URI: 
       # taz.de -- Bundestagsdebatte zu Hongkong: Fadenscheinige Argumente
       
       > Wenn Deutschland nicht für Hongkong einsteht, sendet es an China einmal
       > mehr ein Signal: dass unser Gewissen käuflich ist.
       
   IMG Bild: In der Debatte um die Hongkong-Proteste sollten sich Politiker nicht von Peking beeinflussen lassen
       
       Vergangene Woche diskutierte der Bundestag über die Unterstützung der
       Freiheitsbewegung in Hongkong. Die Argumente waren teils fadenscheinig.
       Hongkong sei den Chinesen einst von der britischen Kolonialmacht abgepresst
       worden, man sei froh, dass dieses Unrecht endlich vorüber ist, so der Linke
       Stefan Liebich. Wahr ist: Das Unrecht hat in Hongkong unter dem Griff
       Pekings gerade erst begonnen.
       
       Historische Political Correctness kann nicht mit einem Freiheitskampf im
       Hier und Jetzt aufgewogen werden. Statt auf die aktuellen Hilferufe aus
       Hongkong einzugehen, zitiert Liebich die Hunnenrede, mit der Kaiser Wilhelm
       1900 eine Strafexpedition nach Peking schickte: „Kommt ihr vor den Feind,
       so wird er geschlagen, Pardon wird nicht gegeben.“
       
       Was Anklänge an Xi Jinping hat, der jüngst verkündete, Separatisten würden
       „die Knochen zu Staub zermahlen“, soll aus dem Mund des Linken-Politikers
       nur bedeuten: Wir haben einst Schuld aufgeladen und sollten nun den Mund
       halten. Dass man durch Wegsehen im Heute die historische Schuld von Morgen
       erschafft, weiß er als Deutscher hoffentlich.
       
       Frank Steffel (CDU) gab den Fatalisten: Hongkong sei schwach, auf das
       Festland angewiesen und ohnehin verdammt, in naher Zukunft im
       großchinesischen Reich aufzugehen – „Eine Unabhängigkeit Hongkongs zu
       fordern, ist mehr als unrealistisch.“ Dabei bringt er – unbewusst? – das
       Narrativ der chinesischen Staatsmedien ins Spiel. Separatismus kommt
       allerding entgegen den gebetsmühlenartigen Behauptungen aus Peking in den
       fünf Forderungen der protestierenden Mehrheit noch immer nicht vor. Auch an
       anderer Stelle ist Steffel eher am Puls der Staatspropaganda: Die Proteste
       seien, wo sie gewalttätig werden, „zu unterbinden“. Dass [1][die
       Eskalationsspirale] erst begann, nachdem man in Hongkong statt auf Dialoge
       auf Knüppel und Tränengas setzte, und eine immer gewaltbereitere Polizei
       immer weniger zur Rechenschaft gezogen wird, blendet er aus.
       
       Das große Hindernis liegt aber wohl weder in der Gewalt noch in der
       Kolonialschuld oder der vermeintlichen Aussichtslosigkeit, sondern in der
       Angst, [2][den Wirtschaftspartner China zu vergraulen]. „Wir müssen im
       Hinblick auf unser Verhältnis mit China Wirtschafts-, Außen-und
       Sicherheitspolitik und Menschenrechte zusammendenken“, sagt Metin Hakverdi.
       Und dann bemüht er die Phrase vom „Wandel durch Annäherung“, den „wir
       unbedingt weiter fortsetzen“ müssten. Dabei sind in Wahrheit wir es, die
       uns unter der wirtschaftlichen Abhängigkeit Chinas langsam zum Schlechten
       wandeln. Unsere Unternehmen üben Selbstzensur, wenn Peking poltert, man
       hätte mit einem Dalai-Lama-Zitat die „Gefühle des chinesischen Volkes
       verletzt“. Unsere Politiker lassen Freiheitsrechte nur noch in Worten,
       jedoch nicht mehr in Taten anklingen.
       
       Dabei hat China der Welt heute außer dem Versprechen auf mehr Wachstum
       nichts weiter zu bieten! Während immer mehr Menschen erkennen, dass „ewiges
       Wachstum“ ein fataler Irrglaube ist, müsste die frohe Botschaft eigentlich
       lauten, dass wir uns gar nicht mehr von China abhängig machen müssen!
       Unsere Wirtschaft und Politik muss nicht unbedingt von Menschen gelenkt
       werden, die bei Pekings Versprechen von „höher, schneller, weiter“ sofort
       in Ehrfurcht erstarren. Ohne den Glauben an endloses Wachstum verliert auch
       China seine Macht über uns.
       
       Die dringliche Wahrheit aber bleibt: Hongkongs Freiheitskampf ist auch
       unser Kampf. Denn auch wir haben es nun mit einer Supermacht zu tun, die
       demokratische Werte und Menschenrechte zu Hause als „Fake News aus dem
       Westen“ abstempelt. Und langfristig ist es der Kampf für unseren Planeten,
       der auch ohne Neue Seidenstraße vernarbt und ausgeblutet genug ist.
       
       Wenn wir nicht für Hongkong einstehen, senden wir an China einmal mehr das
       Signal, dass unser Gewissen käuflich ist und wir akzeptieren, dass
       universelle Menschenrechte, genauso wie der Kommunismus in China, nur noch
       leere Worthülsen einer neuen Weltordnung sind.
       
       Anmerkung: In einer früheren Version dieses Kommentars war Metin Hakverdi
       mit der Forderung nach einer Fortsetzung von „Wandel durch Handel“ zitiert
       worden, richtig ist aber, dass er von „Wandel durch Annäherung“ sprach. Wir
       bitten, den Fehler zu entschuldigen.
       
       15 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Politische-Gewalt-in-Hongkong/!5639271
   DIR [2] /Chinesische-Charmeoffensive/!5637031
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malenki Bischoff
       
       ## TAGS
       
   DIR Hongkong
   DIR Peking
   DIR Menschenrechte
   DIR Kommunismus
   DIR Krise der Demokratie
   DIR Krise der Demokratie
   DIR China
   DIR Hongkong
   DIR China
   DIR Hongkong
   DIR Hongkong
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Uni-Besetzung in Hongkong: Ausharren im Hörsaal
       
       Viele Protestierende haben die umzingelte Polytechnische Universität
       verlassen, aber nicht alle. Business-Angestellte demonstrieren in
       Solidarität.
       
   DIR Augenzeugenbericht aus Hongkong: Universitäten wie Schlachtfelder
       
       Der Dramatiker und Autor Pat To Yan erlebt die Kämpfe zwischen
       Oppositionellen und der Polizei hautnah. Hier schildert er seine Eindrücke.
       
   DIR Proteste in Hongkong: Vor dem Showdown
       
       Die Polizei hat Hunderte Menschen auf einem Hongkonger Universitätsgelände
       eingekesselt. Demonstranten behalten die Kontrolle über den Campus.
       
   DIR Neue Zusammenstöße in Hongkong: Polizist von Pfeil getroffen
       
       In Hongkong spitzt sich die Gewalt zwischen Demonstranten und Polizei
       weiter zu. Es fliegen Gummigeschosse und jetzt auch Pfeile.
       
   DIR Chinesische Charmeoffensive: Die schöne Welt von Huawei
       
       Kann man das 5G-Netz dem Huawei-Konzern anvertrauen? Keinem Unternehmen
       schlägt mehr Misstrauen entgegen als diesem Ausrüster. Ein Besuch.
       
   DIR Proteste in Hongkong: Drei Abgeordnete festgenommen
       
       Bei einer Mahnwache kam es Freitag zu Zusammenstößen zwischen Polizei und
       Demonstranten. Am Samstag wurden pro-demokratische Abgeordnete
       festgenommen.
       
   DIR Politische Gewalt in Hongkong: Messerstecher verletzt Politiker
       
       In Hongkong ist der umstrittene Politiker Junius Ho Kwan-yiu
       niedergestochen worden. Die Polizei prüft nun das Motiv des Angreifers.