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       # taz.de -- Contergan-Skandal: Das Firmenarchiv ist zu
       
       > Die NRW-Landesregierung will prüfen, ob der Hersteller des Schlafmittels
       > seinerzeit von Politikern oder Beamten gedeckt wurde.
       
   IMG Bild: Szene aus dem Fernsehfilm „Eine einzige Tablette“.
       
       DÜSSELDORF taz | Mehr als 50 Jahre nach dem Contergan-Skandal lässt das
       nordrhein-westfälische Kabinett den Anteil des Landes an der Katastrophe
       aufarbeiten. Im Auftrag der grünen Gesundheitsministerin Barbara Steffens
       soll ein Team um den in Münster lehrenden Historiker Thomas Großbölting
       untersuchen, ob Nachlässigkeit oder gar Kumpanei mit dem
       Contergan-Hersteller Grünenthal den Skandal vergrößert haben.
       
       Steffens’ Arbeitsauftrag an die Wissenschaftler lautet: „Gab es Dinge, die
       nach damaligem Recht nicht korrekt gelaufen sind – oder war das damalige
       Recht defizitär?“
       
       Das NRW-Innenministerium hatte die Herstellung des Contergan-Wirkstoffs
       Thalidomid als Arzneimittel 1956 genehmigt. Seit Jahrzehnten kursieren
       Spekulationen, Politik und Ministerialbürokratie hätten Grünenthal aus
       wirtschaftlichen Gründen gedeckt. Die Chemiefirma aus Aachen galt als
       Arbeitsplatzgarant – und Contergan war ein Verkaufsschlager: 1961 betrugen
       die Verkaufserlöse fast 12 Millionen Mark.
       
       Grünenthal musste das Schlafmittel Ende November 1961 vom Markt nehmen. Der
       Zusammenhang mit massiven Missbildungen Neugeborener war offensichtlich.
       Allein in Deutschland kamen rund 5.000 Kinder zur Welt, denen Arme, Beine,
       innere Organe fehlten. Trotzdem wurde das folgende Gerichtsverfahren 1970
       wegen „geringfügiger Schuld der Angeklagten“, darunter
       Grünenthal-Eigentümer Hermann Wirtz, und „mangelnden öffentlichen
       Interesses an der Strafverfolgung“ eingestellt.
       
       Anhand von Originaldokumenten wollen die Wissenschaftler nun prüfen, ob die
       damalige NRW-Landesregierung und ihre Behörden „politisch angemessen“
       reagiert haben. „Wir haben die Akten der Ministerien – und die
       Korrespondenz ihrer Abteilungen untereinander“, freut sich der Historiker
       Großbölting. Auch sämtliche Schriftstücke, die von der Staatsanwaltschaft
       Aachen bei Grünenthal beschlagnahmt wurden, liegen vor.
       
       Auf eine aktive Mitarbeit des Contergan-Herstellers aber werden die
       Wissenschaftler wohl verzichten müssen: Die Firma verweigert seit
       Jahrzehnten jeden Einblick in ihr Archiv.
       
       Der Bundesverband Contergangeschädigter begrüßt die NRW-Initiative, fordert
       aber weiter ein Schuldanerkenntnis und angemessene Entschädigungszahlungen
       von Grünenthal. „Dem Hersteller ist es gelungen, die Kosten für den Skandal
       auf die Allgemeinheit abzuwälzen“, so Sprecherin Margit Hudelmaier:
       „Grünenthal hat insgesamt 100 Millionen Euro gezahlt. Seit 2012 gibt uns
       der Bund für angemessene Renten 120 Millionen – jährlich.“
       
       29 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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