# taz.de -- Bossa Nova vom Río de la Plata: Schwermut und Leichtigkeit
> Der argentinische Gitarrist Agustín Pereyra Lucena war ein Liebhaber
> brasilianischer Musik. Nun wurde sein Debütalbum von 1970 neu
> veröffentlicht.
IMG Bild: Innige Beziehung: Agustín Pereyra Lucena und sein Instrument
Der folgende Text ist in der taz-Verlagsbeilage „Global Pop“ erschienen.
Fröhlich und beschwingt sei die Musik Brasiliens, ist man geneigt zu
denken. Was natürlich genauso klischeehaft ist, als ob alle Deutschen auf
Marschmusik und Schuhplattler stünden. Dabei spielt die „Saudade“ – eine
Art melancholische Sehnsucht – nicht nur im portugiesischen Fado eine
wichtige Rolle, sondern auch in der brasilianischen Populärmusik.
João Gilberto wollte sie in seinem Bossa Nova-Klassiker „Chega de Saudade“
(„Keine Sehnsucht mehr“) zwar überwinden – und hoffte darauf, dass seine
große Liebe zu ihm zurückkäme. Doch ob sich das erfüllt, bleibt ungewiss.
Die Saudade trägt zumeist eine Erinnerung in sich und hält zugleich die
Hoffnung wach, dass sich die Sehnsucht erfüllen möge.
Auch der argentinische, überwiegend in Moll gespielte Tango trägt eine
Melancholie in sich, in der sich Sehnsucht und Leidenschaft miteinander
verbinden. Vielleicht ist es diese kulturelle Prägung, wegen derer sich der
argentinische Gitarrist Agustín Pereyra Lucena so sehr in die Musik
Brasiliens verliebte. Als seine musikalischen Vorbilder gelten die Bossa
Nova-Mitbegründer Antônio Carlos Jobim, Baden Powell und Vinícius De
Moraes.
Das in London ansässige Label Far Out Recordings hat nun Pereyra Lucenas
selbstbetiteltes Debütalbum aus dem Jahr 1970 wiederveröffentlicht – wobei
die Aufnahmen direkt von den Original-Kassetten gezogen wurden.
Die Neuauflage zeigt jedenfalls, zu welch umwerfenden Resultaten kulturelle
Beeinflussung führen kann. In den Intros von „O Astronauta“ und
„Consolação“ (beide von Baden Powell und Vinícius De Moraes) klingt das
Album so traurig, dass man sich kaum zu helfen weiß, als unmittelbar in
Tränen auszubrechen. Dann hat es wie in „Tema Para Martin“ oder der
Adaption des Tom Jobim-Songs „Tristeza de Nós Dois“ wieder eine gewisse
Leichtigkeit, als ob man in der Luft schweben würde.
## Eigenwillige Gitarrenkünste
Zum Teil ist Agustín Pereyra Lucena Gitarrenspiel unterlegt mit gehauchten
lautmalerischen Klängen seiner Freundin Helena Uriburu, einer
Französisch-Lehrerin, die für die Aufnahmen tatsächlich zum ersten Mal in
ihrem Leben in einem Tonstudio war.
Begleitet wird Pereyra Lucena auf dem Album von zwei weiteren
argentinischen Brasilienliebhabern: Mario „Mojarra“ Fernandez am Bass und
Enrique „Zurdo“ Roizner am Schlagwerk. Beide lassen Agustin genug Raum, um
seine so sanften wie eigenwilligen Gitarrenkünste auszubreiten.
Zwischendurch wird es dann auch etwas swingender, bevor Agustín mit der
Eigenkomposition „Niña No Divagues“ Schwermut und Leichtigkeit miteinander
vereint.
2019 verstarb Agustín Pereyra Lucena. Erst danach begann man damit, ihn als
einen der großen Musiker Argentiniens anzuerkennen. 2020 wurde ein in
Buenos Aires aufgenommenes Album neu aufgelegt, bei dem Pereyra Lucena mit
dem legendären brasilianischen Perkussionisten Naná Vasconcelos zu einer
improvierten Session zusammengekommen war, ein Jahr später brachte Far Out
Recordings sein Album „La Rana“ neu heraus, das 1980 in Oslo als Quartett
eingespielt worden war.
Sein gerade wieder veröffentlichte Debütalbum bringt uns zurück zum
Karrierebeginn des damals 22-jährigen. Schon 1970 war zu erahnen, was der
brasilianische Dichter und Sänger Vinícius De Moraes später über ihn gesagt
hat: Mit Ausnahme der beiden brasilianischen Gitarristen Baden Powell und
Toquinho habe er „noch nie jemanden gesehen, der mehr mit seinem Instrument
verbunden war als Agustín Pereyra Lucena“.
12 May 2024
## AUTOREN
DIR Ole Schulz
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