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       # taz.de -- Christopher Nolans Film „Oppenheimer“: Waffe für den Frieden
       
       > Im epischen Blockbuster „Oppenheimer“ hadert der berühmte Physiker mit
       > den Konsequenzen seiner Erfindung. Der Film suhlt sich in Geniekult.
       
   IMG Bild: Eheleute in der Anhörung: Kitty (Emily Blunt) und J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy)
       
       Wenn J. Robert Oppenheimers Gedanken in Christopher Nolans neuestem Film
       schweifen, sieht er einen Himmel mit pfeilartigen Wolken und Wellen, die
       sich durchs Bild spannen.
       
       Die Wolken werden sich als düstere Vision des Zeitalters nuklearer
       Interkontinentalraketen erweisen, die Wellen visualisieren Oppenheimers
       Arbeit zur Quantenmechanik. „Oppenheimer“ zeigt den Werdegang J. Robert
       Oppenheimers, der die Forschungseinrichtung in Los Alamos leitete, in der
       Wissenschaftler in den USA während des Zweiten Weltkriegs die Atombombe
       entwickelten.
       
       Nolans Film folgt seinem Protagonisten von der physikalischen
       Grundlagenforschung in den 1930er Jahren über die Entwicklung der Atombombe
       bis in die Nachkriegszeit.
       
       Oppenheimers Anhörung im Jahr 1954 vor dem Security Board der
       US-Atomenergiebehörde, das darüber befand, ob Oppenheimer auch unter den
       veränderten Vorzeichen des Kalten Krieges weiterhin Zugang zu geheimen
       Informationen haben sollte, ist seit Heinar Kipphardts „In der Sache J.
       Robert Oppenheimer“ auch in Deutschland halbwegs bekannt.
       
       ## Oppenheimers Werdegang
       
       In Nolans Film dient die Anhörung zu Beginn als Sprungbrett, um
       Oppenheimers Leben in den Jahren vor dem Atombombenprogramm zu skizzieren:
       Studienjahre in Europa, Rückkehr in die USA, Lehre in Berkeley. Nolan
       spielt recht bieder Pingpong: Aussage, Spielszene, Aussage, Spielszene.
       Inmitten des Edelreenactments bedient Nolan an Oppenheimers Werdegang etwas
       treudoof die Momente, in denen sich seine Wege mit Wissenschaftlern wie
       Niels Bohr oder Werner Heisenberg kreuzen.
       
       Während seiner Zeit an der University of California in Berkeley lernt
       Oppenheimer seine Langzeitgeliebte Jean Tatlock (Florence Pugh) und seine
       spätere Frau Kitty (Emily Blunt) ebenso kennen wie eine ganze Reihe
       späterer Mitarbeiter am Manhattan Project.
       
       Er engagiert sich für die gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter,
       besucht Veranstaltungen im Umfeld der kommunistischen Partei der USA und
       spendet für Menschen, die nach der Machtübertragung an Hitler aus
       Deutschland fliehen, und für die republikanische Seite im Spanischen
       Bürgerkrieg. Er wird über seinen Labornachbarn, den späteren
       Nobelpreisträger Ernest Lawrence, Teil des Atombombenprojekts.
       
       ## Die Rechnung ohne den Kalten Krieg gemacht
       
       Oppenheimer baut die Atombombe im Glauben an ein Wettrennen mit den Nazis
       und in der Hoffnung darauf, dass die Einsicht in ihr Vernichtungspotenzial
       ein Zeitalter des Friedens bedeuten wird, [1][hat die Rechnung aber ohne
       den Kalten Krieg gemacht].
       
       [2][Cillian Murphy, der schon bei „Inception“ (2010)] und [3][„Dunkirk“
       (2017) mit Nolan] zusammenarbeitete, konnte anscheinend nur mit dem
       Oppenheimer der Berkeley-Zeit etwas anfangen. Den Rest des Films spielt er
       den Protagonisten so zurückgenommen, dass er blass bleibt.
       
       Im gegenwärtigen US-Kino gibt es wenige Regisseure, bei denen das Faible
       für das Verfertigen filmischer Strukturen aus Zeitebenen und Erzählsträngen
       so ausgeprägt ist wie bei Christopher Nolan. Doch „Oppenheimer“ ist für
       Nolans Verhältnisse geradezu konservativ erzählt. Jede der drei Stunden des
       Films erhält einen Abschnitt: eine Stunde Vorgeschichte, eine Stunde
       Atombombenforschung und knapp eine Stunde Nachkriegszeit.
       
       ## Vom Ende her erzählt
       
       Das Grundgerüst des Films besteht aus zwei Strängen, einer farbig, einer
       schwarz-weiß, der eine linear von vorne erzählt, der andere vom Ende her.
       Zunächst scheint es, als würde Oppenheimers jeweilige Gegenwart in Farbe
       gezeigt und die Vorgriffe in die Zeit nach dem Krieg in Schwarz-Weiß. Doch
       das immerhin ist dann letztlich doch etwas anders.
       
       Für „Oppenheimer“ hat der Regisseur einen beeindruckenden Cast
       zusammengestellt, um das umfangreiche Figurentableau zu verkörpern.
       Entsprechend legt er den Schwerpunkt auf die Konflikte zwischen den
       Personen. Der Fortgang der Arbeit an der Bombe wird durch ein Goldfischglas
       mit Glasperlen dargestellt, die die Menge verfügbaren radioaktiven
       Materials darstellen. Als das Glas voll ist, ist die Bombe fertig.
       
       „Oppenheimer“ schildert die Geschichte des Films als die letzten Momente
       vor dem Eintritt in jenes Zeitalter atomarer Bewaffnung, das bis heute
       andauert. Als die Belegschaft von Los Alamos nach den
       [4][Atombombenabwürfen auf Hiroshima] und Nagasaki im August 1945 feiert
       und Oppenheimer als Direktor der Forschungseinrichtung eine Rede hält,
       überkommen ihn Schreckensvisionen.
       
       Nolans Film basiert auf der Biografie „American Prometheus: The Trial and
       Tragedy of J. Robert Oppenheimer“, die der [5][Historiker Martin J.
       Sherwin] und der Publizist Kai Bird nach mehr als 20 Jahren Arbeit 2005
       publizierten. Die Geschichte Oppenheimers als linker, jüdischer Physiker,
       der die Wissenschaftler in Los Alamos im Glauben an ein Wettrennen mit den
       Nazis lange genug zusammenhält, um schließlich die Atombombe
       fertigzustellen und dann mit den Folgen zu hadern, fasziniert bis heute.
       
       Christopher Nolan, einer der komplexitätsfreudigsten Regisseure des
       Gegenwartskinos, hat diese Faszination leider nur in einen etwas biederen,
       soliden, sehr epischen und sehr vom Geniekult geprägten Film übersetzt.
       
       20 Jul 2023
       
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