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       # taz.de -- Buch über Nachtleben Münchens: Der Türsteher vom P 1
       
       > Hier begannen Weltkarrieren: Dem Nachtleben in München ist der Bildband
       > "Mjunik Disco" gewidmet, von den Künstlerklausen der 50er bis zu den
       > Superclubs der 80er Jahre.
       
   IMG Bild: Größenwahn und Provinzmief nah neben einander: P1-Gäste.
       
       Als die Pet Shop Boys im Sommer 1990 beim Münchner Produzenten Harold
       Faltermeyer anklopfen, um sich für ihr Album "Behavior" ein
       Munich-Disco-Gewand maßschneidern zu lassen, waren sie die Ersten, die sich
       wieder für die Ära der Siebzigerjahre und ihre opulenten Klänge
       interessierten. Das Produzententeam um Faltermeyer und den gebürtigen
       Südtiroler Giorgio Moroder hatte Mitte der Siebziger von den Münchener
       Musiclandstudios aus Weltkarrieren wie die der Discoqueen Donna Summer
       angeschoben. Aber im eigenen Lande gilt der Prophet bekanntlich nichts -
       selbst in Bayern.
       
       Deswegen muss man es umso lauter sagen: Bayern hat schon auf eine
       (Disco-)Kultur zurückblicken können, als die Germanen im Teutoburger Wald
       noch Missionarsknochen abfieselten. Und, weil wir gerade dabei sind, das
       Nachtleben unserer Tage wäre ohne das bayerische Reinheitsgebot vom 23.
       April 1523 bedeutend rauschärmer. Und es muss in diesem Zusammenhang auch
       die Frage erlaubt sein, ob Ludwigs Staatsbankrott am Ende des 19.
       Jahrhunderts nicht auch die ultimative Exzess-Geste gewesen ist.
       
       Das alles kommt natürlich nicht in "Mjunik Disco. München bei Nacht von
       1949 bis heute" vor, aber es schwingt zwischen den Zeilen mit. Es gäbe auch
       einige Fehler zu bemängeln. Bei einem Bild- und Textband, der das
       Nachtleben der Stadt dokumentiert, liegt das aber schon in der flüchtigen
       Natur der Sache. Für Auslassungen entschuldigt sich der Herausgeber Mirko
       Hecktor daher bereits im Vorwort. Beim Lesen der Texte und Betrachten der
       Bilder bekommt man trotzdem sofort eine Ahnung von der Rolle, die München
       einmal im Nachkriegs-Westdeutschland gespielt hat und noch immer als Mythos
       von sich selbst behauptet. Fest steht, dass München in der amerikanischen
       Besatzungszone lag und der angloamerikanische Einfluss hier besonders groß
       war.
       
       Die existenzialistischen Jazzkeller und Künstlerklausen der Fünfziger, die
       windigen Rock-n-Roll-Baracken, die auch von G.I.s frequentiert wurden, die
       ersten Beatschuppen und Diskotheken, die Stammkneipen der Filmfritzen und
       die Superclubs der Achtzigerjahre, all das lässt "Mjunik Disco" noch einmal
       in Wort und Bild auferstehen. Es heißt, München sei die nördlichste Stadt
       Italiens, selbst die Nachtmenschen würden sich toller aufbrezeln.
       
       Ein Buch über den schönen Schein der Nacht muss nicht mit solchen Klischees
       aufräumen. Gleich das Eingangszitat des ehemaligen SZ- und heutigen
       Sonntags-FAZ-Redakteurs Claudius Seidl zeigt, wie tief die Hemden an der
       Isar aufgeknöpft werden. "Für mich hat sich das so dargestellt, dass es
       strukturell gesehen gar nicht so ein arg großer Unterschied war, ob man am
       Bauzaun in Brokdorf demonstrierte oder am Türsteher des P 1 vorbeikommen
       wollte."
       
       Das P 1, im Volksmund "Oanser" genannt, untergebracht im Nazibau "Haus der
       Kunst" am Englischen Garten, ist ein schönes Beispiel, wie nah Größenwahn
       und Provinzmief, gastronomischer Ausnahmezustand und die Spuren der
       Geschichte, kleinbürgerliches Lokalkolorit und kosmopolitische Anwandlungen
       in München beisammen liegen. "Mjunik Disco" singt aber nicht nur das
       Hohelied auf mondäne Orte. Die Dissonanzen in den Melodien der Stadt werden
       ebenso dargestellt.
       
       Immerhin war München auch die erste deutsche Stadt, in der Jugendliche 1962
       einen Krawall inszenierten, weil sie von der Polizei am Musizieren auf der
       Straße gehindert worden waren. Und als 1979 der erste Punkclub seine
       Pforten im Münchener Glockenbachviertel öffnete, war sein Name "Damage"
       Programm. Nicht nur die Orte werden in "Mjunik Disco" verewigt, auch ihr
       Personal und ihre Gäste, ihre Launen und ihre Vorlieben. Und die ersten
       Deutschen in den US-Dancecharts waren 1975 Ramona Kraft, Linda Übelherr und
       Gertrude Wirschinger alias Silver Convention, selbstverständlich aus
       München.
       
       8 Jan 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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