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       # taz.de -- Buch von Bob Dylan: Dem befreundeten Angler gewidmet
       
       > Neverending Tour: Bob Dylan hört sich Songs von Kolleg:innen an und
       > hält seine Gedanken darüber in der „Philosophie des modernen Songs“ fest.
       
   IMG Bild: Boxt im eigenen Gym: Bob Dylan (hier bei einem Konzert im Londoner Hyde Park im Juli 2009)
       
       Bob Dylan hat ein Buch geschrieben. Sieht man von diversen Songeditionen
       ab, ist es erst [1][das dritte eigenständige literarische Werk des
       US-Weltstars]. Doch darüber sollten sich nur solche Leute mokieren, die bis
       heute nicht verkraftet haben, dass der Musiker Dylan 2016 den
       Literaturnobelpreis erhielt. It ain’t me.
       
       „Die Philosophie des modernen Songs“ heißt es und hat den Anklang eines
       geisteswissenschaftlichen Monumentalwerks, aber selbstverständlich hat der
       81-jährige Künstler keine Monografie mit Überblick des Forschungsstands
       plus Anmerkungsapparat vorgelegt. Eher ist es mehr. Teils finden sich
       Listen über Sänger, die auf der Bühne weinen, und über Songs, die
       klassischer Musik entspringen, ein Abriss der Filmgeschichte.
       
       Vor allem aber sind es Essays über 66 Songs und ihre Interpreten – und
       leider nur vier Interpretinnen –, die Dylan geprägt haben. Tatsächlich
       erklärt der Singer-Songwriter darin populäre Musik so, dass sie allgemein
       verständlich wird. Dabei ist beinah alles hier überraschend: Dass The Who
       mit ihrem modernistischen Klassiker „My Generation“ und die Punkband The
       Clash mit ihrem Hit „London Calling“ dabei sind. Dass mit freihändig
       assoziierten Bebilderungen gearbeitet wird. Oder dass Songs der Beatles,
       von Chuck Berry und Woody Guthrie darin fehlen.
       
       Dafür aber ist Domenico Modugno und sein Song „Volare“ vertreten.
       Hierzulande meist [2][als italienischer Schlager] wahrgenommen, zeigt Dylan
       an ihm exemplarisch die sekundäre Bedeutung von Sprache. Ein Song
       überzeugt, gerade auch wenn man die Sprache, in der er gesungen wird, nicht
       beherrscht. Fado etwa, so Dylan, sei auch dann traurig, „wenn man kein
       Fitzelchen Portugiesisch kann“. Deutsch? „Wunderbar für eine bestimmte Art
       von Bierzelt-Humptata“. Und das Italienisch von „Volare“? Weich,
       karamellig, melodiös und nebenbei ein „perfektes Beispiel, dass man einfach
       nur ‚oh, oh, oh‘ singen muss, wenn einem zu einer Melodie kein Text
       einfällt“. But you don’t know what it is.
       
       ## „Volare“ und „Mack, the Knife“
       
       Dylan nimmt sich Songs vor, lässt sie auf sich wirken und findet so heraus,
       warum sie für ihn groß sind. „Volare“ ist eine Ausnahme, und auch Titel wie
       das Brecht/Weillsche „Mack the Knife“, die Moritat von Mackie Messer, bei
       Dylan in der Interpretation von US-Sänger Bobby. Darin vorgestellt,
       fremdelt man ein wenig mit der Storyline.
       
       Vielmehr setzt Dylan in seiner „Philosophie“ meist etwas fort, das er schon
       seit vielen Jahren macht: Die Americana archivieren, diesmal überwiegend in
       Songs des 20. Jahrhunderts. Schon Dylans „Theme Time Radio
       Hour“-Radiosendungen und seine [3][autobiografischen Erinnerungen
       „Chronicles 1“] stellen die US-amerikanische Musikgeschichte als das dar,
       was sie ist: [4][ein gigantischer und noch gar nicht genug gewürdigter
       Beitrag zum Weltkulturerbe].
       
       ## Willie Nelson, John Trudell und Dean Martin
       
       „Pancho and Lefty“ von Willie Nelson, „Doesn’t Hurt Anymore“ von John
       Trudell und „Blue Moon“ von Dean Martin illustrieren diesen Teil des
       Anliegens bestens.
       
       Wo steht in dieser Reihe eigentlich Dylan selbst? Über den britischen
       Popstar Elvis Costello notiert er kritisch, dieser habe wohl „eine starke
       Dosis ‚Subterranean Homesick Blues‘ intus“. Zu „Big Boss Man“ bemerkt
       Dylan, Jimmy Reed spiele Mundharmonika mit Gestell, „aber mit einer
       Mundharmonika auf einem Halter kann man nicht allzu viel anstellen“.
       
       Und in seiner Analyse von „My Generation“ notiert Dylan: „In Wirklichkeit
       bist du achtzig Jahre alt, ein alter Mann, der in einem Seniorenheim
       herumgeschoben wird.“ Das alles darf man wohl als Selbstironie
       interpretieren.
       
       Allerbestenfalls skurril wirkt seine Forderung nach der polygamen Ehe. Auf
       sie kommt er, weil er Scheidungsanwälte hasst. Einer Frau erginge es
       besser, „wenn sie eine von vielen Frauen eines reichen Mannes wäre“,
       fabuliert der zweimal geschiedene Dylan. Der Song, der ihn zu so etwas
       animiert, ist „Cheaper to Keep Her“ von Südstaaten-Soulsänger Johnnie
       Taylor.
       
       Der nicht verheiratete Bob Dylan tourt immer noch nicht enden wollend durch
       die Welt, with no direction home. Jüngst hat er in Deutschland binnen neun
       Tagen sechs Konzerte absolviert. Er boxt im eigenen Gym, und eine seiner
       Danksagungen für das Buch geht an einen Freund, mit dem er oft angeln geht.
       
       Neben diesen durchaus zeitintensiven Haupt- und Nebentätigkeiten malt
       Dylan, und aus altem Stahl schweißt, schraubt und hämmert er beeindruckende
       Skulpturen. Schon recht früh hat er mit „Renaldo and Clara“ einen Spielfilm
       geschaffen und in dem Film „Pat Garrett & Billy the Kid“ als Schauspieler
       mitgewirkt. Ein Museum gibt es auch schon, das „Bob Dylan Center“ in Tulsa,
       Oklahoma, und jetzt eben eine „Philosophie des modernen Songs“.
       
       Wesentlich mehr künstlerischer Ausdruck als das, was Bob Dylan in über 60
       Bühnen- und Künstlerjahren geleistet hat, dürfte kaum möglich sein. Und mit
       Ausdruckstanz wird Dylan ja wohl kaum noch anfangen. Obwohl, in the jingle
       jangle morning I’ll come following you.
       
       17 Nov 2022
       
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