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       # taz.de -- Cumhuriyet-Journalist über seine Zeitung: „Einfach unsere Arbeit machen“
       
       > Ali Celikkan beschreibt die Situation nach dem Putschversuch vom Juli –
       > und wieso es falsch ist zu schweigen.
       
   IMG Bild: Staatsmacht baut sich auf: vor dem Gebäude der Cumhuriyet-Redaktion am Montag
       
       Berlin taz | Als nach dem Putschversuch im vergangenen Juli der
       Ausnahmezustand ausgerufen wurde, sind wir als die jungen Mitarbeiter der
       Zeitung bis zum letzten Druckschluss in der Redaktion geblieben. Wir haben
       Bier getrunken und über unsere Zukunft nachgedacht. „Nun haben Sie die
       Macht, alles zu tun, was sie wollen. Sie können morgen kommen und die
       Redaktion grundlos schließen“, sagte einer von uns. „Ja, aber was können
       wir schon tun? Wo wollen wir schon hin?“, sagte ein anderer.
       
       Statt zu fragen, wie es der Pressefreiheit in der Türkei gehen wird, falls
       diese Zeitung geschlossen wird, dachten wir – vielleicht sehr egoistisch –
       darüber nach, was aus uns werden sollte. Cumhuriyet war sowohl für die
       freie Presse als auch für uns die letzte Bastion in der Türkei. Wir waren
       uns alle einig: „Es gibt in der Türkei keinen anderen Ort als diesen, an
       dem wir arbeiten können.“
       
       Und Aydin Engin, der am Montag als einer von 13 Cumhuriyet-Journalisten
       festgenommen wurde, hatte uns damals ein bisschen Hoffnung gemacht: „Ich
       habe vier Putsche miterlebt, macht euch keine Sorgen. Lasst uns einfach
       unsere Arbeit machen.“
       
       In den folgenden drei Monaten wurden Hunderte Medien geschlossen, viele
       Journalisten haben ihre Arbeit verloren. Während eine Regierung, die Tag
       und Nacht von „Demokratie“ spricht, alles Demokratische im Land zunichte
       gemacht hat, ist die Türkei in eine Einbahnstraße geraten. Unsere Zeitung
       hat jedes Wort gedruckt, das versucht hat, die Wahrheit zu erzählen – und
       an jedem Wort haben sie sich gestört.
       
       ## Soll das ein Witz sein?
       
       Das Regierungspresseorgan Sabah beschrieb die Ereignisse vom Montag so: „Es
       wurde bekannt, dass die Operation im Zusammenhang mit Ermittlungen steht,
       die im August begannen und dem Verdacht nachgehen, dass die Tageszeitung
       Cumhuriyet sich im Namen der Terrororganisationen FETÖ (Anm. d. Red.:
       Gülen-Bewegung) und PKK strafbar gemacht hat. Zu dem heißt es, dass es
       belastendes Beweismaterial gibt.“
       
       Soll das ein Witz sein? Wäre diese Situation nicht so grausam, wir würden
       am liebsten darüber lachen. Welches „belastende Beweismaterial“ kann die
       Cumhuriyet sowohl mit FETÖ als auch mit der PKK verbinden? Natürlich gibt
       es die, die jetzt lachen, die denken, wir seien Volksverräter, die wollen,
       dass wir hingerichtet werden. In dieser von Erdoğans Hand geteilten
       Gesellschaft gibt es inzwischen Gruppen, die völlig fern von der Realität
       sind, die toben und in sozialen Netzwerken zur Gewalt aufrufen.
       
       ## Die Gefahr des Schweigens
       
       Gerade habe ich ein Bild vor mir, das Menschen zeigt, die ihr Leben der
       freien Presse gewidmet haben – jetzt sind sie in Begleitung von Polizisten.
       Murat Sabuncu etwa. In dieser schwierigen Zeit ist er sehr stolz auf seinem
       Posten als Chefredakteur der Cumhuriyet. Er ist in Untersuchungshaft.
       Hikmet Çetinkaya schreibt seit Jahrzehnten kritisch über die Gülenisten. Er
       ist Autor zahlreicher Bücher über die Beziehungen zwischen AKP-Regierung
       und Fettullah Gülen. Nun ist er wegen des Verdachts auf Unterstützung der
       Gülen-Bewegung in Untersuchungshaft.
       
       Sie alle wurden am Montag wie Terroristen behandelt, vor den Augen ihrer
       Familien. Doch die Welt schweigt nicht mehr im Angesicht dieser
       mittelalterlichen Justiz. Eines der liebsten Sprichwörter der Türken
       lautet: „Schweig nicht, je länger du schweigst, desto schneller bist du
       selbst dran.“ Viele schweigen derzeit aus Furcht, doch Cumhuriyet war immer
       auf der Seite jener, denen ein Redeverbot erteilt wurde. Und erhält nun als
       Dank sehr viel Solidarität. Den gesamten Montag über standen mehr als 500
       Menschen, Familien, Kinder, vor dem Redaktionsbüro und riefen Slogans wie:
       „Seite an Seite gegen die Diktatur!“ Die Leitung der Zeitung sitzt zwar in
       Haft, aber die Zeitung wird für den Druck vorbereitet. Mit Texten, die
       zweifellos so frei sein werden wie gewohnt.
       
       1 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ali Celikkan
       
       ## TAGS
       
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