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       # taz.de -- Borussia Dortmund: Der zweite Leuchtturm
       
       > Der BVB äußert zum Start der Männer-Bundesliga keine Meisterambitionen
       > mehr. Wieder hat man große Talente, aber es herrscht auch Hilflosigkeit.
       
   IMG Bild: Jude Bellingham ist eine große Hoffnung. Und bald schon Verkaufsobjekt?
       
       Ein etwas ratloses „Pffbrrr“ bläst Lucien Favre hervor, als er am
       Donnerstag gefragt wird, wie es denn vor der neuen Saison bestellt sei um
       seine Ambitionen auf den Meistertitel. Der Umgang des BVB mit diesem Thema
       ist ein fester Bestandteil der Dortmunder Fußballdebatten, seit Jürgen
       Klopp sich vor einem Jahrzehnt aufmachte, diesen Klub zum „zweiten
       Leuchtturm“ des nationalen Fußballs zu machen, wie sie hier gerne sagen.
       
       Nun soll Trainer Farve also sagen, ob Borussia Dortmund einen neuen Angriff
       auf die Unantastbaren aus München proklamieren will, sein französisch
       eingefärbtes Deutsch taumelt durch grammatikalische Sumpfgebiete. „Weiter,
       weiter wird für mich weiter so. Unser Bestes machen, eine sehr, sehr gute
       Saison machen. Und weiter Spiel für Spiel“. Und als jemand nachbohrt: Will
       der BVB Meister werden? „Darüber spreche ich nicht“, sagt der Trainer.
       
       Kurz nach dem Ende der vorigen Saison saß der Trainer mit dem so genannten
       „Inner Circle“ des Revierklubs zusammen, mit Geschäftsführer Hans-Joachim
       Watzke, Sportdirektor Michael Zorc und Sebastian Kehl, dem Leiter der
       Lizenzspielerabteilung. Es wurde zurückgeblickt und vorausgeschaut, ein
       Ergebnis der Analyse: Fürs neue Spieljahr wird kein offizielles Ziel mehr
       für die Bundesliga veröffentlicht. „Nach den [1][Erfahrungen der letzten
       Saison] macht das keinen Sinn“, sagt Zorc. 2019 hatte Watzke angekündigt,
       der BVB würde „alles versuchen, um Meister zu werden“, was als Kampfansage
       an den FC Bayern begriffen wurde und wohl auch so gemeint war.
       
       Allerdings sprachen oder schrieben nach jeder Niederlage irgendwelche
       Experten süffisant vom „selbsternannten Meisterschaftskandidaten“, was im
       Subtext nichts anderes hieß als: Die haben ihr Maul zu weit aufgerissen.
       „Dieses Spielchen – um ehrlich zu sein – brauchen wir nicht mehr“, erklärt
       Zorc nun. Der öffentliche Umgang mit den Ankündigungen des Sommers 2019
       habe dazu geführt, „dass wir das Gefühl haben, dass wir getrieben werden
       durch Nennung des Saisonzieles“.
       
       ## Hilflosigkeit gegenüber Münchner Übermacht
       
       In den nächsten Monaten wollen sie nur noch vom eigenen Ehrgeiz getrieben
       werden, wobei das Titelziel ohnehin längst zum Wesen dieses Klubs gehört.
       In der jüngeren Vergangenheit ist jedoch auch ein Gefühl der Hilflosigkeit
       gegenüber der Münchner Übermacht ein prägenderer Bestandteil der Dortmunder
       Identität geworden. Ein Gefühl, das viel mit dem FC Bayern zu tun hat, in
       das aber auch ein Scheitern an den eigenen Problemen und Unzulänglichkeiten
       hineinspielt. In den jüngsten Spieljahren gab es jeweils Phasen der
       Schwäche bei den Münchnern, die die Dortmunder ungenutzt ließen. Nun
       starten sie einen neuen Versuch, mit einer Mannschaft, die im Kern
       zusammengeblieben und um einige Erfahrungen reicher geworden ist.
       
       Mit Achraf Hakimi hat nur ein prägender Spieler den Kader verlassen,
       während der Transferspezialist Zorc mal wieder sehr interessante Neuzugänge
       vorstellen konnte. So soll der Belgier Thomas Meunier von Paris St. Germain
       soll das mitunter etwas labile Defensivkonstrukt mit seiner Erfahrung
       stabilisieren. Mit dem 18 Jahre alten Reinier wurde außerdem ein
       interessantes Talent von Real Madrid ausgeliehen. Das aufregendste neue
       Gesicht ist aber Jude Bellingham, der in den vergangenen Wochen einen
       [2][spektakulären Eindruck hinterließ].
       
       ## Wie von einem übermütigen Draufgänger gesteuert
       
       Neben dem supergelassenen, von einem zuverlässigen Diesel-Aggregat
       angetriebenen Axel Witsel im defensiven Mittelfeld wirkte der 17 Jahre
       Engländer wie ein von einem übermütigen Draufgänger gesteuerter
       Geländewagen, der sich in jedes Terrain hineinwagt. Dynamisch, mutig,
       extrem motiviert, torgefährlich und fast allgegenwärtig auf dem Platz.
       Favre schwärmt von der „Beschleunigung“, mit der Bellingham das Team
       bereichere, verkündet zufrieden, dass der Mittelfeldspieler „auch defensiv
       sehr gut“ spielen könne und erklärt, als müsse er selbst staunen: „Er ist
       noch nicht 18, er ist nur 17, das ist schon etwas.“
       
       Sollte Bellingham sich tatschlich im Team etablieren, dann wäre nicht nur
       die Offensive mit lauter Kerlen besetzt, von denen – abgesehen von
       Routinier Marco Reus – kaum einer älter ist als 20: der unglaubliche
       Torjäger Erling Haaland, Jadon Sancho, der in Dortmund bleibt, weil niemand
       die dreistellige Millionen Summe zahlen wollte, die der BVB gerne mit dem
       Engländer verdienen will, Giovanni Reyna oder Reinier. Nach seinem 16.
       Geburtstag im November ist auch der [3][berühmteste Jugendspieler
       Deutschlands] spielberechtigt, Youssoufa Moukoko.
       
       ## Missgeschicke junger Profis
       
       Im Angriff geht das, Fehler die ganz vorne aus einem Mangel an Erfahrung
       entstehen, können gut von einer aufmerksamen Mannschaft kompensiert werden.
       Einem 17 Jahre alten Jungen wie Bellingham, der noch nie ein Erstligaspiel
       absolviert hat, die verantwortungsvolle Position im strategischen Zentrum
       des Spiels anzuvertrauen, ist aber ein echtes Wagnis.
       
       Teil des Dortmunders Traumas der vergangenen Jahre ist schließlich, dass
       die Meisterschaftschancen immer wieder durch Missgeschicke junger Profis
       beschädigt wurden. Achraf Hakimi oder Dan-Axel Zagadou spielten oft
       brillant, aber im Alltag der 34 Spieltage, in denen mit Widerständen und
       schlechteren Tagen umgegangen werden muss, unterliefen ihnen mehrfach
       Fehler, die entscheidende Punkte in Duellen mit Freiburg, Augsburg,
       Paderborn oder Bremen kosteten. „Wir haben Punkte liegen lassen, die wir
       gut hätten gebrauchen können“, sagt Torhüter Roman Bürki im „Kicker“. „An
       diesen Aussetzern arbeiten wir“.
       
       ## Wunder Punkt Transferpolitik
       
       Wobei sie die mittelfristigen Folgen solcher Rückschläge immer wieder
       selbst verstärkt haben. Durch nervöse Reaktionen auf Rückschläge entstand
       mehrfach eine Wucht, die über mehrere Spieltage hinweg die Stimmung prägen
       konnte. Mal zürnte Kapitän Marco Reus über die „Mentalitätsscheiße“, über
       die Experten diskutierten, und verstärkte durch seinen Zorn den Eindruck,
       dass die kritischen Kommentatoren nicht ganz so falsch lagen. Mal ließen
       die Verantwortlichen zu, dass wochenlang über angebliche Zweifel der
       Klubführung an den Fähigkeiten Favres und einen möglichen Trainerwechsel
       spekuliert wurde. Und in der Sommerpause berührte Uli Hoeneß noch einen
       anderen wunden Punkt.
       
       Die graue Eminenz des FC Bayern erklärte [4][in der „FAZ“], dass ihn die
       Transferstrategie des BVB „stört“. Denn „wenn Dortmund einen
       hochtalentierten Spieler kauft und er gut spielt, kann man wenige Monate
       später entweder aus dem Klub selbst oder von außerhalb hören, dass er
       irgendwann ein Verkaufsobjekt darstellen wird“. Die Münchner verpflichten
       Spieler „niemals, um daraus Geschäfte zu machen“, behauptet Hoeneß, während
       der BVB zwar sportlich in den vergangenen Jahren nicht viel gewonnen hat,
       aber mit der Veredelung und dem Verkauf großer Talente enorme
       Transferüberschüsse erzielen konnte. Die [5][Reaktion aus Dortmund] wirkte
       verärgert: „Wenn man jedes Jahr 250 Millionen Euro mehr in der Tasche hat,
       lässt es sich mit vollen Hosen gut stinken“, erwiderte Michael Zorc via
       „Kicker“. Der Vorwurf, der Verdacht, das Streben nach Transfergewinnen sei
       mittlerweile ähnlich bedeutsam im Geschäftsmodell, wie das Verlangen nach
       sportlichem Erfolg, trifft sie.
       
       ## Immer wieder Mentalitätsdebatte
       
       Ob der Angriff auf die Meisterschaft in dieser Saison zum erhofften Erfolg
       führt, hängt damit nicht nur von den Neuzugängen oder vom Reifeprozess
       einiger Leistungsträger wie Bürki, Haaland oder Sancho ab. Es wäre
       hilfreich, wenn das Trainerteam und die Verantwortlichen aus dem „Inner
       Circle“ auch mal eine Saison hinbekommen, in der sie schwierige Momente mit
       dem richtigen Gespür für Stimmungen und das mentale Befinden der Mannschaft
       handhaben. Wobei wohl ein schlechtes Spiel reicht, um die Diskussion über
       die Mentalität neu zu entfachen.
       
       Schon das Ende der vergangenen Saison war von so einer Debatte geprägt. Als
       es um nichts mehr ging, erlaubte der BVB sich zwei leblose Heimspiele gegen
       Mainz (0:2) und Hoffenheim (0:4). „Es ist bedauerlich, dass wir uns da
       abschlachten ließen“, sagt Bürki, der auch Schwächen in den direkten
       Duellen mit den Münchnern sieht. Er habe den Eindruck, „dass der eine oder
       andere bei uns im Unterbewusstsein verkrampft“, wenn es gegen die Bayern
       geht. Irgendetwas fehlte den Dortmundern in den vergangenen Jahren, um eine
       Meisterschaft verdient zu haben. Und schlüssige Argumente, warum das jetzt
       anders sein sollte, sind schwer zu finden.
       
       18 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wa.de/sport/borussia-dortmund/michael-zorc-ueber-ziele-bvb-wollen-deutscher-meister-werden-12768246.html
   DIR [2] https://www.kicker.de/_er_hat_alles_das_ist_bvb_neuzugang_jude_bellingham-779894/artikel
   DIR [3] https://www.sportbuzzer.de/artikel/bvb-kehl-bellingham-moukoko-reinier-talente-dortmund-zukunft-reaktionen/
   DIR [4] https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern-muenchen-uli-hoeness-zu-sane-bvb-und-bundesliga-16887035.html
   DIR [5] https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/borussia-dortmund-kontert-kritik-von-uli-hoeness-an-transfers-16888346.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
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