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       # taz.de -- Minister für Staatsmodernisierung: Auf digitaler Mission
       
       > Karsten Wildberger soll ein Ministerium aufbauen, in dem Digitales nicht
       > nur ein Anhängsel ist. Er zeigt sich transparent und dialogbereit. Reicht
       > das?
       
   IMG Bild: Karsten Wildberger im Mai bei der Medienkonferenz Republica
       
       Berlin taz | Der Witz hätte ein Türöffner sein können. „Das ist der Mann,
       der uns früher Faxgeräte verkauft hat und sie uns nun wieder wegnehmen
       will“, kündigt der Moderator den neuen Digitalminister Karsten Wildberger
       auf der [1][Digitalkonferenz re:publica] an. Es ist einer von
       Wildbergers ersten öffentlichen Auftritten überhaupt als Minister, und er
       steht hier vor einem ziemlich digitalaffinen Publikum.
       
       Doch Wildberger nutzt den Witz nicht als Steilvorlage, um etwas
       Geistreiches zum Beispiel über die Relativität von Fortschritt und
       Digitalisierung zu sagen oder über den Zustand der deutschen Verwaltung.
       Stattdessen sagt er: „Eigentlich möchte ich das unkommentiert lassen – was
       die Faxgeräte angeht, macht die Firma da eher ein Trade-in, als dass wir
       die verkaufen.“ Trade-in wird es genannt, wenn Kund:innen ihr altes
       Elektronikgerät an einen Händler verkaufen und dafür einen Gutschein für
       ein neues bekommen. Und dass Wildberger hier „wir“ sagte und sich damit auf
       seinen ehemaligen Arbeitgeber, die MediaMarktSaturn-Gruppe, bezog, das war
       bestimmt nur ein Versprecher.
       
       ## Einzelteile aus sechs Ministerien zu einem machen
       
       Aber er ist ja noch neu in seinem Job als [2][Minister für Digitales und
       Staatsmodernisierung]. Auch wenn Zeit in politischen Dimensionen relativ
       ist: Innerhalb von vier Jahren hat er ein neues Ministerium aufzubauen und
       zum Laufen zu bringen, was für den Anfang heißt, die Digitalisierungsteile
       von sechs anderen Häusern zu fusionieren, vom Bundeskanzleramt über Inneres
       und Justiz bis Verkehr. Eine „Start-up-Mentalität“ nehme er in seinem Haus
       wahr, so berichtete Wildberger es im Bundestag. Zum Kennenlerntag ging es
       passend dazu ins Futurium, ein Museum in Berlin-Mitte, das sich als „Haus
       der Zukünfte“ bezeichnet.
       
       Der promovierte Physiker Wildberger selbst ist kein Politikgewächs. Er hat
       keine Parteikarriere hinter sich, kein Ministerium oder eine andere
       Behörde geleitet, er ist jemand Externes, wie es sich Kanzler Friedrich
       Merz für diesen Posten gewünscht hat. Erst im Mai ist Wildberger überhaupt
       in die CDU eingetreten.
       
       Was er mitbringt, ist stattdessen eine lange Karriere in der Wirtschaft,
       angefangen als Berater in einem Consultingunternehmen über Posten in
       Energie- und Telekommunikationskonzernen bis hin zu seinem letzten
       Job, den mit den Faxgeräten: Vorstandsvorsitzender der
       MediaMarktSaturn-Gruppe und in deren Mutterkonzern Ceconomy. Dort sollte
       er die beiden Elektronikketten, die in Sachen Digitalisierung lange hinter
       anderen Unternehmen lagen, nach vorne bringen. Analogien zu Deutschlands
       Digitalisierungsstand im Vergleich zu Ländern wie Estland oder Finnland
       liegen da durchaus nahe.
       
       Wildbergers neuer Arbeitsplatz in der Englischen Straße 30 in Berlin ist
       ein grauer, nüchterner Bürobau. Gegenüber eine Hotelkette, nebenan die
       Verkaufsräume einer hochpreisigen Automarke, um die Ecke die Spree. Zuvor
       saßen hier die Digitalabteilungen des Innenministeriums, etwas abseits von
       dessen Hauptgebäude. Das Büro von Betty Kieß, der Sprecherin des Ministers,
       liegt im zwölften Stock. Ein spektakulärer Ausblick über Berlin, über dem
       sich an diesem Julinachmittag die Wolken des nächsten Gewitters
       zusammenziehen. Trotz der Lage wollen Kieß und die anderen Mitarbeitenden
       hier weg: Das Haus ist zu klein. 150 Menschen passen in etwa rein, doch
       rund 500 arbeiten mittlerweile im Ministerium. In voller Personalstärke
       werden es um die 600 sein, schätzt Kieß.
       
       Neu ist hier nicht nur das Ministerium, sondern auch die Arbeitsweise.
       „Zwar kann man bei der Digitalisierung keinen Schalter umlegen, und auf
       einmal ist alles digital“, sagt Kieß. Aber während die Vorgänger, die das
       Digitale als Anhängsel an ihr Ministerium bekommen hatten, immer wieder
       daran scheiterten, soll es jetzt anders laufen.
       
       Die Bürger:innen und die Wirtschaft, so will es der Minister, sollen
       bald merken, dass sich Dinge verbessern. Zum Beispiel, weil
       Verwaltungssachen, für die man vorher auf eine Behörde musste, auf einmal
       schnell und digital und einfach gehen. „Missionen“ nennen sie daher hier
       die Projekte: sechs Monate, klar definiertes Ziel, abteilungsübergreifendes
       Arbeiten. Mitarbeitende können sich darauf bewerben, so sollen die
       Motiviertesten gewonnen werden. Eine der ersten Missionen: das Bündeln und
       Ausrollen von besonders nachgefragten Leistungen wie Wohnungswechsel oder
       Kfz-Ummeldung in einer bundesweit einheitlichen IT-Infrastruktur.
       
       „Das Arbeiten hier fühlt sich an wie building the plane while flying“ – das
       Flugzeug im Flug bauen –, sagt Kieß. Denn: Gesetzentwürfe müssen
       geschrieben werden, eine Haushaltsplanung gemacht; die normale
       Regierungsarbeit laufe, während man parallel dabei sei, die Strukturen
       aufzubauen, die unterschiedlichen Arbeitskulturen aus den entsendenden
       Häusern unter ein Dach zu bringen – und perspektivisch auch weiteres
       Personal zu suchen.
       
       Karsten Wildbergers Ansatz: Kommunikation. Zum Beispiel mit einem
       monatlichen Town-Hall-Meeting via Videokonferenz. Alle dürfen kommen,
       jede:r darf Fragen stellen, die auch direkt beantwortet werden. Auch bei
       seinen ersten öffentlichen Auftritten zeigt sich Wildberger als einer, der
       Brücken bauen möchte. Er spricht davon, „Sachen verstehen“ oder „in einen
       Dialog gehen“ zu wollen. „Ich möchte, wenn es Kritikpunkte gibt, anderen
       Sichtweisen zuhören und auch lernen“, sagte er auf der re:publica-Bühne.
       
       ## Schnelle Erfolge – oder lieber ein langfristiger Umbau?
       
       „Der Minister kommuniziert seine Anliegen frühzeitig und transparent, zum
       Beispiel das Organigramm des Hauses und seine inhaltlichen Prioritäten. Das
       sind gute Signale“, sagt Benedikt Göller von Agora Digitale Transformation.
       Die NGO beobachtet die Digitalpolitik der Bundesregierung genau und hat
       etwa die Digitalstrategie ausgewertet.
       
       Der Experte sieht vor allem eine Gefahr: dass das neue Ministerium, um
       schnelle Erfolge vorweisen zu können, zu stark auf kurzfristige Projekte
       setzt – und zu wenig in den langfristigen Umbau investiert. Denn es genüge
       nicht, die Verwaltung nur mit digitalen Tools auszustatten. Es brauche dort
       einen echten Paradigmenwechsel: von dem juristischen, prozessorientierten
       Ansatz, der derzeit vorherrsche, zu einem, der die Nutzenden und die
       Unternehmen, also die Adressat:innen von Verwaltungshandeln, in den
       Mittelpunkt stelle.
       
       „Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen und den Bürger:innen zu
       zeigen, wie sie sich einbringen können, wie sie Dinge verändern können und
       es dadurch für sie persönlich besser wird“, erklärt Göller den Ansatz. Das
       sei zum einen in Anbetracht der Digitalisierung notwendig, die für immer
       schnellere Veränderungen sorge. Zum anderen schaffe so eine
       Wirkungsorientierung Vertrauen in den Staat und dessen positive Effekte –
       in Zeiten von zunehmendem Rechtspopulismus ein wichtiger Faktor.
       
       Karsten Wildberger deutet zumindest an, dass er das Thema angehen will:
       Gute Gesetze müssten in der Praxis funktionieren, sagte er bei der
       Vorstellung des Expert:innenberichts der [3][Initiative für einen
       handlungsfähigen Staat] Mitte Juli. „Deshalb nutzen wir die Frühphasen
       besser: mit Reallaboren und mit dem Mut zum Neudenken,
       Klar-und-konsequent-Handeln – spürbar für Bürger, Unternehmen und
       Verwaltung“, erklärte der Minister.
       
       Doch es gibt auch Skepsis. Vor allem [4][Wildbergers
       Wirtschaftshintergrund] ist es, der bei Vertreter:innen der
       Zivilgesellschaft nicht gerade für einen Vertrauensvorschuss sorgt. „In
       Unternehmen gibt es ganz andere marktwirtschaftliche Logiken als bei der
       Zivilgesellschaft“, sagt Kai Dittmann von der [5][Gesellschaft für
       Freiheitsrechte] (GFF). Während bei Unternehmen eigene Interessen wie
       Renditen im Vordergrund stünden, gehe es bei zivilgesellschaftlichen
       Akteuren in der Regel um das Wohl der Gesellschaft, der Nutzer:innen. Das
       Internet anders zu denken, mit mehr nichtkommerziellen Orten, das werde für
       einen in Konzernen sozialisierten Menschen vermutlich viel schwerer.
       
       Und dann wäre da noch eines der ersten konkreten Ziele, die Wildberger
       direkt zum Start öffentlich kommunizierte: ein Digital Wallet. Das ist eine
       Art digitale Brieftasche, in der wichtige Dokumente wie Führerschein,
       Versicherungskarte oder Personalausweis auf dem Smartphone liegen und mit
       der sich Nutzer:innen zum Beispiel gegenüber Behörden oder Unternehmen
       ausweisen können. „Das ist eine Digitalisierung, die bei den Menschen
       ankommt“, warb Wildberger auf der re:publica für das Projekt.
       
       ## Fehler vom digitalen Führerschein nicht wiederholen
       
       Es ist nicht der erste Anlauf. Ein ähnliches Vorhaben der Bundesregierung
       ist schon mal spektakulär gescheitert: der digitale Führerschein. Vier
       Jahre ist es her, da wurde die offizielle Führerschein-App der damaligen
       schwarz-roten Bundesregierung nur eine Woche nach dem Start schon wieder
       aus den App-Stores entfernt. Sicherheitsforscher:innen hatten auf
       ernsthafte IT-Probleme hingewiesen. So eine Blöße wird sich das neue
       Ministerium nicht geben wollen.
       
       Er verstehe, dass Wildberger das Wallet in den Fokus nehme, sagt Kai
       Dittmann von der GFF: „Wenn es klappt, dann ist es etwas, das die Leute
       direkt sehen können.“ Aber es sei nun wirklich keines der drängenden großen
       Probleme der Digitalisierung, anders als zum Beispiel die überbordende
       [6][Macht der US-Techkonzerne], Deutschlands fehlende digitale
       Souveränität, Probleme bei der Cybersicherheit oder dass künstliche
       Intelligenz eher für unternehmerische Profite gedacht wird statt von der
       Frage her, wie sie der Gesellschaft dienen kann.
       
       Trotzdem üben sich die Akteur:innen in vorsichtigem Optimismus: „Es ist
       grundsätzlich gut, dass es ein Digitalministerium gibt“, sagt Kai Dittmann.
       Ein neues Ministerium berge die Chance, die auf verschiedene Häuser
       verteilten Kompetenzen neu und sinnvoll zu ordnen. Dem stimmt auch
       Agora-Experte Benedikt Göller zu: „Die Themen rund um die Digitalisierung
       werden uns weiter beschäftigen, und ihre Relevanz steigt.“ Daher geht er
       davon aus: Das neue Ministerium ist gekommen, um zu bleiben – auch nach
       dieser ersten Legislatur.
       
       11 Aug 2025
       
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