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       # taz.de -- Das Coronavirus in den USA: Virenherd Fleischfabrik
       
       > Tausende arbeiten dicht gedrängt in US-amerikanischen Schlachthäusern,
       > den Hotspots in der Coronapandemie. Viele bekommen keinen Schutz.
       
   IMG Bild: Trotz Corona: Der US-amerikanische Konsument braucht Fleisch, hier in einem Supermarkt in Texas
       
       New York taz | Die Fleischfabrik von Smithfield Foods in Sioux Falls
       verarbeitet 5 Prozent des Schweinefleischs für den US-Markt. Im April ist
       sie der größte Sars-CoV-2-Herd des ganzen Landes geworden. Mehr als 1.000
       Beschäftigte haben sich mit dem Virus infiziert. Dennoch ist das Fließband
       in dieser Woche wieder angelaufen. Zuvor hatte Donald Trump per
       präsidentiellem Dekret angeordnet, dass alle Fleischfabriken der USA wieder
       in Betrieb gehen müssen.
       
       In den Schlachträumen und an den Fließbändern der Fleischfabrik in Sioux
       Falls arbeiten 3.700 Beschäftigte Schulter an Schulter im Akkordtempo.
       Nachdem ihr Arbeitgeber, einer der größten im amerikanischen
       Fleischgeschäft, Anfang April von dem ersten Covid-19-Fall in der Fabrik
       erfuhr, brauchte er zwei Wochen, bis er das Gebäude zu einer Grundreinigung
       schloss und die Belegschaft nach Hause schickte.
       
       In der Zwischenzeit informierte der Konzern nur wenige Kontaktpersonen über
       das Risiko, in dem sie sich befanden. Die übrigen Beschäftigten blieben
       allein mit den Gerüchten und ihren Ängsten. Der Konzern bot ihnen
       Gratis-Essen in der Kantine an. Mitten in der Pandemie entstanden damit
       zusätzliche Infektionsmöglichkeiten zur Mittagszeit.
       
       [1][Sioux Falls ist kein Einzelfall.] In zahlreichen Bundesstaaten – vor
       allem im Mittleren Westen der USA – sind Fleischfabriken zu Hotspots der
       Pandemie geworden. Mindestens 22 von ihnen mussten vorübergehend
       geschlossen werden. Für die Schließungen setzten sich neben den
       Beschäftigten und ihren Gewerkschaften vielerorts auch LokalpolitikerInnen
       ein. Neben gründlichen Gebäudereinigungen verlangten sie Tests für alle
       Beschäftigten sowie Gesichtsmasken, Trennscheiben zwischen den
       Arbeitsplätzen, Sicherheitsabstände von sechs Fuß sowie eine Verlangsamung
       der Produktion.
       
       In Missouri ging eine Beschäftigte vor Gericht. Sie klagte nicht für eine
       finanzielle Entschädigung, sondern verlangte, dass der Arbeitgeber seine
       Beschäftigten vor Gesundheitsrisiken schützen müsse. Der Bundesrichter gab
       ihr recht und verpflichtete die Fabrik, sämtliche Empfehlungen der „Centers
       for Disease Control“ – darunter Masken, und verpflichtende
       6-Fuß-Sicherheitsabstände – zu befolgen.
       
       [2][Die Arbeit in den Fleischfabriken findet bei niedrigen Temperaturen
       statt und ist körperlich hart.] Schon vor Beginn der Pandemie war sie
       berüchtigt. Allwöchentlich passieren in den Fleischfabriken Unfälle mit
       schweren Verletzungen. Oft ist die Belüftung unzureichend, und es werden
       ungeschützt Ammoniak und Paracetat-Säuren versprüht. Die Stundenlöhne
       betragen nur selten mehr als 15 US-Dollar. Ein großer Teil der
       Beschäftigten sind ImmigrantInnen. In der Fabrik in Sioux Fall werden 40
       verschiedene Sprachen gesprochen.
       
       ## Verknapptes Fleischangebot
       
       Infolge der Schließungen kam es im April zu Einbrüchen beim Nachschub. In
       den Supermärkten verknappte sich stellenweise das Fleischangebot. Doch von
       echten Engpässen bei der Fleischversorgung sind die USA weit entfernt.
       Unter anderem weil der zweite Absatzmarkt der Fleischindustrie wegen der
       Pandemie beinahe komplett eingebrochen ist: Das für Restaurants und
       Kantinen bestimmte Fleisch, das anders geschnitten und verpackt ist, lagert
       vorerst in Kühlhäusern.
       
       Hingegen sind die Zulieferer der Fleischfabriken schon jetzt schwer
       betroffen. Die Viehzüchter im Mittleren Westen haben einen Rückstau von
       Schweinen. In der industriellen Viehzucht sind Schlachttermine fest
       einkalkuliert. Wenn die ausgewachsenen Schweine nicht rechtzeitig zum
       Schlachthof kommen, drängen jüngere nach, für die es keinen Platz gibt.
       Manche Züchter kündigten bereits an, dass sie ihre Tiere „euthanasieren“
       müssen.
       
       Tyson, der größte Konzern des amerikanischen Fleischgeschäfts, machte
       seinen Landsleuten Angst mit dem Wegfall ihrer Hamburger und Steaks. „Die
       Nahrungsmittelversorgung bricht zusammen“, drohte er im April in einer
       ganzseitigen Anzeige in der New York Times. Gleichzeitig wurden die
       LobbyistInnen der Fleischbranche im Weißen Haus vorstellig.
       
       Von der präsidentiellen Anordnung zur Wiedereröffnung ihrer Fabriken
       erhoffen die Industriellen sich auch Schutz vor künftigen
       Schadenersatzforderungen von Beschäftigten. Doch Arbeitsrechtler
       bezweifeln, dass Trumps Dekret die Unternehmen von ihrer Verpflichtung
       befreit, für ein gesundes Arbeitsklima zu sorgen.
       
       In Sioux Falls wird in dieser Woche in einem Zelt am Eingang zur Fabrik die
       Temperatur der Beschäftigten gemessen. Außerdem stehen erstmals
       Corona-Tests zur Verfügung. Es wird erwartet, dass nach Vorliegen der
       Testergebnisse die Zahl der Infizierten noch höher ausfallen wird.
       
       6 May 2020
       
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   DIR Dorothea Hahn
       
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