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       # taz.de -- Bundeskongress der Jusos: Linke gegen Linken
       
       > Wer wird neue/r Juso-Vorsitzende/r? Zwei Bewerber:innen aus dem
       > linken Lager treten an. Die Beiden eint ihre Kritik an der Ampel.
       
   IMG Bild: Wer wird Juso-Bundesvorsitzene:r? Philipp Türmer und Sarah Mohamed stellen sich zur Wahl
       
       Berlin taz | Die sozialistische Gesellschaft wird als Ziel gleich im ersten
       Satz des Leitantrags ausgegeben. Wenn sich die [1][Jungsozialist:innen
       in der SPD ab Freitag zum Bundeskongress] in Braunschweig treffen, dann
       geben sie sich nicht mit halben Sachen zufrieden. Ein sozialistisches
       Steuersystem mit Vermögens- und Erbschaftssteuern stehen genauso zur
       Debatte, wie ein Grunderbe von 60.000 Euro für jeden oder die Abschaffung
       der europäischen Grenzschutzsicherungsagentur Frontex. Die Chancen, dass
       der Juso-Bundeskongress diese Forderungen beschließen wird, stehen gut.
       
       Völlig offen ist dagegen, wer neue:r Juso-Bundesvorsitzende:r wird. Hier
       treten mit Sarah Mohamed und Philip Türmer zwei ähnlich aussichtsreiche
       Bewerber:innen gegeneinander an. Eine solche Konkurrenz um den Vorsitz
       gab es zuletzt vor 10 Jahren. Die 300 Delegierten des Bundeskongresses
       haben die Wahl zwischen zwei Kandidat:innen aus dem linken Lager, die
       für unterschiedliche Schwerpunkte stehen.
       
       Die 32-jährige Mohamed lebt in Bonn, wo sie Geschichte und Philosophie
       studiert hat. Als Jugendliche war sie in antifaschistischen Gruppen aktiv,
       über die Hochschulpolitik kam sie zu den Jusos. Sie setzt sich offensiv für
       die Rechte von Minderheiten ein, beschreibt sich selbst als queere Schwarze
       Frau und will Kämpfe für Gleichberechtigung mit dem Kampf für soziale
       Gerechtigkeit verbinden. „Mir ist wichtig, dass wir als Jusos wieder mehr
       Anschluss finden an die Klimabewegung, an antirassistische und
       feministische Bewegungen“, [2][sagte sie der taz, nachdem sie im September
       ihre Kandidatur erklärt hatte.] Sie wolle die Jusos „wieder sichtbarer als
       aktivistische Jugendorganisation“ machen.
       
       Linke gesellschaftliche Bewegungen zusammenzuführen ist aber auch das
       Anliegen von Philipp Türmer. In seiner Kandidatur erklärt er: „Die
       Gemeinsamkeit klima-aktivistischer, gewerkschaftlicher, feministischer und
       antirassistischer Bewegungen, ist der Kampf gegen den Kapitalismus.“
       
       ## Kritik an Scholz und Faeser
       
       Große inhaltliche Differenzen zwischen beiden Kandidat:innen gibt es
       also nicht, es sind eher Nuancen. Sein Schwerpunkt liege stärker auf dem
       Thema Verteilungsgerechtigkeit, erklärt Türmer. Der studierte Ökonom
       arbeitet derzeit an seiner juristischen Promotion. Thema: „Die Einziehung
       von Vermögenswerten im Strafrecht.“
       
       Beide eint zudem, dass sie den gegenwärtigen Kurs der SPD in der Regierung
       kritisch sehen und eine eigene Kandidatur für den Bundestag ausschließen.
       Während Mohamed den starken nordrhein-westfälischen Landesverband hinter
       sich hat, kann der Hesse Türmer auf ein gutes Netzwerk innerhalb der Jusos
       zählen. Die scheidende Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal hat es öffentlich
       vermieden, sich auf eine Seite zu schlagen.
       
       Spannend werden sicher auch die Debatten zu aktuellen politischen Themen,
       bei denen Jusos die SPD-geführte Ampel scharf kritisieren. Das ist zum
       einen die Asylpolitik. Sarah Mohamed sieht beim Thema Asyl „rote Linien
       überschritten.“ Die Politik der Ampel trage rassistische Züge, sagte sie
       der taz und das trage zum gegenwärtigen unterkühlten Verhältnis der Jusos
       zur SPD bei.
       
       Mohamed kritisiert vor allem den Kurs von Innenministerin Nancy Faeser und
       Bundeskanzler Olaf Scholz und deren von rechts getriebene Tonalität, man
       müsse jetzt in großem Stile abschieben. „Es ist an der Zeit, dass Menschen
       in der SPD dagegen aufstehen und klare Kante zeigen“, so Mohamed.
       
       Im Leitantrag des Bundesvorstands lehnen die Jusos die Einrichtung von
       Lagern an den Außengrenzen, ein wesentliches Element der von Faeser
       mitverhandelten Reform des europäischen Asylsystems, ab. Sie fordern
       stattdessen sichere Fluchtrouten und legale Fluchtmöglichkeiten. Jeder
       Mensch, der vor Verfolgung oder Armut fliehe, verdiene Schutz und Asyl in
       der Europäischen Union.
       
       Ein weiteres aktuelles Thema, welches auf dem Bundeskongress wohl ebenfalls
       zur Sprache kommen wird, sind die Konsequenzen aus dem Urteil des
       Bundesverfassungsgerichts. Das hatte am Mittwoch entschieden, [3][dass die
       Ampelregierung verfassungswidrig handelte,] als sie nicht abgerufene
       Kredite aus Zeiten der Corona-Pandemie in den Klimafonds umwidmete. Nun
       fehlen 60 Milliarden Euro für den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und
       Gesellschaft.
       
       ## Schuldenbremse abschaffen
       
       „Wenn dieses Geld im Klimafonds wegfällt, sehe ich schwarz für die
       Klimaziele“, so Türmer, die Ampel müsse deshalb jetzt fiskalpolitisch
       umsteuern. „Das einzig Richtige wäre es, die Schuldenbremse abzuschaffen
       oder zumindest auszusetzen. Dazu kann die Regierung den Klimanotstand
       ausrufen.“
       
       Für eine Abschaffung der grundgesetzlichen Schuldenbremse bräuchte die
       Ampel eine Zwei-Drittel-Mehrheit und die Stimmen der Union. Doch die ist
       absolut dagegen. In einer akuten Krise könnte der Bundestag die
       Schuldenbremse aber auch mit einfacher Mehrheit aussetzen. Allerdings
       spielt die FDP nicht mit, die auf der Bremse besteht.
       
       Die Jusos fordern in ihrem Leitantrag die Abschaffung der Schuldenbremse –
       „und das Urteil aus Karlsruhe hat uns in dieser Forderung bestärkt“, so
       Türmer.
       
       Egal, wer sich am Ende durchsetzt: Die SPD kann sich wohl darauf
       einstellen, dass die Jusos, die sich traditionell als linke Antreiberin
       ihrer sozialdemokratischen Mutterpartei verstehen, in Zukunft wieder
       aufmüpfiger und fordernder auftreten. Hubertus Heil, SPD-Arbeitsminister
       mit Juso-Vergangenheit, und Kevin Kühnert, Generalsekretär und ehemaliger
       Juso-Bundesvorsitzender, die am Samstag als Gastredner zum Bundeskongress
       kommen, können sich schon einmal warm anziehen.
       
       17 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://jusos.de/bundeskongress-2023/
   DIR [2] /Sarah-Mohamed-ueber-die-Jusos-in-der-SPD/!5954746
   DIR [3] /Grundsatzurteil-zu-Haushalt/!5969801
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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