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       # taz.de -- Bundespolizei und Racial Profiling: Warum wird nur er kontrolliert?
       
       > Ein Mann soll sich ausweisen. Weil er schwarz ist, sagt er. Weil es nach
       > Marihuana riecht, sagt die Polizei. Unsere Autorin sagt als Zeugin vor
       > Gericht aus.
       
   IMG Bild: Nur eine Kontrolle? Oder Racial Profiling?
       
       Idriss K., der in diesem Text anonym bleiben möchte, ist mit dem Zug auf
       dem Weg nach Hamm. Er will einen Anzug für ein Vorstellungsgespräch kaufen.
       Nach dem Abitur kam K. mit 19 Jahren aus Kamerun nach Deutschland, er lebt
       mittlerweile seit zehn Jahren hier. An der Universität Bielefeld hat er
       gerade seine Masterarbeit in Wirtschaftsmathematik abgegeben. Der 26. Mai
       2015 beginnt wie ein ganz gewöhnlicher Dienstag.
       
       Der Regionalzug nach Düsseldorf ist gerade in Gütersloh abgefahren, als
       zwei Bundespolizisten in das obere Abteil treten, in dem K. und auch ich
       sitzen. Sie bleiben bei dem schwarzen Studenten stehen und fordern ihn auf,
       sich auszuweisen – zunächst ohne weitere Begründung. Ich sitze schräg
       gegenüber und bekomme das Gespräch mit: K. fragt, warum nur er angesprochen
       werde. „In Ihrer Reihe riecht es nach Marihuana, deshalb geben Sie mir
       jetzt ihren Ausweis“, antwortet einer der Polizisten knapp. K. diskutiert
       mit den Beamten, er versteht nicht, wie es in einem vollen Zugabteil nur in
       seiner Reihe nach Marihuana riechen kann.
       
       Trotzdem bietet er eine Taschenkontrolle an, sagt, er habe sich nichts
       vorzuwerfen. Die Polizisten beharren auf dem Ausweis. Der Wortwechsel wird
       lauter, beide Seiten sind gereizt. Der Student sagt, dass die Kontrolle
       unter Racial Profiling falle; also eine Kontrolle, deren Grundlage das
       physische Erscheinungsbild des Kontrollierten ist. In diesem Fall seine
       Hautfarbe. Die Polizisten streiten den Vorwurf ab. K. gibt den Beamten
       schließlich seinen Ausweis, den sie im Eingangsbereich des Zuges
       kontrollieren. Erst danach durchsuchen sie seine Tasche, seine Jacke und
       den Mülleimer an seinem Platz. Sie finden nichts.
       
       Ich schalte mich ein und frage, warum nicht mein Rucksack, der neben K.s
       Sitzbank steht, die Quelle des Marihuanageruchs sein könne. Mein Einwand
       wird ignoriert. K. verlangt Namen und Dienststelle der Polizisten. Er hat
       solche Kontrollen an Bahnhöfen und in Zügen schon häufiger erlebt und will
       diese nun anzeigen.
       
       ## Ich werde als Zeugin geladen
       
       „Das war sehr unfair und ich habe mich schikaniert gefühlt. Dass man an
       Grenzen mal kontrolliert wird, ist normal, aber dass ich mich als Einziger
       im Zug ausweisen soll, ist nicht in Ordnung“, sagt K. später. Auch ich habe
       die Kontrolle als unverhältnismäßig empfunden. Ich sichere K. daher zu,
       falls nötig vor Gericht auszusagen.
       
       Im Mai des Folgejahres bekomme ich Post vom Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück.
       Ich werde als Zeugin geladen und soll am 30. Juni 2016 die Geschehnisse vor
       Gericht schildern. In dem vierstündigen Prozess werden einige Fragen
       aufgeworfen: Hat es überhaupt nach Marihuana gerochen? Kann man einen
       Geruch zweifelsfrei einer Sitzreihe zuordnen? Warum gehen die Beamten für
       die Kontrolle des Personalausweises aus Sichtweite des Beschuldigten? Hätte
       er nicht in dieser Zeit etwaige Drogen verschwinden lassen können? Und
       wieso wird die Kontrolle nicht auf andere umliegende Sitznachbarn von K.
       ausgeweitet, mindestens aber auf meinen neben ihm stehenden Rucksack?
       
       Der Prozess nimmt an einigen Stellen groteske Züge an. Der Richter nennt K.
       einen „Klugscheißer“, der „etwas in den falschen Hals bekommen hat“. Die
       Bezeichnung Klugscheißer nimmt er später zurück, nennt ihn stattdessen
       „wertfrei einen Rechthaber“, der bei der Kontrolle „etwas sensibel“
       reagiert habe. Selbst er als Richter wäre genervt, würde er im Zug
       kontrolliert werden. In Deutschland gebe es aber kein Rassismusproblem bei
       der Polizei. In den USA etwa sei das eine ganz andere Sache.
       
       Auch ich werde während meiner Zeugenaussage gefragt, warum mich die
       Kontrolle so „bewegt“ habe. Für den Richter sei eine solche Kontrolle gang
       und gäbe, er hätte sie vermutlich gar nicht bemerkt, sagt er. Er resümiert,
       es habe vor allem ein Kommunikationsproblem der beiden Parteien gegeben,
       die Bundespolizisten hätten offenbar nicht deeskalierend agiert.
       
       ## K.s Anwalt sieht das Verfahren positiv
       
       Dem Prinzip des Racial Profilings steht in Deutschland der
       Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes entgegen: „Niemand
       darf wegen […] seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
       Heimat und Herkunft […] benachteiligt oder bevorzugt werden […]“ Das ist
       aber nicht der Grund dafür, dass das Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück das
       Verhalten der Polizisten letztlich als fehlerhaft einstuft.
       
       Für den Richter ist nicht entscheidend, ob K. wegen seiner Hautfarbe
       diskriminiert wurde. Die Bundespolizisten hätten mit einer
       Beschuldigtenbelehrung beginnen müssen. Denn mit der Begründung, dass es
       bei K. nach Marihuana rieche, sei dieser nicht nur Tatverdächtiger, sondern
       auch Beschuldigter, urteilt das Gericht. Diese enthält unter anderem den
       Hinweis auf das Recht zu schweigen.
       
       In dem Beschluss heißt es, dass „bei vernünftiger Würdigung des Falles
       andere anwesende Personen als Tatverdächtige ausschieden“. Das habe der
       befragte Beamte vor Gericht „klar und unmissverständlich dargelegt“. Die im
       Prozess aufgekommenen Fragen zu der widersprüchlichen Polizeipraxis werden
       nicht mehr genannt.
       
       K.s Anwalt Sven Adam sieht das Verfahren positiv, obwohl „der Kern der
       Angelegenheit nicht behandelt wurde“: „Wieder ist eine Kontrolle wegen der
       Hautfarbe vor Gericht gelandet und hatte Erfolg.“ Auch dieser Beschluss
       könne den öffentlichen Diskurs weiterführen. Er betreut häufiger Fälle von
       Racial Profiling. Wegen der aktuellen Diskussion über die Silvesternacht
       in Köln bekomme er gerade viele Presseanfragen. Dass am Ende nicht Racial
       Profiling, sondern „ein kleinerer Verfahrensfehler“ der gerichtliche
       Entscheidungsgrund ist, überrascht ihn nicht. Damit wird der Fall zu den
       Akten gelegt, denn selbst wenn K. wollte, könnte er gegen den Beschluss
       keinen Einspruch erheben.
       
       ## Rassistische Strukturen in der Polizei?
       
       Dass die Bundespolizei Beschwerde einlegt, hält der Anwalt für
       unwahrscheinlich. Das Hochkochen eines möglichen Racial-Profiling-Falls
       wäre für die Polizei zu brisant, mutmaßt Adam. Die Pressestelle der
       Bundespolizei gibt auf Anfrage an, sich nach einem Gerichtsbeschluss
       grundsätzlich nicht mehr zu einem Fall zu äußern. Der Beschluss zieht die
       Möglichkeit, dass der Marihuanageruch nur ein vorgeschobener Grund für die
       Kontrolle gewesen sein könnte, gar nicht in Betracht. Auch das sei typisch,
       sagt Adam: „Es kann halt nicht sein, was nicht sein darf.“ Er geht davon
       aus, dass die Bereitschaft, Fehler zuzugeben, bei den Behörden gering sei.
       Dass es auch unter Polizisten Rassisten geben könne, werde kategorisch
       ausgeschlossen. Gleichwohl stellt er ein Umdenken fest. Kontrollen wie in
       Köln, so Adam, hätten vor zehn Jahren noch kein großes Aufsehen erregt,
       jetzt würden sie immerhin von vielen Menschen problematisiert.
       
       Im Fall von Idriss K. vergingen von der Anzeige bis zum gerichtlichen
       Beschluss anderthalb Jahre. „Ich habe keine Energie mehr, mich weiter damit
       zu beschäftigen“, sagt der heute 29-Jährige. „Ich möchte mich jetzt auf
       meine berufliche Perspektive konzentrieren.“ Dass der Beschluss des
       Gerichts davon ausgeht, dass der Beamte Marihuana gerochen hat, kann er
       nicht nachvollziehen: „Das ist schon lächerlich. Und für mich schwer zu
       schlucken, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als es jetzt zu
       akzeptieren.“
       
       Der Anwalt bestätigt: „Beweistechnisch kann man nichts dagegen tun, wenn
       ein Polizist sagt, er habe etwas gerochen.“ Die Polizei habe solche
       Exit-Strategien bei Kontrollen auf der Suche nach illegalen Einwanderern
       nach einem Fall von 2012 entwickelt. Dort erregte eine Entscheidung des
       Verwaltungsgerichts Koblenz Aufsehen, nachdem ein Polizist vor Gericht
       angab, dass er den Kläger wegen seiner schwarzen Hautfarbe kontrolliert
       habe, da er illegale Einwanderer gesucht habe. Das Gericht stufte die
       Kontrolle auf Grundlage der Hautfarbe des Klägers als rechtswidrig und
       Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ein. Die Bundesrepublik
       entschuldigte sich daraufhin offiziell bei dem Kläger. Jetzt wurde also
       wieder eine Entscheidung in einem ähnlichen Fall getroffen.
       
       Adam ist überzeugt, dass das Gericht den Aussagen der Bundespolizei nicht
       vollständig geglaubt hat, jedoch „einen formellen Weg gewählt hat, um von
       Diskriminierung nicht sprechen zu müssen“. Solche Exit-Strategien erlebt er
       auch in anderen Racial-Profiling-Fällen: Die kontrollierten Personen sollen
       komisch geguckt, den Kapuzenpulli hochgezogen, hastig den Bahnhof verlassen
       haben, oder es bestehe eben der Verdacht auf Drogendelikte. Das, so Adam,
       sei eine Prozessstrategie der Beamten. Sie schreiben den Betroffenen
       „andere Gründe zu, um sich des Vorwurfs der Diskriminierung zu entledigen“.
       Aus der Entscheidung von 2012 hat man bei der Bundespolizei offenbar
       gelernt.
       
       22 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Linda Gerner
       
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