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       # taz.de -- Bremer Haushaltspolitik vor Gericht: Klimakrise ist Notstand genug
       
       > Die CDU hat gegen Bremer Haushalte geklagt. Jetzt ließ das Gericht
       > durchscheinen, dass die Klimakrise eine Ausnahme von der Schuldenbremse
       > begründen könnte.
       
   IMG Bild: Darf man oder darf man nicht? Installation des Bunds der Steuerzahler zählt die von Bremen aufgenommenen Schulden, hier Stand 2022
       
       Bremen taz | Durfte das Land Bremen Schulden machen in den Jahren 2023 und
       2024? Diese Frage stand am Mittwoch im Mittelpunkt einer Verhandlung vor
       dem Bremer Staatsgerichtshof. Mitverhandelt wurden der Einfluss
       Deutschlands auf den Klimawandel, Feinheiten der Haushaltsführung und die
       große Frage, wann aus Not Normalität wird.
       
       Seit 2020 muss sich das Land Bremen an die Schuldenbremse halten.
       „Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten
       auszugleichen“, heißt es [1][in Artikel 13a der Landesverfassung]. Von 2020
       bis inklusive [2][2024 hat Bremen aber hohe Kredite aufgenomme]n, jedes
       Jahr aufs Neue.
       
       Das Land hat sich dafür auf eine Ausnahmeregelung der Schuldenbremse
       bezogen: Kredite sind möglich „im Falle von Naturkatastrophen oder
       außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates
       entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“.
       
       Für die Coronajahre hat die Opposition das weitgehend mitgetragen. Als im
       März 2023 in den laufenden Haushalt nachträglich zusätzliche 2,7 Milliarden
       Euro aufgenommen werden sollten, war es mit der Einigkeit aber vorbei. Die
       Begründung für den hohen Kredit war neu: Neben den Nachwirkungen der
       Coronakrise sowie den Auswirkungen von [3][Ukrainekrieg und Energiekrise],
       stellte der Senat die Klimakrise in den Mittelpunkt. Sie selbst sei,
       verschränkt mit den anderen Krisen, eine außergewöhnliche Notsituation.
       
       ## Bremer CDU hat gegen Haushalte geklagt
       
       Die Bremer CDU hat diese Argumentation von Beginn an angezweifelt und unter
       anderem deswegen Klage gegen die Haushalte eingereicht. Über diese wird nun
       zwei Jahre später am Bremer Staatsgerichtshof verhandelt.
       
       Entschieden ist noch nichts – erst am 23. Oktober soll das Urteil verkündet
       werden. Aber das Gericht lässt schon jetzt durchscheinen: Doch, die
       [4][Klimakrise kann eine Notsituation rechtfertigen.] Wenn es wirklich so
       entscheidet, wäre es das erste Mal, dass ein Verfassungsgericht diese
       Argumentation akzeptiert. Der Bremer Staatsgerichtshof traut sich dabei,
       [5][Urteile des Verfassungsgerichts Schleswig-Holstein von April] und
       einige Interpretationen des Bundesverfassungsgerichts von 2023 zumindest
       infrage zu stellen. Letzteres hatte festgestellt, dass die Ausnahme der
       Schuldenbremse nicht für vorhersehbare Krisen gelten könne.
       
       So sieht es auch die Bremer CDU. Die stört an der Anwendung der Klimakrise
       auf die Ausnahmeregelung nämlich unter anderem, dass sie lange absehbar
       gewesen sei – und noch dazu auf Dauer angelegt.
       
       Handeln im Sinne des Klimaschutzes könne damit nicht als „außergewöhnliche
       Notsituation“ definiert werden. „Das hieße, die Schuldenbremse dauerhaft
       außer Kraft zu setzen“, sagte der Verfahrensbevollmächtigte der CDU,
       Christoph Gröpl. Ergo müsse das Geld für Klimaschutzmaßnahmen aus dem
       regulären Haushalt kommen. Gröpl machte noch ein größeres Fass auf und
       konstatierte, dass die Klimakrise sich ohnehin aus Deutschland heraus
       nicht lösen lasse.
       
       Diese Argumentation wies das Gericht allerdings deutlich zurück: „Die
       Bundesrepublik ist einer der höchsten CO2-Emittenten der Welt“, sagte der
       Vorsitzende Richter, Peter Sperlich. „Wenn nicht wir Treibhausgase
       einsparen, wer denn dann?“
       
       ## Wann rechtfertigt eine Notsituation Kredite?
       
       Bei den Fragen, wie die Eigenheiten der Klimakrise zum Wortlaut der
       Verfassung in Bund und Land und zu Urteilen des Bundesverfassungsgerichts
       passen, bewies das Gericht Lust an der Debatte – und an
       Gedankenexperimenten. Immer wieder stellte Richter Sperlich beiden Parteien
       „Was wäre, wenn …“-Fragen, um Begriffe zu klären.
       
       Wie in sokratischen Dialogen wirkte das teilweise. Kann, so ein Beispiel,
       allein die Dauer einer Krise dazu führen, dass sie nicht mehr
       außergewöhnlich ist? „Sagen wir, wir wären im Krieg – nicht zwei, sondern
       fünf, vielleicht sogar zehn Jahre“, stellte Sperlich in den Raum. „Würde
       dann allein die Dauer dazu führen, dass man keine Notkredite mehr aufnehmen
       könnte?“ Nein, so die Antwort der CDU-Vertreter, das wäre wohl undenkbar.
       
       In diesem Stil hangelte sich das Gericht von Begriff zu Begriff. Was ist
       eine Notsituation? Wann ist sie außergewöhnlich? Und: Wann entzieht sich
       eine Situation der Kontrolle des Staates?
       
       Von der Klärung des großen Ganzen ging es bis ins Detail, auf die Ebene der
       einzelnen Haushaltsposten. Die Richter*innen ließen sich die Feinheiten
       der Haushaltsführung wieder und wieder erklären. Am Ende der sechsstündigen
       Verhandlung zeigten sich alle erschöpft, die Plädoyers wurden verschoben.
       
       ## Bremer Haushaltspolitik steht nicht das erste Mal infrage
       
       Die grundsätzliche Bereitschaft des Staatsgerichtshofs, die Klimakrise als
       Begründung für eine Notlage anzuerkennen, darf nicht darüber
       hinwegtäuschen: Lässig abnicken werden sie die von der CDU angezweifelten
       Haushalte wohl nicht.
       
       Teilweise war das vorher klar: Was Bremen im März 2023 als Haushalt
       verabschiedet hat, war nicht rechtens: Das Land hatte sich damals eine
       Kreditermächtigung über 2,7 Milliarden Euro in den Haushalt geschrieben, um
       das Geld bis 2027 verwenden zu können.
       
       So einer Notkreditermächtigung über Jahre hinweg hatte schon das Urteil
       des Bundesverfassungsgerichts im Herbst desselben Jahres eine Absage
       erteilt. Bremen setzte seinen eigenen Haushalt deshalb durch einen zweiten
       Nachtragshaushalt außer Kraft. Die CDU hatte ihren Antrag gegen beide
       Varianten gestellt.
       
       Aber auch der Haushalt für 2024 wurde im Detail durchaus vom Gericht
       kritisiert: Nicht bei allen Posten wurde demnach ausreichend begründet, wie
       sie helfen könnten, die „unkontrollierbare“ Klimakrise wieder unter
       Kontrolle zu bekommen: Die Anschaffung von „dekarbonisierten“
       Gefangenentransportern in Höhe von 1,6 Millionen Euro etwa.
       
       Am Ende schlug Richter Sperlich eine „Je-desto“-Regel in den Raum: Je
       länger eine Krise dauert, desto mehr ist der Staat bei der Begründung von
       Krediten gefordert.
       
       11 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.transparenz.bremen.de/metainformationen/landesverfassung-der-freien-hansestadt-bremen-in-der-fassung-der-bekanntmachung-vom-12-august-2019-232507?asl=bremen203_tpgesetz.c.55340.de&template=20_gp_ifg_meta_detail_d#jlr-VerfBR2019pArt131
   DIR [2] /FDP-zieht-Bremer-Haushalt-vor-Gericht/!6022685
   DIR [3] /Ukrainekrieg-und-Energieversorgung/!5916231
   DIR [4] /Oekonom-ueber-Bremens-Klimafonds/!5969839
   DIR [5] /Schuldenregeln-in-Schleswig-Holstein/!6079095
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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