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       # taz.de -- Claudia Kemfert über Klimapolitik: „Das hätte nicht passieren dürfen“
       
       > Claudia Kemfert will Vertreter fossiler Energie nicht bei der
       > Klimakonferenz in Dubai dabei haben. Die Ökonomin prangert dringenden
       > Reformbedarf an.
       
   IMG Bild: Hält die Hände wie Merkel und an den Fossilen fest: Sultan Ahmed al-Dschaber
       
       taz: Frau Kemfert, bald beginnt die UN-Klimakonferenz in Dubai, die COP28.
       Der Vorsitzende ist dieses Jahr [1][Sultan Ahmed al-Dschaber], der
       gleichzeitig Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und Chef
       der staatlichen Ölgesellschaft Abu Dhabi National Oil Company ist.
       Konterkariert das nicht die gesamte Veranstaltung? 
       
       Claudia Kemfert: Eindeutig, diese Personalie beschädigt die Glaubwürdigkeit
       der UN-Klimakonferenz, da ein Interessenkonflikt besteht. Das hätte nicht
       zugelassen werden dürfen. Al-Dschaber sagt unverhohlen, dass nicht in
       Erneuerbaren, sondern in emissionsfreien Energien die Zukunft liege. Er
       will weiterhin fossile Energiequellen nutzen, und das CO2 soll offenbar auf
       wundersame Weise irgendwo gespeichert werden. Das wird so nicht möglich
       sein.
       
       Ist das Format der UN-Klimakonferenz nicht ohnehin aus der Zeit gefallen? 
       
       Im Gegenteil. Das Format an sich hat sich bewährt. Es ist sogar zeitgemäßer
       denn je und braucht einen höheren Stellenwert. Die UN-Klimakonferenz muss
       aber reformiert werden.
       
       Was schlagen Sie vor? 
       
       Es sollte reguliert werden, welche Lobbygruppen Zugang zur Konferenz
       bekommen. Es muss möglich sein, ohne Interessenvertreter der fossilen
       Industrien transparent und demokratisch über Klimaschutzmaßnahmen zu
       verhandeln. Deshalb sollte die Konferenz nur an Orten ausgetragen werden,
       an denen das garantiert ist.
       
       Auch muss hinterfragt werden, ob wirklich eine derart große Anzahl
       Teilnehmender nötig ist. Allein die Emissionen der Anreise sind riesig. Da
       könnte vieles reduziert und auf den Kern der Verhandlungen konzentriert
       werden. Es ist gut, dass die UN das Mandat haben. Aber die einzelnen Länder
       müssen stärker in die Pflicht genommen werden, ihre Ziele auch umzusetzen.
       Die klimaschädlichen Subventionen in den reichen Industrienationen müssen
       unbedingt abgeschafft werden. Dann könnte man einen Teil dieser Gelder
       dafür verwenden, die Klimaschäden im Globalen Süden zu bezahlen. Diese
       Frage drängt nämlich.
       
       Die Staatengemeinschaft wird sich bei der Konferenz wahrscheinlich nicht
       darauf verständigen, aus der fossilen Energie auszusteigen. Wird das in
       absehbarer Zeit kommen? 
       
       Jedenfalls ist das dringend notwendig. Wir wissen das seit 40 Jahren. Es
       dürften heute keine Investitionen mehr in fossile, sondern nur noch in
       erneuerbare Energien fließen, und zwar weltweit, auch in Deutschland. Aber
       selbst wir halten uns nicht dran, sondern machen neue Gaslieferverträge mit
       afrikanischen Staaten und bauen neue, völlig überdimensionierte
       LNG-Terminals. Das ist unehrlich und falsch.
       
       Wie zufrieden sind Sie klimapolitisch nach zwei Jahren mit der
       Ampelkoalition? 
       
       Ich schwanke zwischen Jauchzen und Seufzen. Einerseits gibt es viel
       Tatendrang beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Bundesregierung hat viele
       Barrieren abgebaut. Dadurch sind die Ausbauziele für 2030 endlich
       erreichbar geworden. Andererseits gibt es eine lange Liste von Zielen,
       insbesondere im Verkehrssektor und im Gebäudebereich, die sehr
       wahrscheinlich nicht erreicht werden.
       
       Die Erneuerbaren machen derzeit ungefähr ein Fünftel des gesamten
       Energieverbrauchs aus. Ist damit [2][Klimaneutralität] bis 2045 überhaupt
       möglich? 
       
       Zuallererst: 2045 ist zu spät! Wir müssen bis 2038 klimaneutral sein, um
       kompatibel mit den Zielen des Klimaabkommens von Paris zu sein.
       Grundsätzlich ist das möglich, wenn man denn will. Allerdings brauchen wir
       dafür in Sachen Klimaschutzmaßnahmen dringend einen Turbo. Beim
       Energiesektor tut sich einiges, der Kohleausstieg ist beschlossen und kommt
       vermutlich früher, weil sich Kohlekraftwerke wegen hoher CO2-Preise kaum
       mehr rechnen. Im höchsten Maße problematisch ist aber, dass im Verkehrs-
       und Gebäudesektor viel zu wenig passiert.
       
       Wird die Bundesregierung ihre eigenen Klimaziele für 2030 verfehlen? 
       
       Das ist leider hochwahrscheinlich. Einzig beim Ausbau der Erneuerbaren sind
       die Ziele erreichbar. Bei anderen Zielen, etwa beim Wasserstoff-Ausbau oder
       der Anzahl von Wärmepumpen oder Elektrofahrzeugen samt Ladepunkten, sieht
       es nicht gut aus. Diese Ziele werden aller Voraussicht nach nicht erreicht.
       
       Im Zuge der Debatte über das Heizungsgesetz gab es in Bezug auf die
       Klimapolitik einen massiven Stimmungsumschwung. Ist die eingeschlagene
       Energiewende umkehrbar? 
       
       Nein, dafür ist der Markt viel zu weit fortgeschritten. Beim Ausbau der
       Erneuerbaren, der Elektromobilität oder den Wärmepumpen etwa ist die
       Gewinnschwelle schon erreicht. Es ist schlicht billiger, sich eine
       Wärmepumpe einzubauen zu lassen als eine Gas- oder gar Ölheizung. Auch
       Elektroautos werden preiswerter und attraktiver. Andere Länder investieren
       massiv in Zukunftstechnologien.
       
       Aber mittlerweile wird in der Gesellschaft Klimaschutz immer mehr als
       Bedrohung angesehen. 
       
       Das ist nicht neu. Seit über 40 Jahren wird uns anhand von Fake News der
       Mythos eingeredet, dass Klimaschutz eine Bedrohung sei. Dabei ist die wahre
       Bedrohung die immer schneller wachsende Klimakrise! Durch diese
       interessengeleitete Manipulation der Öffentlichkeit wird echter Klimaschutz
       effektiv aufgehalten. Umso wichtiger ist es, Klimaschutz als eine
       gemeinschaftliche und demokratische Aufgabe anzunehmen und entsprechend zu
       handeln. Statt polarisierende, aggressive Desinformationskampagnen
       brauchen wir wissenschaftliche Fakten und klare Informationen, um wieder
       Ruhe in die Debatte zu bringen.
       
       Gehört dazu nicht auch, ehrlich zu sagen, dass es echten Klimaschutz ohne
       Verzicht nicht geben kann? Oder ist grünes Wachstum ein Versprechen, das
       eingehalten werden kann? 
       
       Die „Verzicht“-Debatte stammt auch aus dem Drehbuch der fossilen Lobby. Ist
       es Verzicht, wertvolle Rohstoffe zu vergeuden oder teure Heizwärme aus
       ungedichteten Häusern verpuffen zu lassen? Es geht um die Vermeidung von
       Verschwendung. Emissionsintensive Privilegien weniger müssen aufgegeben
       werden, die unsere Welt in eine Schieflage bringen. Fakt ist:
       Emissionsintensive Lebens- und Wirtschaftsweisen sind nicht zukunftsfähig.
       Grünes Wachstum wird nicht reichen. Wir brauchen eine Welt der
       vorsorgeorientierten Postwachstumsökonomie.
       
       Was heißt das? 
       
       Klima- und umweltschädliche Bereiche schrumpfen. Bereiche, die zum
       Erreichen der Klimaziele wichtig sind, wachsen. Soziale Bedürfnisse der
       Gesellschaft, wie Pflege, Gesundheit, Bildung und Kultur, gewinnen an
       Bedeutung. Hier wäre Verzicht der völlig falsche Ansatz.
       
       Inwiefern? 
       
       Ein Beispiel: Im Energiebereich gibt es furchtbar viel Verschwendung. Die
       ist verzichtbar. Enorme Mengen verschwendeter Energie lassen sich allein
       schon – ohne Komfortverlust – durch die Nutzung von Wärmepumpen einsparen.
       Und beim Verbrennungsmotor geht unproduktiv bis zu 80 Prozent der Energie
       verloren, wohingegen ein Elektrofahrzeug den eingesetzten Strom fast ohne
       jeden Verlust nutzt. Im gesamten Energiesystem kann auf diese Weise fast
       die Hälfte der Primärenergie eingespart werden. Hier macht „Verzicht“ – im
       Sinne von „Verschwendung vermeiden“ – total Sinn.
       
       Aber schauen Sie: 90 Prozent aller Autos stehen 23 Stunden am Tag herum und
       vergeuden Platz und Ressourcen, die wir anderweitig besser verwenden
       könnten. Und hier beginnt das Gegenteil von Verzicht, nämlich der Gewinn an
       Lebensqualität: Moderne Städte, also nicht die Auto- und Betonwüsten der
       Vergangenheit, sondern Städte des 21. Jahrhunderts bieten saubere Luft,
       Ruhe statt Lärm und Grünanlagen als Orte der Begegnung. Kopenhagen, Paris
       und Barcelona machen es gerade vor.
       
       Wird durch die Transformation die industrielle Basis in Deutschland
       verloren gehen? 
       
       Nein, absolut nicht. Emissionsintensive Bereiche schrumpfen,
       emissionsfreie wachsen. Genau darum geht es beim Strukturwandel zur
       Klimaneutralität. Die Warnungen vor einer [3][angeblichen
       Deindustrialisierung] sind erstens nicht neu und zweitens überwiegend
       faktenbefreites Lobbygetöse. So wurde sehr lange und leider sehr
       erfolgreich verhindert, dass wir nicht schon jetzt in einer klimagerechten
       Wirtschaftswelt leben. Es geht nicht um De-, sondern Re-Industrialisierung.
       Die wirtschaftlichen Chancen sind riesig. Wir müssen nur endlich loslegen!
       
       23 Nov 2023
       
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