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       # taz.de -- Bündnis für bezahlbaren Wohnraum: 187 Maßnahmen gegen Wohnungsnot
       
       > Bündnis für bezahlbaren Wohnraum stellt Vorschläge gegen die Wohnungsnot
       > vor. Linke kritisiert: Mietenkrise wird nicht grundlegend angepackt.
       
   IMG Bild: „Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum“, sagte Scholz
       
       Berlin taz | 400.000 neue Wohnungen sollen pro Jahr gebaut werden, das war
       die Zielmarke, die sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag gesetzt
       hatte. Klimafreundlich, bezahlbar und barrierearm sollen sie alle sein,
       100.000 davon öffentlich gefördert. Doch spätestens mit dem russischen
       Angriffskrieg am 24. Februar wurde dieses Ziel immer utopischer. Eigentlich
       weiß das auch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). „Die Konditionen
       sind schlechter geworden im Vergleich zum Vorjahr, wo wir dann unter
       300.000 Wohnungen fertig hatten“, sagte sie am Mittwochmorgen im
       Deutschlandfunk. Dennoch will sie sich offiziell nicht vom Neubauziel
       verabschieden.
       
       Das Gleiche gilt auch für Bundeskanzler Olaf Scholz. „Wir halten an dem
       Ziel fest, das muss ausdrücklich gesagt werden“, sagte er am
       Mittwochnachmittag bei der Vorstellung eines Maßnahmenpakets des Bündnisses
       für bezahlbaren Wohnraum. Die Zeiten dafür seien schwieriger geworden. Am
       Bedarf für bezahlbare Wohnungen habe sich aber nichts geändert. „Wir
       brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum“, sagte Scholz. Dies sei für den
       gesellschaftlichen Zusammenhalt von größter Bedeutung.
       
       Realistischer sieht das Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. „Wir sind
       meilenweit vom Ziel der Bundesregierung entfernt“, sagte er. Er rechnet
       damit, dass in diesem Jahr weniger als 300.000 Wohnungen fertiggestellt
       werden, „und womöglich auch weniger Sozialwohnungen als im Vorjahr, als
       rund 25. 000 Sozialwohnungen fertiggestellt worden sind“.
       
       Vieles spricht dafür, dass er recht behält: Es gibt Probleme mit
       Lieferketten, die Energie- und Baukosten steigen, die Baulandpreise ebenso,
       und es fehlen Fachkräfte. Hinzu kommt: Der Bedarf an bezahlbaren Wohnraum
       ist durch ukrainische Geflüchtete, die vor dem Krieg in ihrem Land fliehen
       und in Deutschland eine Bleibe suchen, sogar gewachsen.
       
       Auf Einladung der Bundesbauministerin hatte sich Ende April 2022 das
       „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ konstituiert. Breit aufgestellt aus
       Vertreter*innen der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der
       Wohnungs- und Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und
       zivilgesellschaftlichen Organisationen, soll es gemeinsame Lösungen
       entwickeln.
       
       Nun haben sich alle Bündnispartner auf Maßnahmen geeinigt, um gegen die
       Wohnungsnot anzukämpfen: Eine 65 Seiten lange Absichtserklärung mit 187
       einzelnen Punkten – vom klimagerechten Bauen bis zur Beschleunigung von
       Planungs- und Genehmigungsverfahren. Festgehalten wird auch, wer sich bis
       wann darum kümmern soll. Um das serielle Bauen voranzutreiben, soll es etwa
       eine neue Geschäftsstelle im Bauministerium geben.
       
       Eine der größten Herausforderungen ist es, klimagerecht und
       energieeffizient zu bauen. Der Bau- und Gebäudesektor ist einer der
       Hauptverursacher von CO2-Emissionen in Deutschland und weltweit.
       Gleichzeitig sorgt das Thema immer wieder für Streit. Denn ökologisches
       Bauen ist teuer, gleichzeitig soll das Wohnen bezahlbar bleiben. Die
       Bundesbauministerin betont zwar immer wieder: [1][„Wer billig baut, baut
       zweimal.“] Dennoch ist das keine Antwort darauf, wie jetzt akut auch
       bezahlbarer Wohnraum entsteht. Es bleibt gegenwärtig ein Zielkonflikt.
       
       Das ließ sich wunderbar im Streit um die [2][KfW-Neubau-Förderungen]
       beobachten. Nimmt man den Effizienzstandard EH55 oder den höheren (und
       teureren) EH40-Standard? Derzeit fördert die Kreditanstalt für Wiederaufbau
       nur Neubauten mit dem [3][„Effizienzhaus 40“ mit Nachhaltigkeitssiegel.]
       Diese Förderung läuft Ende des Jahres aus, die Bundesregierung tüftelt an
       einer Nachfolgeförderung. Im Papier steht allerdings nichts Neues, sondern
       lediglich die „Etablierung einer eigenständigen Neubauförderung finanziert
       aus dem Klima- und Transformationsfonds bis 1. Januar 2023“. Das war schon
       vorher bekannt.
       
       Ähnlich ist es auch im Bereich sozialer Wohnungsbau. Bis 2026 bekommen die
       Länder 14,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, eine Rekordsumme.
       Festgehalten wird nun, dass die Länder bedarfsgerecht kofinanzieren müssen.
       Das ist löblich, aber [4][aktuell fallen mehr Sozialwohnungen aus der
       Bindung], als neue entstehen.
       
       Ein echter Gamechanger sollte eigentlich die Einführung einer neuen
       Wohngemeinnützigkeit werden, mit der Unternehmen steuerliche Vorteile
       bekommen, wenn sie bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dazu heißt es lediglich:
       „Konstruktiv-kritische Begleitung eines Gesetzgebungsverfahrens zur
       Umsetzung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit.“ Konstruktiv-kritisch – das ist
       wohl ein Synonym für Dinge, die noch nicht geeint sind.
       
       Enttäuscht zeigte sich denn auch die wohnungspolitische Sprecherin der
       Linken, Caren Lay. „Bundeskanzler Scholz hat einen Wohngipfel zur Chefsache
       gemacht und damit schwer enttäuscht. Mieterschutz ist eine Leerstelle“,
       erklärte Lay. Der politische Unwille, Mietenkrise und Wohnungsnot
       grundlegend anzupacken, werde durch ausufernde und ergebnislose Bündnisse
       nicht länger kaschiert.
       
       Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte das Ergebnispapier. Die DUH
       hatte in den vergangenen Monaten als Vertreterin ihrer Dachorganisation
       Deutscher Naturschutzring (DNR) in dem Bündnis für eine klimagerechte
       Wohn-Offensive gekämpft. Das Ergebnis sei ernüchternd, so der Umwelt- und
       Verbraucherschutzverband. Die Maßnahmen fokussierten sich zu einseitig auf
       den Neubau, weitgehend getreu dem aus der Zeit gefallenen Motto „Bauen,
       Bauen, Bauen“. Das gewaltige Sanierungs- und damit auch
       Energiekostenproblem für Millionen Menschen in Altbauten bleibe damit
       ungelöst.
       
       12 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Klara-Geywitz-zur-Wohnungsnot/!5846177
   DIR [2] /KfW-Geld-fuer-energieeffiziente-Haeuser/!5832812
   DIR [3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/neubaufoerderung-eh40-2023780
   DIR [4] /Ruecklaeufiger-Trend/!5858502
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
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