URI: 
       # taz.de -- Bürgerforschung im Wandel: Citizen-Science etabliert sich
       
       > Die Bürgerforschung, vor wenigen Jahren noch ein zartes Pflänzchen, hat
       > Wurzeln geschlagen. Das zeigt der Blick auf über 100
       > Citizen-Science-Projekte.
       
   IMG Bild: Mitglieder des Entomologischen Vereins Krefeld stellen eine Insektenfalle auf
       
       Berlin taz | „Die Citizen-Science-Community professionalisiert sich“, ist
       die Einschätzung von [1][Aletta Bonn vom Umweltforschungszentrum (UFZ) der
       Helmholtz-Gemeinschaft]. Dies sei auch durch die Förderinitiative des
       Bundesforschungsministeriums bewirkt worden, das seit 2017 dreizehn
       Projekte der Bürgerforschung finanziell unterstützt. „Citizen Science ist
       aus der belächelten Ecke herausgekommen und wird als ein wichtiges Werkzeug
       in der Zusammenarbeit mit der Gesellschaft und Schaffung von Innovation
       wahrgenommen“, sagt Bonn, die auch als Professorin für Ökosystemforschung
       an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt. „Der Erfolg der
       [2][Krefelder Studie] hat sicher auch dazu beigetragen, da dort gezeigt
       wurde, wie professionell und wichtig Citizen Science sein kann.“
       
       In Krefeld hatte ein [3][Verein von privaten Insektenforschern] über
       Jahrzehnte den Bestand der Krabbeltiere in Naturschutzgebieten gemessen und
       in der Bilanz einen dramatischen Rückgang der Insektenmasse um bis zu 80
       Prozent festgestellt. Seitdem ist das Thema „Insektensterben“ sogar auf die
       politsche Agenda gerückt.
       
       Auch im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist man der
       Meinung, dass der 2013 begonnene [4][Dialogprozess „BürGEr schaffen WISSen“
       (GEWISS)] und dem daraus hervorgegangenen „Grünbuch 2020“ als Roadmap für
       Citizen Science in Deutschland „die Bürgerforschung auf ein neues Niveau
       gehoben“ habe.
       
       „Das macht sich bemerkbar in einem veränderten Umgang mit Methoden der
       Beteiligungsforschung, einer höheren Aufgeschlossenheit in
       Forschungseinrichtungen sowie einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung und
       medialen Darstellung von Bürgerwissenschaften“, erklärte ein Sprecher des
       Ministeriums auf Anfrage der taz.
       
       Im Zuge der Verstärkung der Wissenschaftskommunikation will das BMBF die
       Bürgerforschung noch stärker in Schulen fördern. Als gelungenes Beispiel
       hierfür gelten die [5][„Plastikpiraten“]. Im Rahmen des
       „[6][Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane“] wurden in einer
       gemeinsamen Aktion von Forschenden, Umweltpädagogen und Schulen bundesweit
       Daten zu Kunststoffvorkommen an und in deutschen Fließgewässern erhoben.
       „Das erfolgreiche Projekt wird in 2018 fortgeführt und soll mittelfristig
       zur Entwicklung von Schutzmaßnahmen von Flüssen und Meeren beitragen“,
       heißt es aus dem Ministerium.
       
       ## Vogelgesang für das Museum
       
       Zu den mit insgesamt fünf Millionen Euro geförderten 13 Projekten zählt
       auch der „[7][Forschungsfall Nachtigall“ des Museums für Naturkunde in
       Berlin.] Dafür wurden in diesem Jahr von mehr als 1.000 BerlinerInnen mehr
       als 1.800 Aufnahmen von Vogelstimmen in einer Handy-App des Museums
       aufgezeichnet und an die Forscher geschickt.
       
       Die Auswertung der Tonaufnahmen läuft derzeit noch. Bisher konnten durch
       dieses Engagement rund 1.100 neue Strophenfolgen des Nachtigallengesangs
       nachgewiesen werden. Neue Ergebnisse werden am 1. November in der Urania im
       Rahmen der [8][Berlin Science Week] vorgestellt.
       
       In der kommenden Woche wird im Rahmen des Projektes [9][SAIN in Oberhausen]
       ein Pilzgarten eröffnet, der von [10][Fraunhofer-UMSICHT] und Bürgern der
       Stadt entwickelt wurde. Hier steht die Frage der städtischen Agrikultur im
       Mittelpunkt: Wie und wo können in der Stadt möglichst nachhaltig
       Lebensmittel angebaut werden? „Die Bürgerforschenden haben den Garten
       mitentwickelt und auch die jüngsten Forscherinnen und Forscher sind hier
       mit dabei“, kündigte der BMBF-Sprecher an. Die Entwicklung des Pilzgartens
       werde in den kommenden Monaten von einer örtlichen Kindergartengruppe
       begleitet und der Fortschritt des Pilzwachstums von den Nachwuchsforschern
       dokumentiert.
       
       Zu den geförderten Bürgerforschungsprojekten zählt auch [11][„OpenLab.net –
       Make Science“ in Halle (Saale)], ein Verbund aus der Maker- und
       Lab-Bewegung. Hier werden nach dem Muster von „Makerspaces“ in vier
       Innovationslaboren Forschungsfragen aus den Bereichen Sensorik, virtuelle
       Realität und Nachhaltigkeitskommunikation behandelt. Das Besondere:
       Forschungsfragen werden nicht an die Bürger herangetragen, sondern bei
       ihnen abgeholt. „Das ist in dieser Form einmalig“, sagt Eva Siebenhühner
       von der [12][Gesellschaft für Wissenschaftskommunikation science2public],
       die das Projekt betreut.
       
       ## Finanzielle Unterstützung
       
       In dieser Woche ist der zweite offene Themenwettbewerb zu Ende gegangen:
       Sechs Einreichungen gab es aus den Ländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und
       Sachsen. Bei der ersten Runde wurden zwei Themen ausgewählt, die von
       Bürgern mit Wissenschaftlern bearbeitet werden, unterstützt mit 7.500 Euro
       Preisgeld aus dem Wettbewerb.
       
       So untersucht das [13][Projekt „Mit Green Blogging zu mehr
       Nachhaltigkeit“], wie in den Sozialen Medien über Abfallreduzierung und
       andere Umweltthemen aus dem Bürgeralltag kommuniziert wird.
       Wissenschaftlicher Partner ist das Mitteldeutsche Medienzentrum in Halle.
       „Greenblogging“ ist eine der größeren Bürgerforschergruppen, die im Schnitt
       zwischen fünf und zwanzig Teilnehmern haben. „Uns begegnet viel Engagement
       und Spaß an der Sache“, berichtet Eva Siebenhüner. „Das sind kleine
       Weltverbesserer, die konstruktiv etwas bewirken wollen.“
       
       Das ist auch die Absicht der Schüler des [14][Erich-Kästner-Gymnasiums in
       Laatzen], die sich am [15][Citizen Science-Projekt „TreeChecker“] des
       Schulbiologiezentrums Hannover beteiligten. An einem Tag der Umwelt
       schwärmten alle Klassen aus, um die Bäume im Stadtgebiet zu vermessen, die
       Art zu bestimmen und den Gesundheitszustand zu bewerten. Die Anregung dazu
       hatte der Schülerrat gegeben, den die Frage interessierte, wie sich das
       städtische Umfeld auf Wachstum und Gesundheit der Bäume auswirkt.
       
       ## Eine Forschungslücke
       
       Tatsächlich eine Forschungslücke, wie auch Lehrerin Hendrika van Waveren
       feststellte: „Es ist wissenschaftlich noch nicht untersucht, welche Bäume
       sich für Städte besonders eignen“. In Zeiten des Klimawandel eine wichtige
       Information, um die richtigen Bäume der Zukunft heute zu pflanzen.
       
       Die sogenannte [16][digitale Transformation] verändert auch die
       Bürgerforschung. „Citizen Science erfährt durch die neuen Medien und
       digitalen Möglichkeiten einen neuen Schub“, stellt Aletta Bonn fest. Dies
       betreffe vor allem die Möglichkeiten der Vernetzung, der standardisierten
       Datenerhebung, die Übermittlung und den Austausch der Daten sowie die
       Ansprache neuer Interessentenkreise etwa über Social Media.
       
       „Man muss sicher digital und analog auch parallel fahren, da digital nicht
       immer besser ist und auch der persönliche Austausch oft eine wichtige Rolle
       spielt“, gibt Bonn zu bedenken. Aber Handy-Apps und Sensoren „können auch
       Menschen inspirieren, digitale Medien auszuprobieren und zu nutzen“.
       
       ## Ein Datensystem für alle
       
       Dieses Ziel hat sich das Projekt [17][GeoPortal des Guten Lebens] gesetzt.
       Die Transformationsstadt Wuppertal, eine Initiative aus Wissenschaft und
       Zivilgesellschaft, angedockt an das Alternativquartier [18][Utopiastadt
       Wuppertal], möchte gemeinsam mit den Bürgern ein benutzerfreundliches,
       offenes Datensystem entwickeln. Den Hintergrund bilden die Fragen: Wie
       sieht das gute Leben in der Stadt und im Quartier aus? Wie können
       Bürgerinnen und Bürger erfassen, was lokaler Wohlstand für sie bedeutet?
       
       „Wir beabsichtigen, die lokale Lebensqualität in Quartieren systematisch zu
       erfassen“, sagt Katharina Schleicher vom [19][Zentrum für
       Transformationsforschung und Nachhaltigkeit der Bergischen Universität
       Wuppertal], die das Projekt von der wissenschaftlichen Seite her betreut.
       „Dadurch soll ein Bild entstehen, wie sich Quartiere entwickeln und welche
       Anforderungen bei der Stadtplanung zu berücksichtigen sind.“
       
       Noch sind die Computerhacker beim Programmieren, aber schon bald soll das
       Datenportal bundesweit von Städten und Quartieren genutzt werden können.
       „Wir wollen den Bürgern selbst ermöglichen, Stadtforschung zu betreiben“,
       so Schleicher.
       
       Weil die Bürgerforschung ihre traditionelle Bindung an die
       Naturwissenschaften verlässt und sich stärker sozialwissenschaftlichen
       Fragestellungen und zivilgesellschaftlichen Problemlagen öffnet, hat
       inzwischen auch das [20][Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
       (BBE)] ein Auge auf die Arbeit der Laienforscher geworfen. Im letzten
       Newsletter wurde dem Thema Citizen Science ein eigener Schwerpunkt gegeben.
       Ein neuer Weg heraus aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm deutet sich
       an.
       
       27 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ufz.de/index.php?en=40343
   DIR [2] https://journals.plos.org/plosone/article/authors?id=10.1371%2Fjournal.pone.0185809
   DIR [3] http://www.entomologica.org/
   DIR [4] https://www.buergerschaffenwissen.de/
   DIR [5] https://bmbf-plastik.de/plastikpiraten
   DIR [6] https://www.wissenschaftsjahr.de/2016-17/
   DIR [7] https://forschungsfallnachtigall.de/
   DIR [8] https://berlinscienceweek.com/
   DIR [9] https://staedtische-agrikultur.de/
   DIR [10] https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/messen-veranstaltungen/2018/sain.html
   DIR [11] https://openlab-halle.de/
   DIR [12] https://www.science2public.com/
   DIR [13] https://openlab-halle.de/openlab-net-make-science/mit-green-blogging-zu-mehr-nachhaltigkeit
   DIR [14] http://www.ekglaatzen.de/
   DIR [15] http://www.treechecker.de/
   DIR [16] /Digitalisierung-und-Umweltschutz/!5529399
   DIR [17] http://www.transformationsstadt.de/geoportal/
   DIR [18] https://www.clownfisch.eu/utopia-stadt/
   DIR [19] https://www.transzent.uni-wuppertal.de/
   DIR [20] http://www.b-b-e.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Ronzheimer
       
       ## TAGS
       
   DIR Citizen Science
   DIR Bürgerwissenschaft
   DIR BMBF
   DIR Wissenschaftskommunikation
   DIR Urania Berlin
   DIR Citizen Science
   DIR Wissenschaft
   DIR Wissenschaftskommunikation
   DIR Wissenschaftskommunikation
   DIR Forschungsministerium
   DIR Citizen Science
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neues Konzept für Berliner Bildungshaus: Geldregen für die Urania
       
       Aus dem altehrwürdigen Haus soll ein „Dialogforum mit bundesweiter
       Strahlkraft“ werden. Dafür darf es auf 100 Millionen Euro Förderung hoffen.
       
   DIR Bürgerwissenschaft wird Forschungsobjekt: Willkommene Unterstützung
       
       Die Laien von Citizen Science sind in der Wissenschaft angekommen. Sie
       widmen sich immer mehr Projekten – und sind selbst Forschungsobjekt
       geworden.
       
   DIR Berlin Science Week: Wissenswertes
       
       Mit der Berlin Science Week feiert die Wissenschaft ein zehntägiges
       Festival. Das startet am 1. November – und ist auch Stadtmarketing.
       
   DIR Wissenschaft sucht ihr Publikum: „Raus aus den Echokammern“
       
       Wen interessiert's? Wissenschaftsinitiativen suchen neue Wege, wie sie ihr
       Anliegen einem möglichst breiten Publikum vermitteln können.
       
   DIR Wissenschaft für die Öffentlichkeit: Raus aus dem Elfenbeinturm
       
       Die Wissenschaft sucht neue Wege, um mit der Zivilgesellschaft in Dialog zu
       treten. In den Städten gibt es immer mehr „Häuser der Wissenschaft“.
       
   DIR Neue Chefin im Forschungsministerium: Ihr Ziel ist transparente Forschung
       
       Die neue Forschungsministerin Anja Karliczek will die Gesellschaft stärker
       an der Wissenschaft beteiligen. Wird ihr das gelingen?
       
   DIR Förderprogramm für Citizen Science: Staatsknete für die Bürgerforschung
       
       Citizen-Science-Projekte erhalten erstmals eine Förderung. Aber die
       Bewegung der Bürgerforschung ist noch sehr unpolitisch.