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       # taz.de -- CDU-Politiker über Klimaziele: „Fleisch müsste teurer sein“
       
       > Martin Michalik (CDU) ist Vorsitzender von Bremens Klima-Enquete. Mit der
       > taz spricht er über Kritik am Gremium, Verbotspolitik und den
       > Fleischpreis.
       
   IMG Bild: Martin Michalik (CDU) bei der ersten Sitzung von Bremens Klima-Enquete im Mai 2020
       
       taz: Herr Michalik, woran liegt es, dass Bremen seine Klimaziele so krass
       verfehlt? 
       
       Martin Michalik: Zum Beispiel am Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. In
       den letzten zwölf Jahren wurde kein Meter Schiene gebaut! Wichtige
       Stadtteile wurden nicht erschlossen und die Attraktivität hat abgenommen.
       Das Problem ist nicht nur der Fahrpreis, sondern auch Taktung,
       Verbindungen, nicht funktionierendes WLAN oder schmutzige Busse. Ein
       schlafender Riese ist auch die energetische Sanierung von Gebäuden. Gerade
       öffentliche Gebäude haben eine Vorbildfunktion, hier hat man die Sanierung
       an vielen Stellen verschlafen.
       
       Glauben Sie, dass Anreize [1][beim ÖPNV] reichen, oder muss Autofahren auch
       unattraktiver werden? 
       
       Beides – denn das eine bedingt das andere. Mit mehr Park and Ride wäre
       vieles gewonnen. Und mit dem Ausbau der Radwege. Es ist zwar schön und gut,
       dass wir tolle Radwege rund um Viertel, Findorff und Neustadt haben – aber
       wir werden niemanden aus Osterholz dazu bewegen, mit dem Rad zu kommen,
       wenn die Infrastruktur dafür nicht gegeben ist. Wir müssen die Randgebiete
       mitdenken. Ich wohne in der Vahr, und im Stadtteil selbst ist die
       Infrastruktur gut.
       
       Aber der Weg in die Stadt nervt? 
       
       Genau. Ich arbeite in Huckelriede. Da fahre ich mit dem Rad hin, kein
       Problem. Aber die Strecke ist für ungeübte Radfahrer völlig unattraktiv! Es
       gibt vielfach keine Radwege, oder nur desolate oder schmale.
       
       Die Klimapolitik des Senats ist Ihnen zu langsam. Deswegen haben Sie auch
       die Enquete initiiert. Wie kam es dazu? 
       
       Dass die Klimaziele scheitern, wusste ich, als ich das Thema 2019 in der
       Fraktion übernahm. Wir haben uns gefragt, was uns als Opposition überhaupt
       übrig bleibt. Eine Enquetekommission als überparteiliches Gremium, in dem
       wir mit Experten auf Augenhöhe und frei von tiefer Ideologie reden, schien
       uns sinnvoller, als Anträge zu schreiben, die aus Prinzip abgelehnt werden.
       
       Einer der vielfach geäußerten [2][Kritikpunkte an der Kommission] ist, dass
       sie eine weitere Verzögerung sei. Glauben Sie, dass sie den Klimaschutz im
       Land beschleunigen kann? 
       
       Ja, tatsächlich. Ein Beispiel: In einer der ersten Sitzungen ging es um die
       Abstandspflichten für Solaranlagen auf Dächern. Kurz nach der Sitzung gab
       es plötzlich einen Erlass, dass dieser nicht mehr eingehalten werden muss –
       ein Erfolg der Enquete. Ich sehe Synergien – auch wenn viele nicht offen
       äußern, dass die Enquetekommission der Impulsgeber war. Letztens hat die
       Linksfraktion ein Papier zur Wärmeversorgung rausgebracht. Die Ideen sind
       komplett aus der Enquete abgeleitet. Ich habe auch das Gefühl, dass die
       Verzahnung der Akteure deutlich besser geworden ist.
       
       Vor wenigen Wochen haben Sie sich bei einem Online-Meeting, organisiert vom
       Denkhaus, den Fragen von Umweltaktivist*innen gestellt. Sie haben Ihnen und
       der gesamten Politik unter anderem Versagen vorgeworfen und dieses mit den
       Konsequenzen, die das in der freien Wirtschaft hätte, verglichen. 
       
       Der Vergleich hinkt. Wir müssen viele Interessen vertreten. Vernünftige
       Entscheidungen lassen sich eben nicht übers Knie brechen. Mit der Zeit
       lernt man, einen vernünftigen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, ohne
       alles kaputt zu machen. Man muss in der Politik wie beim Schach denken,
       also zwei Schritte voraus.
       
       Haben Sie überhaupt Verständnis für die geäußerte Ungeduld? 
       
       Ja. Aber ich hoffe, dass die Aktivist*innen erkennen, dass wir wirklich mit
       Hochdruck daran arbeiten, die Pariser Klimaziele zu erreichen.
       
       Viele Abgeordnete in der Enquete, auch Sie selbst, sprechen oft von der
       notwendigen gesellschaftlichen Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen. Ist das
       angesichts der Dringlichkeit nicht zweitrangig? 
       
       Jein. Wir müssen aus unserer Blase rauskommen: Wir machen Politik für das
       Bundesland Bremen, das zu großen Teilen aus Stadtteilen wie Gröpelingen,
       Osterholz, Oslebshausen, Bremen-Nord besteht. Wenn ich jetzt Menschen sage,
       ihr dürft nicht mehr mit dem Auto in die Stadt, aber jemand ist vollkommen
       drauf angewiesen, weil kein Bus fährt, wird es keine Akzeptanz geben. Man
       kann von den Menschen auch nicht verlangen, dass sie plötzlich Veganer
       werden. Ich finde, Verbote müssen wirklich das letzte Mittel sein.
       
       Die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen spielt für die Akzeptanz eine große
       Rolle. Ist diese Sorge sachgerecht, wenn man davon ausgeht, dass ein
       ökologisch verträgliches System sozial gerechter ist als das jetzige? 
       
       Ein ökologisch verträgliches System ist eben leider nicht automatisch
       sozial gerecht, genau darum geht es ja gerade in allen Fragen, für die wir
       Antworten suchen. Typisches Beispiel: Biofleisch ist deutlich teurer als
       anderes. Aber wer es sich nicht anders leisten kann, greift dazu, um
       Fleisch essen zu können. Das ist ein Dilemma. Wir wissen alle, dass Fleisch
       teurer sein müsste.
       
       Was wollen Sie damit sagen? 
       
       Ich will damit den Ist-Zustand beschreiben und sagen, dass ich auf der
       einen Seite die Sorge vieler teile, dass das Leben teurer wird.
       Andererseits halte ich Fleisch, das einfach viel zu billig verkauft wird,
       für schwer vertretbar. Es ist aber immer noch die Sache der Einzelnen, die
       es kaufen. Landwirte wären sicher auch dazu bereit, die Umstände für die
       Tiere besser zu gestalten, wenn die Leute bereit wären, mehr Geld zu
       zahlen. Da, wo die ökologischere Variante gleichzeitig ökonomischer ist,
       beim Radfahren oder beim Nutzen von Mehrwegflaschen oder LEDs, funktioniert
       das auch.
       
       Da schon, aber das stößt – bleiben wir ruhig einmal beim Fleisch – auf
       Grenzen. Denn da fehlt dann die Alternative, beziehungsweise die
       Alternative ist kein Fleisch. Ist das nicht auch mal okay? 
       
       Für mich ja, aber nicht für alle anderen. Es gibt ja Sachen, die
       nachweislich schlecht sind und dann auch sinnvollerweise verboten oder
       durch gesündere Varianten ersetzt werden wie Atomkraftwerke oder FCKW. Das
       ist bei Fleisch nicht so. Da ist das Problem eher das fehlende Gefühl für
       den Wert eines Lebewesens.
       
       Wie sind Sie eigentlich bei der CDU gelandet, wenn Ihnen Klimaschutz so
       wichtig ist? 
       
       Mit dem Thema Klima setze ich mich erst seit neun Jahren auseinander, seit
       ich Kinder habe. Zur CDU kam ich allerdings schon vor 20 Jahren. Ich bin in
       die Junge Union eingetreten. Auch weil ich nicht verstand, wie es eine
       Agenda 2010 geben konnte. Und gerade in Bremen war ich mit der SPD nicht
       zufrieden. Ich komme aus Polen, mit fünf Jahren bin ich nach Deutschland
       gekommen. Ich kreide der SPD sehr ihre Bildungspolitik an, unter der ich
       selbst gelitten habe. Ich habe nichts von Chancengleichheit gespürt.
       
       Schauen wir kurz in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, Sie geben Ende
       November den Abschlussbericht ab. Was hoffen Sie, wird zwei Monate später
       damit passiert sein? 
       
       Ich hoffe, dass die ständigen Gäste der Enquete den Bericht mit in ihre
       Institutionen nehmen. Dass der DGB, die Handelskammer, die Handwerkskammer
       das mit in die Unternehmen nehmen; dass die Metropolregion dafür sorgt,
       dass Weyhe das auch mitbekommt. Das große Ziel ist, dass wir auch nach
       außen Wirkung entfalten und andere sagen: Guck mal, von Bremen können wir
       alle lernen.
       
       8 Jan 2021
       
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