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       # taz.de -- Corona-Impfungen für Kinder: Wirtschaft versus Wissenschaft
       
       > Berlins Regierungschef und die Wirtschaftssenatorin fordern eine
       > Impfempfehlung für Kinder. So diskreditieren sie Wissenschaft und
       > Forschung.
       
   IMG Bild: In Rumänien, wo Ramona Pop geboren ist, werden 12- bis 15-Jährige gegen Corona geimpft
       
       Eine Lehre aus der Coronapandemie ist, dass Politik und Wissenschaft
       voneinander lernen und profitieren können, wenn sie sich und ihre jeweilige
       Arbeitsweise respektieren. Selten hatten Forscher*innen eine so hohe
       Bedeutung für die öffentliche Debatte; selten hat Politik so demütig
       Unwissenheit eingestanden.
       
       Auf das Verhältnis zwischen beiden angesprochen, hatte Berlins Regierender
       Bürgermeister Michael Müller (SPD) im vergangenen Sommer [1][der taz
       gesagt]: „Wo wir ohne diese Experten und medizinische Einrichtungen wie der
       Charité wären, sieht man in anderen Ländern.“ Und weiter: Die
       Wissenschaftler*innen „gehen in die Öffentlichkeit, sie erklären einen
       Weg und sie unterstützen damit die Politik“.
       
       Allerdings – so muss man mit Blick auf die jüngsten Äußerungen von Müller
       und seiner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) wohl sagen – gilt das
       nur, wenn die Wissenschaft auch genau das unterstützt, was die Politik
       will.
       
       Konkret geht es um die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zur
       Impfung von Kindern und Jugendlichen gegen Corona. Bisher hat die
       Kommission diese für 12- bis 17-Jährige nicht generell empfohlen,
       [2][sondern nur für junge Menschen mit Vorerkrankungen]. Die mit
       hochrangigen Wissenschaftler*innen besetzte Stiko soll, so heißt es
       beim zuständigen Robert Koch-Institut, bei ihrer Empfehlung nicht nur den
       Nutzen für das geimpfte Individuum, sondern für die gesamte
       Bevölkerung berücksichtigen; sie orientiere sich an den Kriterien der
       evidenzbasierten Medizin. Sie hat eine Abwägung getroffen, die übrigens
       auch von vielen Kinderärzt*innen als angemessen eingeschätzt wird.
       
       ## Sorge vor einem erneuten Lockdown
       
       Müller und Pop, die angesichts von steigenden Infektionszahlen in einigen
       europäischen Ländern offenbar [3][die Sorge vor einem baldigen erneuten
       Lockdown umtreibt,] passt diese Empfehlung nicht mehr. „Die Stiko muss
       überdenken, ob sie nicht aufgrund der Delta-Variante eine Impfempfehlung
       für Jugendliche ausspricht“, forderte Pop am Dienstag. Dabei ist sie im
       Senat gar nicht für Gesundheit zuständig; das ist Dilek Kalayci, die sich
       bisher nicht dazu geäußert hat. Erneut entsteht in der Pandemie so der
       Eindruck, dass es weniger um die wirklichen, in diesem Fall sehr
       individuellen Belange der Kinder und Jugendlichen geht, sondern um die
       Wirtschaft.
       
       Bereits am Sonntag hat Müller, auch er kein Mediziner,
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufgefordert zu klären, „ob man
       nicht anhand einer größeren Datenbasis eine gute Empfehlung auch für Kinder
       aussprechen kann und das Impfen wirklich vorantreiben kann“. So wird
       politischer Druck ausgeübt: Dabei weiß Müller, der auch
       Wissenschaftssenator ist, dass Ergebnisse die Folge von Forschung sind und
       nicht umgekehrt. Mit ihren Forderungen schwächen Müller und Pop die
       Wissenschaft, die sie sonst so gerne als Aushängeschild Berlins vor sich
       hertragen und von der die Politik angeblich so profitiert.
       
       30 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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