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       # taz.de -- Clubnacht im Gretchen: Kuduro ist der neue Samba
       
       > Clubmusik aus dem lusophonen Afrika ist in. Das Austauschprojekt
       > „LusAfro“ vereint die besten VertreterInnen nun im Gretchen Club.
       
   IMG Bild: Verbinden afrofuturistische Ästhetik mit Kuduro und anderer Global Ghetto-Clubmusic: Gato Preto
       
       Ein Akkordeon-Loop läuft über einen schleppenden Beat. Dann switcht der
       Track auf die doppelte Geschwindigkeit, um nach einer Weile langsamer zu
       werden. Für sein Halftime/Doubletime-Stück „Fun Fun Fun“ hat der Berliner
       Produzent und DJ Daniel Haaksman den frenetischen Funaná-Rhythmus der
       Kapverden mit jamaikanischen Dancehall und US-amerikanischen Trap gekreuzt
       – entstanden ist ein Song, der wohl auf jeder Tanzfläche funktioniert.
       
       „Der portugiesische Kuduro-König DJ Marfox hat „Fun Fun Fun“ den ganzen
       Sommer gespielt und auch [1][einen Remix] produziert“, erzählt Haaksman.
       Und so wurde der Track zu einer Art Hymne des „LusAfro“-Projekts.
       
       Das Projekt bringt MusikerInnen aus dem lusophonen, also
       portugiesischsprachigen Afrika, der Diaspora in Portugal und aus
       Deutschland zusammen. Zum Auftakt trafen sich im April mehr als 20
       MusikerInnen in Praia, der Hauptstadt der Kapverdischen Inseln. In nur
       wenigen Tagen, die mit Workshops, Vorträgen und Konzerten vollgepackt
       waren, wurden in jeder freien Minute Sessions und Aufnahmen gemacht. Die
       ersten Ergebnisse wurden auf Open-Air-Konzerten bei der „Odyssee“-Roadtour
       des WDR Cosmo im Sommer im Ruhrgebiet vorgestellt.
       
       Am Sonnabend ist der vorläufige Abschluss des Projekts im Gretchen: Im
       Rahmen der WDR-Cosmo-Club-Reihe „Big Up!“ werden die LusAfro-MusikerInnen
       in wechselnden Formationen auf der Bühne stehen – darunter der bekannte
       kapverdische Rapper Hélio Batalha, die mosambikanische HipHop-Queen
       [2][Dama do Bling] und der smarte, junge Afrohouse-DJ Buruntuma aus
       Guinea-Bissau.
       
       ## High-Speed-Hybrid aus Semba und Eurodance
       
       Nicht zuletzt wird eine schon auf den Kapverden gefeierte Zusammenarbeit
       fortgesetzt, wenn Fattú Djakités hypnotischer kreolischer Gesang auf den
       gebrochenen Electro-Dub von Berlins Underground-Darling Perera Elsewhere
       trifft.
       
       Aber warum interessieren sich Musiker aus Deutschland ausgerechnet für
       zeitgenössische Sounds aus dem portugiesischsprachigen Afrika? „Weil die
       Musik aus dem lusophonen Afrika so reichhaltig und wenig bekannt ist“, sagt
       Christine Semba von Piranha Arts, die „LusAfro“-Projektleiterin.
       
       Der Berliner Festivalveranstalter hat das von der Kulturstiftung des Bundes
       finanzierte Projekt entwickelt und gemeinsam dem Radiosender WDR Cosmo, dem
       Funkhaus-Europa-Nachfolger ausgetragen.
       
       Unterstützt wurden sie von der kleinen Szene in Deutschland, die sich den
       Trends und Traditionen der lusophonen Welt verschrieben hat. Daniel
       Haaksman gehört mit seinem Label „Man Recordings“ ebenso dazu wie das
       Berliner Afro-Electro-Duo Africaine 808 und die Düsseldorfer
       Kuduro-Rap-Bass-Combo [3][Gato Preto] mit ihrer quirligen Frontfrau Gata
       Misteriosa.
       
       ## Afrikas lebendige Clubszenen
       
       Tatsächlich haben jene Regionen Afrikas nicht nur oft unterschätzte
       musikalische Traditionen, sondern auch eine lebendige zeitgenössische Szene
       – besonders in der Diaspora in Portugal. Daniel Haaksman hat einen
       Vergleich parat: „Früher ist aus dem angolanischen Semba in Brasilien der
       Samba geworden. Heute kommt aus den lusophonen Ländern neue, aufregende
       Dance Music.“ In den Musseques, den Armenvierteln Luandas, wurde etwa in
       den 1990ern der Kuduro populär, ein Hochgeschwindigkeits-Hybrid aus Semba
       und Eurodance.
       
       „In Lissabon, wo in der Peripherie viele Menschen mit Wurzeln im
       portugiesischsprachigen Afrika leben, haben die Jungs von Buraka Som
       Sistema aus dem Kuduro eine Musik gemacht, die wie eine
       angolanisch-portugiesische Version von Club-Musik und Rap klingt. Damit
       sind sie bis in die europäischen Charts gelangt.“
       
       ## Berlins lusophone Community
       
       Der bekannteste der Buraka-Nachfolger ist DJ Marfox. Der DJ, dessen Familie
       aus São Tomé und Príncipe kommt, wird im Gretchen ein Set spielen und
       betont, wie stolz er darauf sei, dass er mit dem Sprung seines
       DJ-Kollektivs und Labels Príncipe aus der Vorstadt Lissabons in die großen
       Clubs seine von ihm ausgesuchten Tracks der ganzen Welt näherbringen könne.
       
       Dass das „LusAfro“-Projekt in Berlin endet, liegt nahe. Viele der
       beteiligten MusikerInnen sind hier ansässig. Im internationalisierten
       Berlin hat sich ohnehin längst eine lusophone Community angesiedelt.
       
       So lebt hier unter anderem der Angolaner Kalaf Epalanga, früher MC bei
       Buraka Som Sistema, der mit dem Londoner Seiji das neue Album von Dino
       D’Santiago produziert, eines der in seiner Heimat populärsten Sänger der
       Kapverden. Man darf gespannt sein, wie die samtene Stimme D’Santiagos und
       Broken Beats zusammenpassen.
       
       Gelegentlich hört man, dass solchen gut gemeinten Austauschprojekte
       zwischen Europa und Afrika wie „LusAfro“ oft keine nachhaltige Wirkung
       haben und an den Bedürfnissen der afrikanischen Künstler vorbeigehen. Am
       Ende entsteht dann vielleicht eine künstlerisch wertvolle CD-Compilation,
       für die es aber nirgendwo einen Markt gibt.
       
       ## Netzwerk erfolgreich geknüpft
       
       Im Falle von „LusAfro“ scheint aber schon mal die Chemie zwischen den
       MusikerInnen zu stimmen. Für Christine Semba von Piranha Arts hat das
       Projekt jedenfalls die Erwartungen übertroffen, weil sich eine
       „unglaubliche kreative Dynamik“ entwickelt habe. Das Interesse, „LusAfro“
       weiterzuführen, sei groß.
       
       Am wichtigsten ist, so Daniel Haaksman, dass eine Art Netzwerk entstanden
       ist, das auf längerfristige Kooperationen hoffen lässt. Mit Dirk Leyers und
       DJ Nomad von Africaine 808 will Haaksman auf jeden Fall auch noch mal auf
       die Kapverden fahren, um in Ruhe weitere Aufnahmen zu machen. „Kontakte zu
       Musikern vor Ort haben wir ja jetzt.“
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       22 Nov 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://soundcloud.com/manrecordings/funfunfun-dj-marfox-remix-1
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=PcVwTexaDKI
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=EIYvyZBmN3s
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ole Schulz
       
       ## TAGS
       
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