URI: 
       # taz.de -- Biografie über James Brown: Schwarz und stolz, schwarz zu sein
       
       > James McBride erklärt in „Black and proud“ die faszinierenden
       > Widersprüche im Leben des großen US-Soulsängers „Mr. Dynamite“.
       
   IMG Bild: James Brown 2002 in der Schweiz. Die Frisur sitzt perfekt wie immer
       
       „Godfather Of Soul“, „Hardest Working Man in Showbiz“, „Mr.Dynamite“. Kaum
       ein Popstar trägt so viele Ehrennamen wie der 2006 verstorbene Sänger James
       Brown. Für James McBride ist er „die wohl am meisten missverstandene und
       falsch dargestellte afroamerikanische Persönlichkeit der letzten
       dreihundert Jahre.“ Um das zu ändern hat McBride, preisgekrönter
       afroamerikanischer Autor, 1957 in Brooklyn geboren, eine Biografie über den
       Jahrhundertmusiker geschrieben: „Black and proud – auf der Suche nach James
       Brown und der Seele Amerikas.“
       
       Der Autor geht auf Spurensuche, vor allem im rückständigen Süden der USA.
       Er spricht mit Wegbegleitern, Verwandten, Musikern, und Ex-Frauen des
       Soulsängers. So entsteht das Puzzle eines außergewöhnlichen Lebens. „James
       Brown ist schwer zu fassen“, sagt McBride im Interview, und doch ist er
       vielen Schwarzen so seltsam vertraut. „Es gibt niemanden, der
       afroamerikanisches Leben mehr symbolisiert als er. Er repräsentierte unsere
       Freiheit, er war unser geliebter Onkel, der an Weihnachten vorbeikam, seine
       Vorderzähne rausnahm und sich besoffen hat. Und der ganzen Familie peinlich
       war. Aber man wusste, er liebt uns und wir liebten ihn. Er war für
       Afroamerikaner nicht nur ein Star, er gehörte zur Familie.“
       
       Dabei wächst Brown selbst ohne Familie auf, in den dreißiger Jahren im
       tiefen ländlichen Süden der USA, bitterarm, im Zeichen der Rassentrennung,
       der lange Schatten der Sklaverei ist allgegenwärtig. Die Schule kennt er
       nur von außen, er schlägt sich als Boxer durch, mit 16 landet er im Knast,
       wegen Raubes.
       
       Seine Rettung ist die Musik. Für den ungebildeten Landjungen ist sie ein
       Vehikel der Selbstermächtigung, „Soul Power“ heißt einer seiner größten
       Songs. Wie der Self Made Man aus dem Bilderbuch des amerikanischen Traums,
       oder genauer: des Black Capitalism, zieht sich Brown selbst aus dem Dreck.
       Der Hardest Working Man arbeitet hart und verlangt das auch von seinen
       Musikern. Seine Band führt er wie ein Despot. Geld regelt die Disziplin: 50
       Dollar Strafe für ungeputzte Schuhe und zu spät kommen, für falsche
       Garderobe und verpasste Einsätze. „Weiße haben ihn nie verstanden“, sagt
       McBride. „Für sie war er einfach jemand, der gesungen und getanzt hat. Sie
       haben nicht gesehen, wie kompliziert sein Leben war und wie schwer er sich
       damit tat.“
       
       ## Bedeutsam für die Bürgerrechtsbewegung
       
       Vielen liberalen Weißen gibt James Brown Rätsel auf. “Say it loud, I´m
       black I´m proud“, singt er 1968, die im besten Sinne unverschämte Hymne auf
       den schwarzen Stolz, die Blaupause afroamerikanischer Emanzipation, deren
       Attitüde sich Generationen von RapperInnen zu eigen machen, von ihrem Funk
       ganz zu schweigen. Aber ist Brown deswegen ein Schwarzer Aktivist in den
       turbulenten Tagen der Riots? „Er hatte enorme Bedeutung für die
       Bürgerrechtsbewegung“, erklärt McBride. „Als Martin Luther King 1968
       ermordet wurde, sollte James Brown ein Konzert in Boston geben. Die
       Veranstalter wollten es absagen, aus Angst vor Ausschreitungen, aber James
       Brown war dagegen. Nicht nur, dass er das Konzert gespielt hat, es wurde
       sogar live im Fernsehen übertragen, eine gute Idee, ansonsten hätte Boston
       gebrannt.“
       
       Ausgerechnet der Schöpfer von „Black and Proud“ beruhigt seine schwarzen
       Landsleute und verhindert gewaltsame Aufstände? Einer von vielen
       Widersprüchen einer widersprüchlichen Figur.
       
       Und noch einer: ausgerechnet „Black and Proud“ beschert James Brown einen
       Karriereknick. Bis dahin hat er eine gemischte Fan-Gemeinde, Schwarze und
       Weiße, nach „Black and Proud“ lassen ihn die weißen Radiostationen fallen.
       1972 besucht Brown das Weiße Haus. Eingeladen wird er von Richard Nixon.
       Der gerissene republikanische Präsident, der später über Watergate
       stolpert, ist kein Freund des Schwarzen Amerika. McBride kontert Zweifel an
       Browns Haltung: „Nur weil jemand ein großer Künstler ist, heißt das nicht,
       dass er was von Politik versteht. Der Präsident wollte James Brown treffen,
       der Präsident hieß zufälligerweise Nixon. Also ging er ins Weiße Haus,
       seine schwarzen Fans waren wütend, das linksliberale weiße Publikum
       entsetzt.“ Er wolle „gegen den Strich schreiben, gegen den liberalen
       Konsens des Nordens“, verkündet McBride und hat Spass daran, die Safe
       Spaces der vermeintlich gesicherten Erkenntnisse zu verlassen, die seit
       Trump nicht mehr safe sind, das Buch entstand vor der Wahl.
       
       McBride schreibt gegen den Strich, ohne allzu aufdringliches Kokettieren
       mit Anti P.C.-Gratismut, eine Stärke seines Buches. Neben den Schatten der
       Sklaverei kommen auch die tiefen Gräben zwischen Norden und Süden immer
       wieder zur Sprache, 150 Jahre nach der Kapitulation der Südstaaten im
       Sezessionskrieg. „Die Leute aus dem Süden haben ihren Stolz, man will sich
       nicht anmerken lassen, dass man verletzt ist, keine Schwäche zeigen – das
       ist typisch James Brown. Ein Mann aus dem Süden.“ McBride kommt ins
       Schwärmen, hart am Sozialkitsch, wenn er als Intellektueller aus dem Norden
       die „Mentalität des Südens“ anpreist.
       
       Er beschreibt eine archaische Gesellschaft, gewalttätig, primitiv, offen
       rassistisch, aber: die Southerner sind weniger verlogen und herablassend
       als die aus dem Norden. Die Northerner tragen den liberalen Konsens vor
       sich her, dazu das Gefühl der moralischen Überlegenheit, schließlich haben
       sie die Sklaven befreit – auch wenn die Realität komplizierter war, wie
       etwa Colson Whiteheads dieser Tage erschienenem Roman „Underground
       Railroad“ zu entnehmen ist. Die Spätfolgen dieser Geschichte drängen immer
       wieder an die Oberfläche und manchmal wirkt es, als wollte James McBride
       den unverstandenen Süden gegen den hochnäsigen Norden verteidigen. „Ich
       verteidige den Süden nicht, aber ich glaube, der Norden versteht den Süden
       nicht. Deswegen tut mir der Süden nicht leid, schließlich ist es der Teil
       von Amerika, der Schwarze am meisten unterdrückt. Und es ist der Teil, der
       unseren gegenwärtigen Präsidenten unterstützt.“
       
       ## Al Sharpton for President
       
       Auch Reverend Al Sharpton wollte mal Präsident werden und er hätte einen
       mindestens so extravaganten, wenn auch vielleicht weniger gefährlichen
       POTUS abgegeben. Daran erinnert McBride in einem hinreißenden Kapitel über
       das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen James Brown und Al Sharpton. Unter all
       den schillernden Black Leaders der letzten 50 Jahre ist Sharpton der
       widersprüchlichste. Der Rev diniert im Grand Havanna Room Cigar Club, Ecke
       53. Straße und Fifth Avenue, der Trump Tower ist um die Ecke. Er wiegt an
       die 70 Kilo weniger als zu seinen Anfängen, trägt einen schwarzen
       Mohairmantel und wird von den weißen Anzugmännern, die diesen Club
       dominieren, argwöhnisch betrachtet.
       
       „Vor fünfundzwanzig Jahren wären genau diese Männer vor ihm zurückgewichen,
       als hätten sie einen doppelköpfigen Godzilla vor sich. Damals, als er noch
       Jogging-Outfits trug, Turnschuhe und goldene Medaillons, als er New York
       eins auf die Ohren gab, indem er der Stadt den Schleier des nördlichen
       Liberalismus herunterzog und ihren institutionalisierten Rassismus zum
       Vorschein kommen ließ, da haben sie ihn gehasst. Einer der Witze, die
       damals die Runde machten, ging so: `Wenn du mit Hitler, Saddam Hussein und
       Al Sharpton in einem Raum bist, hast aber nur zwei Kugeln, wem verpasst du
       dann eine? Al Sharpton. Und zwar alle beide.´“
       
       Sharpton sei einer der mächtigsten Schwarzen Männer Amerikas, schreibt
       McBride. Und eine Schöpfung James Browns. Allerdings passt das
       Erscheinungsbild von Sharptons Macht so wenig zur gängigen Ikonografie von
       Black Power, wie Browns erratisches Benehmen dem Anforderungsprofil eines
       anständigen Black Leaders genügt. Sharpton performt Bling Bling avant la
       lettre, die Wettbewerbslogik des Kapitalismus hat er verinnerlicht wie
       einst der Große Bellheim: Ich scheiss Dich zu mit meinem Geld! Black &
       Proud sein heißt nicht, um Almosen zu bitten, sondern die Weißen schlagen,
       in den Charts, auf dem Markt.
       
       Diese Lektion hat der Reverend von James Brown gelernt. Von dem wiederum
       hat sharp dressed Sharpton die Pompadour-Frisur übernommen. Jene
       gigantische Fönwelle, die erst nach drei Stunden unter der Trockenhaube
       richtig sitzt, wie McBride nicht müde wird, zu schildern. Nach jedem
       Konzert verschwindet J.B. unter der Trockenhaube, um sein störrisches Haar
       in Form zu bringen, zudem schützt sie vor zudringlichen Gesprächspartnern.
       Mit dem Afro als Symbol des seine Ketten sprengenden African American kann
       sich Brown nie recht anfreunden.
       
       Seine Pompadour-Frisur sagt: schaut her, Ihr Weißen, so einen prachtvollen
       Kopfputz könnt Ihr Euch gar nicht leisten, und wenn doch, dann seht Ihr
       damit aus wie Donald Trump. Verstanden hat das jener mutmaßlich weiße
       Polizeifotograf, der den alten James Brown nach einem seiner
       haarsträubenden Ausraster, deren Opfer oftmals Frauen waren, fotografiert
       hat. Ohne die Pompadour-Perücke der späten Jahre, mit krausem, in alle
       Richtungen abstehendem Resthaar. Unter den vielen Demütigungen, die James
       Brown ertragen mußte, dürfte dieses Foto eine ganz besondere sein.
       
       24 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Walter
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Bürgerrechtsbewegung
   DIR Funk
   DIR Britpop
   DIR Chicago
   DIR New Orleans
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Autobiografie von Jarvis Cocker: Eine blaue Papp-Handtasche
       
       Der englische Musiker Jarvis Cockers hat eine Autobiografie geschrieben.
       Darin fungiert Pop als Welterklärungsmaschine, auch für Thatchers
       Handtasche.
       
   DIR Album von LeRoy Hutsons Soulsongs: Der sweeteste Soulbrother
       
       In den USA viel gesampelt, in England ein Held des Northern-Soul,
       hierzulande unbekannt: LeRoy Hutson veröffentlicht „Anthology: 1972-1984“.
       
   DIR Soul- und Funkalben aus New Orleans: Lieblingssongs und Voodoozauber
       
       Von dieser Stadt aus wurde die Musikwelt verändert: Neues und Vergriffenes
       von Allen Toussaint, Betty Harris und dem Funk aus New Orleans.