerei“
       > bezeichnen.
       
   IMG Bild: Giesinger darf künftig auch auf der Wiesn angeboten werden
       
       Was wäre München nur ohne Giesing? Der FC Bayern ist in dem Stadtteil zu
       Hause und noch viel mehr der TSV 1860 München. Franz Beckenbauer ist als
       Giesinger Bub auf die Welt gekommen. Die Isar streift das Viertel, das
       unten am Fluss beinahe malerisch aussieht. Dort, wo die meisten Giesinger
       leben, ist es oft nicht so schön. Bevor es in München überall teuer
       geworden ist, galt Giesing als Glasscherbenviertel. Ihr Helles haben die
       Giesinger in kleinen Schankwirtschaften ohne Speisekarte getrunken.
       
       Derer gibt es bis heute etliche. In der Fastenzeit stolpern Münchner jeder
       Art hinunter aus Giesing Richtung Innenstadt. Das Starkbier, das Paulaner
       vor Ostern am Nockherberg ausschenkt, geht direkt in die Beine, heißt es.
       Wenn es Frühling wird, fläzen sich viele Münchner unten an der Isar auf die
       Auenwiesen. An einem Kiosk an der Reichenbachbrücke holen sie sich ihr
       Helles. In einer langen Schlange reihen sich die Sonnenfrischler ein. Die
       [1][Bierauswahl] mag es ihnen angetan haben.
       
       Nicht wenige ziehen mit einer Flasche „Untergiesinger Erhellung“ in der
       Hand über die Brücke zurück an ihren Sonnenplatz. Auf den ersten Schluck
       folgt mindestens ein weiterer. Vielleicht noch mehr, denn das Bier ist
       süffig, wie es sich für ein Helles aus München gehört. „Heute läuft es aber
       wieder gut“, sagen Münchner, wenn es ihnen schmeckt.
       
       Nach dem Absetzen der Flasche mag so mancher staunen. Mit einer herben
       Note, wie man sie in München selten findet, verabschiedet sich das Bier in
       die Speiseröhre. In dem Moment ist zu spüren, dass das Gebräu etwas
       Besonderes ist. Ein Blick aufs Etikett zeigt, wo das Gebräu herkommt. Die
       Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche mit ihrem eindrucksvollen Turm ist da
       abgebildet. Sie ist Wahrzeichen von Giesing und längst auch das vom
       Giesinger Bräu.
       
       Gegenüber der Kirche hat sich eine Brauerei angesiedelt, die man getrost
       als tapfer bezeichnen kann. Sie hat sich aufgemacht, eine Nische zu finden
       im von sechs Großbrauereien beherrschten Münchner Biermarkt. Der ist auch
       deshalb für Neueinsteiger schwierig, weil die meisten Wirtshäuser im Besitz
       dieser Brauereien sind, sodass die dafür sorgen können, dass nichts anderes
       ausgeschenkt wird als ihr eigenes Gesöff. Auch deshalb ist das Bräustüberl
       gegenüber der Kirche schon fast eine Münchner Sehenswürdigkeit.
       
       ## Und eins für den schnellen Rausch
       
       Zum Schweinsbraten mit Knödeln und Blaukraut für 12,90 Euro kann man die
       Bierkarte kennenlernen. Ein Weißbier, das nicht so seifig über den Gaumen
       läuft wie das vieler anderer Brauereien, ein Dunkles, das nicht wie eine
       Süßigkeit schmeckt und doch schön malzig ist, und für den schnellen Rausch
       für zwischendurch einen zuckersüßen Vierfachbock mit dem schönen Namen
       Sternhagel.
       
       Seit fünf Jahren erst gibt es diesen Ort, an dem gebraut und getrunken
       wird. Steffen Marx ist der Chef. Er hat 2006 in einer Doppelgarage
       angefangen, zusammen mit einem Braumeister Bier zu brauen. Schnell wurde
       die Brauanlage zu klein, und so ist der Bräu hinaufgezogen auf den
       Giesinger Berg. 12.000 Hektoliter können da gebraut werden. Viel zu wenig
       für die immer noch steigende Nachfrage.
       
       Im Münchner Norden wird bis Ende des Jahres eine nagelneue Abfüllanlage
       nebst Sudhaus errichtet. Und weil der Giesinger Bräu nun endlich die
       Genehmigung hat, einen Grundwasserbrunnen zu bauen, darf sich der Parvenü
       der Bierszene in der Landeshauptstadt demnächst hochoffiziell als „Münchner
       Brauerei“ bezeichnen. So sagen es die Regeln. Nur als eine solche Münchner
       Brauerei dürften die Giesinger dereinst auch auf dem [2][Oktoberfest]
       ausschenken. Das wollen sie.
       
       Die Münchner Großbrauereien, die über all ihrem milliardenschweren
       Immobilienbesitz um ein Haar vergessen hätten, sich um den Geschmack ihres
       Biers zu kümmern, wachen langsam auf und präsentieren ihrerseits trübe
       Kellerbiere und Weißbiersorten, die sie früher nicht im Programm hatten.
       
       Die tot geglaubte Bierstadt München lebt wieder. Darauf ein Märzen vom
       Giesinger! Das ist mit seinem malzigen Aroma zum Genuss in großen Mengen
       durchaus geeignet. Also, man sieht sich auf der Wiesn!
       
       5 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wie-es-mit-deutscher-Braukunst-weitergeht/!5183195
   DIR [2] /Die-Wahrheit/!5627479
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
   DIR München
   DIR Brauerei
   DIR Oktoberfest
   DIR Bier
   DIR Getränke
   DIR Bayern
   DIR Bier
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Fernsehfilm
   DIR Oktoberfest
   DIR Sommer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Paulaner gewinnt im Design-Streit: Der Spezi-Hegemon
       
       Paulaner darf die Farbwellen auf seiner Spezi ganz für sich behalten. Das
       Landgericht München urteilt erneut zugunsten der Münchner Brauerei.
       
   DIR Derblecken am Nockherberg: Dem Vater des Vaterlands
       
       Das anbiedernde Kabarett auf dem Münchner Nockherberg ist ein trauriges
       Beispiel bayerischer Volkskultur. Dagegen hilft nur Starkbier.
       
   DIR Münchener Industriellenfamilie: Gut, besser, Beton
       
       Kaum eine andere Industriellenfamilie hat das moderne München so geprägt
       wie die Schörghubers. Ein neues Buch erzählt nun die Saga des Clans.
       
   DIR Oktoberfest wegen Corona abgesagt: Auszapft is!
       
       Das Oktoberfest fällt heuer wegen der Pandemie aus. Einnahmen in
       Milliardenhöhe dürften wegbrechen. Auch emotional wiegt die Absage schwer.
       
   DIR Fernsehfilm-Zweiteiler „Bier Royal“: Mit Bier wird vieles leichter
       
       In „Bier Royal“ streitet sich eine Familie um eine traditionsreiche
       Brauerei. Es war höchste Zeit für einen Mehrteiler über München und Bier.
       
   DIR Oktoberfest startet: Menschenmassen und Höchstpreise
       
       Nun beginnt das Oktoberfest in München. Bayerische Kultur oder
       Herbstvergnügen findet sich dort kaum. Muss man nicht hin.
       
   DIR Kolumne „Fast Italien“: Bier hilft bei Summertime Sadness
       
       Umtata, umtata, tschingdarassa. Nach vier Maß ist alle Melancholie
       ertränkt. München ist derweil wie leergefegt, aber gewählt wird ja erst im
       Herbst.