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       # taz.de -- Corona in Großbritannien: Delta auf dem Vormarsch
       
       > In England lässt die Corona-Variante die Infektionszahlen wieder steigen
       > – trotz hoher Impfquote. Doch noch ist offen, wie gefährlich sie ist.
       
   IMG Bild: Gehört jetzt auch zu den 60 Prozent der geimpften Brit*innen: Studentin im Londoner Impfzentrum
       
       Manchmal reichen wenige Wochen, und aller Erfolg im Kampf gegen Corona
       scheint zunichte gemacht. Großbritannien jedenfalls erlebt nach Monaten, in
       denen Impfungen und Maßnahmen die Pandemie fast vollständig eindämmten,
       eine Rückkehr von Sars-CoV-2. Die Zahl der Infektionen im Königreich hat
       sich zuletzt innerhalb von 14 Tagen verdoppelt. Landesweit liegt die
       7-Tage-Inzidenz wieder bei 63, im Nordwesten Englands teilweise sogar
       wieder weit im dreistelligen Bereich. Und wie zuvor, wenn die Zahlen
       stiegen, wird auch dieses Mal eine Mutante des Coronavirus dafür
       verantwortlich gemacht.
       
       Es handelt sich um eine Sublinie der Sars-CoV-2-Mutante B 1.167, die B
       1.167.2 oder, kurz „Delta“ genannt wird. Das Virus besitzt eine Mutation
       weniger als die Schwestervariante, bindet aber ebenfalls besser an
       menschliche Zellen als frühere Sars-CoV-2-Linien. Delta ist daher
       vermutlich noch ansteckender als die einst gefürchtete Mutante B.1.1.7. Das
       Risiko, die Menschen im eigenen Haushalt zu infizieren, sei bei Delta
       schätzungsweise 60 Prozent höher als bei Alpha, teilte die englische
       Gesundheitsbehörde am Freitag mit. Und es könnte aufgrund einer recht
       speziellen Mutation vom Immunsystem des Menschen auch weniger gut erkannt
       werden.
       
       Darauf soll inzwischen zumindest eine Untersuchung an 250 einfach oder
       vollständig mit Biontech geimpften Personen hinweisen, die kürzlich als
       Kurzbericht [1][im Fachblatt Lancet veröffentlicht wurde]. Wissenschaftler
       vom Londoner Francis Crick Institute und anderen Forschungseinrichtungen
       hatten geprüft, ob der Impfschutz im Blutserum der Studienteilnehmer
       ausreichen würde, verschiedene Coronavirus-Varianten in einem Laborversuch
       abzufangen – also mit Hilfe von Antikörpern zu neutralisieren.
       
       Den Ergebnissen der Studie zufolge sind diese Antikörper gegen die
       Delta-Mutante im Laborversuch nach nur einer Dosis Impfstoff deutlich
       weniger schlagkräftig als gegen andere Varianten von Sars-CoV-2.
       Insbesondere einfach Geimpfte müssten demnach vorsichtig bleiben, um eine
       Infektion zu vermeiden und den Erreger nicht weiterzugeben.
       
       Der möglichen Schlussfolgerung, dass die erste Impfdosis fast nutzlos gegen
       die Delta-Variant ist, widersprechen Fachleute aber deutlich. „Die Daten
       können uns nicht sagen, ob die Impfstoffe weniger effektiv sind wenn es
       darum geht, schwere Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle zu
       verhindern“, sagte die Immunologin Eleanor Riley von der University of
       Edinburgh dem britischen Science Media Centre nach Erscheinen der
       Lancet-Studie. Man müsse warten, bis auch Untersuchungen zu dieser
       entscheidenden Frage vorliegen.
       
       Bisher ist offen, ob nach den Neuinfektionszahlen in Großbritannien die
       Todeszahlen zunehmen werden. Die Hospitalisierungen sind zuletzt leicht
       gestiegen, die Zahl der Coronatoten liegt dagegen weiterhin fast
       unverändert bei unter 10 pro Tag. „Es gibt Gründe, optimistisch zu sein“,
       meint Eleanor Riley. Denn neben den Antikörpern wird im Körper durch die
       Impfung eine zweite Verteidigungslinie durch T-Zellen gebildet.
       
       Diese Abwehrzellen verhindern keine Infektion mit dem Virus, aber sie
       bekämpfen den Erreger im Fall einer Ansteckung sehr viel differenzierter
       als die Antikörper – und sie mildern oder verhindern trotz Infektion die
       Erkrankung. In der viel beachteten Studie aus Lancet wurde diese Reaktion
       des Immunsystem in Bezug auf die Mutanten gar nicht untersucht. Tatsächlich
       wurden nicht einmal konkrete Ansteckungen untersucht – es wurden lediglich
       Antikörper in Blutseren getestet, was wichtige Hinweise liefern kann. Mehr
       aber auch nicht.
       
       ## Kanzlerin in Sorge
       
       Auch in Deutschland wird die Entwicklung jenseits des Kanals genau
       verfolgt. „Das, was uns Sorge macht ist die sogenannte Delta-Variante, die
       sich in Großbritannien wieder sehr stark ausbreitet“, sagte Bundeskanzlerin
       Angela Merkel (CDU) am Donnerstag. Und auch SPD-Gesundheitsexperte Karl
       Lauterbach warnt, die Entwicklung in England zeige, „wie vorsichtig wir
       sein müssen, diese Variante nicht durch Urlauber zu bekommen“.
       
       Tatsächlich ist Delta längst in Deutschland angekommen – aber in weitaus
       geringerem Ausmaß: Während die neue Variante in Großbritannien rund 90
       Prozent der Infektionen ausmacht, waren es in Deutschland nach Angaben des
       Robert-Koch-Instituts Ende Mai erst 3 Prozent. Der Anteil zeigt dabei eine
       steigende Tendenz – vier Wochen zuvor lag er noch bei 0,4 Prozent. In
       absoluten Zahlen scheint die Variante derzeit ungefähr zu stagnieren. Ob es
       auch hierzulande zu einem erneuten Anstieg kommt, dürfte neben dem Tempo
       weiterer Lockerungen vor allem davon abhängen, wie schnell es gelingt,
       viele Menschen zu immunisieren. „Wir sind im Grund in einem Wettlauf mit
       dem Impfen“, sagte Merkel.
       
       Vollständig verhindern lassen dürften sich Infektionen aber auch damit
       nicht; Experten gehen davon aus, dass das Virus endemisch wird, also bleibt
       – dann allerdings nicht mehr als tödliches Virus, sondern wie andere
       Coronaviren als Erkältungserreger. Eben, weil die Impfungen wirken, selbst
       wenn sie Ansteckungen nicht verhindern. Ändern könnte sich das vor allem,
       wenn weitere, noch gefährlichere Mutationen auftauchen.
       
       Doch diese Gefahr ist möglicherweise kleiner als gedacht. Wie der Virologe
       und Coronaviren-Experte Christian Drosten in einem [2][Interview mit dem
       Schweizer Magazin Republik] anmerkte, ist der Unterschied zwischen den
       weltweit schon beobachteten Varianten „gar nicht so groß“. Anders als zum
       Beispiel Grippe-Erreger veränderten sich Coronaviren eher langsam, darauf
       hatte Drosten häufiger hingewiesen. Und das Potenzial von Sars-CoV-2
       erscheint nach Ansicht des Sars-1-Mitentdeckers ohnehin begrenzt. „Es gibt
       aus virologischer Sicht gute Gründe anzunehmen, dass Sars-2 gar nicht mehr
       so viel mehr auf Lager hat als das, was es uns bisher zeigen konnte.“
       
       11 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01290-3/fulltext
   DIR [2] https://www.republik.ch/2021/06/05/herr-drosten-woher-kam-dieses-virus?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kathrin Zinkant
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
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