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       # taz.de -- Bilanz deutscher Leichtathletik: Keine einzige Medaille
       
       > So erfolglos war die deutsche Leichtathletik bei einer Weltmeisterschaft
       > noch nie. Der Verband sendet widersprüchliche Signale.
       
   IMG Bild: Bild des Jammers: Auch Medaillenaspirant Julian Weber geht im Speerwurf leer aus
       
       Manchmal tun sich bemerkenswerte Dinge im Sport: War das Medaillenzählen in
       die DNA der Sportfunktionäre und regierungsamtlichen Sportverwalter
       eingeschrieben, sichteten sie an Großveranstaltungen den Medaillenspiegel
       mit manischer Akribie, so soll nun, vor allem in der deutschen
       Leichtathletik, der Grundsatz des irgendwie erweiterten Erfolgs gelten.
       
       Wichtig werden Plätze unter den ersten acht. In Ermangelung handfesten
       Edelmetalls werden persönliche Bestmarken und Jahresbestleistungen
       hervorgehoben nach einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft, die erstmals
       medaillenlos war für eine deutsche Mannschaft. Athleten aus 46 Nationen
       haben Medaillen gewonnen, das 75 Sportlerinnen und Sportler starke [1][Team
       des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV)] keine einzige.
       
       Dreizehn solcher Top-8-Platzierungen gab es in Budapest und damit fünf mehr
       als bei den Welttitelkämpfen in Eugene, USA, vor Jahresfrist. Athleten wie
       der Geher Christopher Linke oder die Hindernisläuferin Olivia Gürth haben
       ihren Job gut gemacht, andere wie die hoch gehandelten Medaillenkandidaten
       Julian Weber (Speerwurf) oder [2][Leo Neugebauer (Zehnkampf)] blieben aber
       wie so viele Mitstreiter unter den Erwartungen.
       
       Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Deutsche Leichtathletik-Verband
       (DLV) in den letztgenannten Disziplinen mit Plaketten gerechnet hatte – und
       vielleicht der einen oder anderen Überraschung. Aber da passierte nichts.
       Die Deutschen rannten nicht nur hinterher, was gewissermaßen
       Gewohnheitsrecht ist, nein, in der eigentlich urteutonischen Schwerathletik
       (Kugel, Diskus, Hammer) ging auch nix. Gut, ein Star, Malaika Mihambo
       (Weitsprung), musste verletzt passen. Der Solitär fehlt – und die Deutschen
       kämpfen nur noch um die Plätze fünf, sechs und sieben? Ist das der
       Anspruch?
       
       ## Prinzip Hoffnung
       
       Leichtathletik ist olympische Kernsportart. In Paris 2024 wird erneut
       abgerechnet, und da die WM in Ungarn nur Durchgangsstation war im
       olympischen Steigerungslauf der Athleten, muss man noch Ärgeres für die
       Zukunft befürchten. Das Ziel der deutschen DLV-Funktionäre, schon im Jahr
       2028 wieder Weltspitze zu sein, wirkt lächerlich ob seines utopischen
       Anstrichs.
       
       Ein Strukturwandel braucht Zeit. Das Geld fließt auch erst verlässlich,
       wenn das Sport-Management nicht nur Potemkin’sche Dörfer baut. Unklar
       bleibt, wo der DLV hinwill. Soll es der Leistungssport in der zweiten und
       dritten Klasse sein – oder will man Weltmeister und Olympiasiegerinnen
       formen?
       
       [3][Nun sprechen die DLV-Verantwortlichen vom „Worst Case“] und verlangen
       Milliarden von der Politik, also eigentlich vom Steuerzahler. Außerdem
       glauben sie, eine deutsche Olympiabewerbung könnte die Malaise beenden. Mit
       der Hoffnung ist das aber so eine Sache. Und im Spitzenbereich werden immer
       bessere Leistungen gezeigt. Die Deutschen sind derweil auf einem Nebengleis
       unterwegs; sie rätseln, lamentieren, und sie stellen dreiste Forderungen.
       
       ## Nicht den Anspruch verlieren
       
       Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) war einst eine
       Kugelstoßerin mit Leistungsanspruch; noch immer hält sie den
       Kugelstoßrekord ihres Bundeslandes. Sie sagt: „Wir dürfen nicht den
       Anspruch verlieren, auch bei Weltmeisterschaften Medaillen in größerem
       Umfang gewinnen zu können. Darauf muss hingearbeitet werden. Am Ende müssen
       wir anspruchsvoll bleiben.“ Genau darum geht es: Welchen Ansprüchen folgt
       man? Den tradierten oder anderen?
       
       Eine Abkehr von der Medaillenjagd wäre alles andere als schlimm. Wenn ein
       WM-Platz zwölf ohne Selbstkasteiung und in einem humanen Umfeld möglich ist
       – warum nicht? Der DLV muss sich freilich entscheiden, hü oder hott? Er
       kann der Spitze (erfolglos) hinterherhecheln oder das Projekt „Mutig
       mitmachen“ offensiver kommunizieren. Aktuell eiert man nur herum.
       
       28 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.leichtathletik.de/verband/
   DIR [2] https://www.bwleichtathletik.de/home/news/detail/news/leo-neugebauer-ich-schau-mal-wie-es-weitergeht-und-lasse-mich-ueberraschen
   DIR [3] https://www.sportschau.de/leichtathletik/wm/leichtathletik-wm-budapest-bilanz-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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