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       # taz.de -- Corona und Verschwörungstheoretiker: Mit Grundgesetz gegen den Verstand
       
       > Die Verschwörerszene will wöchentlich in Berlin demonstrieren. Die Gefahr
       > von Corona wird negiert, über andere Interessen wird fantasiert.
       
   IMG Bild: Teilnehmer der „Hygienedemo“ am 28. März am Rosa-Luxemburg-Platz
       
       Berlin taz | Die Szene der Verschwörungstheoretiker versucht in Berlin die
       Corona-Pandemie für sich zu nutzen. Am vergangenen Samstag hatte ein in
       Gründung befindlicher Verein mit dem hochtrabenden Namen
       Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand zu einer ersten Kundgebung
       am Rosa-Luxemburg-Platz aufgerufen. Auf einer „Hygienedemo“ mit
       Atemschutzmasken und Mindestabstand sollte mit Grundgesetzen für die
       Grundrechte demonstriert werden – und für die „Beendigung des
       Notstands-Regimes“.
       
       Doch es blieb beim Versuch – unterbunden von einem aufgrund der
       [1][Corona-Eindämmungsverordnung] zu erwartenden Polizeieinsatz. Die
       Pressestelle der Polizei sprach anschließend von 40 Personen, denen eine
       Kundgebung untersagt wurde. Es seien Platzverweise ausgesprochen und 17
       Ermittlungsverfahren „u.a. wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz
       und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ eingeleitet worden. Davon
       unverdrossen rufen die OrganisatorInnen bereits zur zweiten Kundgebung am
       nächsten Samstag auf; bis dahin soll es tägliche Mahnwachen geben.
       
       Hinter dem behaupteten Einsatz für die Grundrechte wie dem
       Demonstrationsrecht stehen krude Theorien über die Ursachen der
       Corona-Pandemie. Der Hauptansprechpartner der Gruppierung, Anselm Lenz, der
       zuletzt auch als freier Autor der taz Berlin tätig war, spricht in einem
       Video der Aktion von einem „umstrittenen Virus, zu dem es mindestens zwei
       Meinungen gibt“. Schon zuvor hatte er seine Position in einem langen
       Beitrag für den [2][Blog Rubikon] ausgebreitet, eine Seite, auf der schon
       die Existenz von Aids geleugnet und das Coronavirus als Folge der
       Schweinemast dargestellt wurde.
       
       Lenz beschwört in dem Text die „unbestechliche oppositionelle Intelligenz“;
       gleichermaßen negiert er die Gefährlichkeit des Virus, das nicht in der
       Lage sei, „hunderttausende Menschen dahinzuraffen“. Dazu macht er drei
       mögliche Ursachen für das Virus aus: „Panikattacken überalterter Eliten“,
       der Versuch, einen „Kapitalismuscrash“ zu überlagern, oder eine „Aktion zum
       Klimaschutz“. Wieso all das noch niemand weiß, geht aus einem Flyer der
       „Widerständler“ hervor: Die öffentliche Diskussion sei „abgeschafft“, die
       ehemals freie Presse „gleichgeschaltet“.
       
       ## Von links nach wirr
       
       Zu den Vereinsgründern gehören neben Lenz auch der Dramaturg Hendrik
       Sodenkamp und Batseba N’Diaye. Alle drei verbindet eine gemeinsame
       Vergangenheit am [3][Haus Bartleby], einem künstlerischen Projekt, das sich
       gegen den Karrierefetisch im Kapitalismus engagierte und dessen Verbrechen
       in einem Kapitalismustribunal sowohl auf der Bühne als auch in einem Buch
       anprangerte. Anders als früher kommt ihr Applaus aber nun nicht mehr von
       der politischen Linken, sondern ausschließlich von rechter und
       verschwörungstheoretischer Seite.
       
       Zur gescheiterten Kundgebung rief etwa das Netzwerk Demokratie e.V. auf,
       ein extrem rechter Verein, der gegen gendergerechte Sprache und das Impfen
       agitiert. In einem Post forderte das Netzwerk Polizisten auf, sich „auf die
       Seite des Volkes“ zu stellen. Schützenhilfe kam auch von Ken FM, dem Kanal
       des ehemaligen RBB-Moderators Ken Jebsen. Das Motto dort: „Corona ist nicht
       das Problem.“
       
       Berichte über die Szenen am Rosa-Luxemburg-Platz fanden sich später auf
       Rubikon oder der [4][Epoch Times], die ihrerseits die gesamte Klaviatur der
       Verschwörungstheorien bedient und sich insbesondere mit hetzerischen
       Artikeln über Flüchtlinge hervortut. Deren Artikel wurde sogleich von
       Oliver Janich weiterverbreitet, einem rechtsextremen
       Verschwörungstheoretiker, der über einen öffentlichen Telegram-Kanal etwa
       60.000 Menschen [5][mit Falschinformationen zu Corona versorgt]. Der
       unerschütterliche Erdoğan-Verehrer [6][Martin Lejeune] schrieb ebenfalls
       einen Artikel, auf dem geschichtsrevisionistischen Blog Die rote Fahne.
       
       Auf Anfrage, ob bestimmte Interessen hinter der Ausbreitung des Virus
       stehen, verwies Anselm Lenz auf die Website des Vereins. Zu der Rezeption
       der Vereinsaktivitäten ausschließlich im verschwörungstheoretischen und
       rechten Spektrum äußerte er sich nicht.
       
       31 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Eindaemmungsverordnung-bleibt-unveraendert/!5675637&s=Eind%C3%A4mmungsverordnung/
   DIR [2] /Lungenarzt-zu-Corona/!5669085&s=Rubikon/
   DIR [3] /Berliner-Schlendrian/!5371283/
   DIR [4] /August-2017-in-rechten-Medien/!5446314&s=Epoch+Times/
   DIR [5] https://twitter.com/holnburger/status/1244559851524677637
   DIR [6] /Bloggende-Aktivisten-Lejeune-und-Phillips/!5331261/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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       Bildung.