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       # taz.de -- Buch über das Patriarchat: Suche nach Rissen in der Macht
       
       > Angela Saini zeigt in ihrem Buch „Die Patriarchen“, warum
       > Männervorherrschaft nicht unausweichlich ist. Eine Spurensuche nach den
       > Anfängen.
       
   IMG Bild: Die Mosuo in China führen Besuchsehen. Die Kinder bleiben bei ihren Müttern
       
       Sie leiden übertrieben an einem Schnupfen, sterben dann aber früher, weil
       sie bei ernsthaften Krankheiten nicht zum Arzt gehen. Dass Männer diese
       Welt regieren, ist nicht selbsterklärend. Es ist ein Rätsel, das mit
       körperlicher Überlegenheit und Sesshaftwerdung allein nicht zu erklären
       ist. Mit diesen beiden Klischees räumt die britische Journalistin Angela
       Saini in ihrem neuen Buch auch direkt auf.
       
       In „Die Patriarchen“ schaut Saini auf die Bonobos, die dem Menschen so
       ähnlich sind wie die Schimpansen, und beobachtet dort keine Herrschaft der
       Silberrücken, sondern mächtige Weibchen, die körperlich zwar unterlegen
       sind, ihre Macht aber durch enge soziale Kontakte halten.
       
       Ein Großteil des Buches beschäftigt sich mit der Forschung rund um die etwa
       9.000 Jahre alte Stätte Çatalhöyük, die die Forscherin Marija Gimbutas als
       matriarchale Urstätte Europas bezeichnet hatte. Das scheint so nicht ganz
       zu stimmen, aber die Gebäude und Funde legen nahe, dass hier eine
       Gesellschaft gelebt haben muss, die weitgehend gleich war, in der Frauen
       stark wie Männer waren – trotz Sesshaftigkeit.
       
       Gehalten hat diese Gleichberechtigung allerdings nicht – wie kamen die
       Männer an die Macht? „Wer wir sind, entdecken wir nicht in den großen,
       vereinfachten Darstellungen der Geschichte, sondern an den Rändern, wo die
       Menschen anders leben, als wir es vielleicht erwarten.“ Mit diesem Leitsatz
       hat sich Saini über mehrere Jahre auf die Suche nach diesen Rändern begeben
       – wobei Rändliches teilweise mitten im bekannten feministischen Territorium
       liegt.
       
       Der US-amerikanische Ort Seneca Falls im Bundesstaat New York
       beispielsweise ist bekannt dafür, dass dort 1848 der erste
       Frauenrechtskongress stattfand. Elizabeth Cady Stanton trug ihre
       „Declaration of Sentiments“ vor. Frauen wollten Gleichberechtigung als Teil
       einer Fortschrittsbewegung. Dabei waren Frauen an diesem Ort schon einmal
       viel weiter – nur waren es eben keine weißen Frauen.
       
       ## Friedenskongress 1590 der Native Americans
       
       Im Jahr 1590 trafen sich in Seneca Falls Frauen verschiedener Native
       Americans, um Frieden zwischen ihren sich bekriegenden Stämmen
       auszuhandeln. Mit Erfolg. Laut Saini haben sich diese Frauen im Jahr 1600
       „ein Vetorecht bei allen künftigen Kriegen gesichert“. Die
       Gleichberechtigung haben die Kolonisatoren den Native Americans
       wegzivilisiert, später mussten deren Frauen dann wieder neu beginnen, dafür
       kämpfen.
       
       Ähnliches beschreibt Saini anhand der Nayars in Kerala, Indien. Die
       Menschen lebten dort in Tharavadus, Haushalten mit vielen
       Familienmitgliedern. Die Familienfolge war matrilinear organisiert, was
       laut Autorin eine Erklärung für die hohe Alphabetisierungsrate der Frauen
       dort ist. Aber auch hier kamen die Kolonisatoren und brachten Zivilisation
       in Form des Patriarchats mit. Aber wo hatten die das her?
       
       Eine eindeutige Antwort hat auch Saini nicht, deshalb trägt das Buch den
       Untertitel „Auf der Suche nach den Ursprüngen männlicher Herrschaft“. Laut
       erwähnter Marija Gimbutas kam das Patriarchat in Form von Kriegern aus der
       russischen Steppe Richtung Europa, und so ganz unplausibel scheint das
       nicht zu sein. Aber wo die das wiederum herhatten – lässt sich nicht so
       einfach sagen.
       
       Allerdings hat sich das Patriarchat, wenn man es mit patrilinearer Erbfolge
       gleichsetzt, bis heute nicht überall durchgesetzt. Bei den Khasi in Indien
       wird an die Frauen vererbt. Eine schöne Vorstellung. Während hierzulande in
       der Ehe noch immer meist Frauen den Namen des Mannes annehmen, sich von
       ihrem Vater zur Trauung begleiten lassen und damit symbolisch vom Besitz
       des einen Mannes in den des anderen übergehen. Die logische feministische
       Schlussfolgerung, das Ende der Ehe, ist aktuell wiederum bei der Autorin
       [1][Emilia Roig] nachzulesen.
       
       ## Ausnahmen zusammengetragen
       
       Letztlich bestätigen Sainis sorgfältig zusammengetragene Ausnahmen an den
       Rändern dann doch die Regel – und die heißt Patriarchat. Dieses war auch im
       real existierenden Sozialismus sehr anwesend. Hier sind Sainis
       Beschreibungen aus Sowjetunion und DDR zwar faktisch richtig, aber ihre
       Einordnung, hier sei „ein echter Versuch unternommen worden, das
       Patriarchat zu zerschlagen“, geht an der Realität doch weit vorbei. Frauen
       konnten arbeiten wie Männer, aber gerade die Ehe, so oft sie auch
       geschieden wurde, war trotzdem das Ideal, die patriliniare Familie der
       kleinste Teil des Staates.
       
       Die Gründung von Staaten, die damit verbundene Eroberung und Verteidigung,
       sind zentrale Bausteine des Patriarchats. Ein Staat im Krieg muss den
       weiblichen Körper kontrollieren, um Nachwuchs für das Militär zu
       generieren. Ließe sich der Untergang des Patriarchats also nur mit der
       Zerschlagung von Staaten erreichen?
       
       Ein guter Ansatz geht auch eine Nummer kleiner. Etwa, in der Vergangenheit
       nicht nur nach dem zu suchen, das unsere öde Gegenwart bestätigt, sondern
       nach dem, das sie verunsichert. „Die Patriarchen“ ist dafür die passende
       Lektüre. Darin ist das Patriarchat keineswegs unvermeidlich – sonst gäbe es
       keine anderen Entwürfe und auch nicht Widerstand dagegen. Diesen beschreibt
       sie am Beispiel Iran, wobei hier für interessierte Zeitungsleser*innen
       nichts Neues zu erfahren ist.
       
       Insgesamt trägt Saini vor allem zusammen, was schon erforscht wurde.
       Mitunter liest sich das Buch deshalb etwas mühsam, weil jede*r
       Zitatgeber*in der Sichtbarkeit wegen genannt werden muss, aber den
       Lesefluss eher stört. Das Durchwursteln lohnt sich aber. Gerade diese Fülle
       an Randbetrachtungen macht dieses Buch zu einem Grundlagenwerk für alle,
       die die Risse im Monolith Patriarchat weiter aufbrechen wollen.
       
       28 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gottschalk
       
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