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       # taz.de -- Das „Kongo-Tribunal“ 4: Schöne Lügen, bittere Wahrheiten
       
       > Regisseur Milo Rau bereitet vor Ort sein Projekt „Das Kongo-Tribunal“
       > vor. Begegnung mit dem Gouverneur der Provinz Südkivu.
       
   IMG Bild: Milo Rau mit Kameramännern bei der Bauprobe.
       
       Bei den Castings zum „Kongo-Tribunal“ traf ich mit Menschen zusammen, die
       einer elisabethanischen Tragödie entsprungen sein könnten: an Hamlet
       erinnernde Studentenführer und Oppositionspolitiker, die gewöhnlich vor
       Erreichen des 40. Geburtstags abserviert werden. Coltanschmuggler und
       Exrebellen, die Reden schwangen wie die Narren in Shakespeares
       Königsdramen.
       
       Der grandiose Staatsanwalt des „Kongo-Tribunals“, Sylvestre Bisimwa, der
       2014 den ersten großen Prozess gegen das kongolesische Militär geführt (und
       vom Resultat her betrachtet verloren) hat. Und natürlich die Fürsten des
       Ostkongo: die von der Regierung aus Kinshasa an die Großen Seen entsandten
       Gouverneure und Generale.
       
       Vergangenen Donnerstag war ich beim Gouverneur der Provinz Südkivu zum
       Frühstück eingeladen. Wobei Frühstück das falsche Wort ist: Es war eine
       stundenlange Audienz mit gewaltigem Buffet. In einer Art tropischem
       Rittersaal hatten sich von der Informationsministerin über die
       Justizministerin bis zum Leibarzt die üblichen Chargen versammelt. Die
       insgesamt sieben Handys des Gouverneurs klingelten unablässig, besonders
       beeindruckend war die Teetasse mit dem Schriftzug „The Boss“, in der der
       Gouverneur während unseres Gesprächs ein halbes Kilo Pulvermilch verrührte.
       
       Die Internetrecherche seines Pressebeaufragten hatte wohl ergeben, dass ich
       „Marxist“ bin, weshalb er zu meinem Erstaunen die Grünen lobte und über die
       westlichen Industriemächte wetterte, die das kongolesische Volk in bitterer
       Abhängigkeit halten würden. Dass er einem meiner Zeugen Geld geboten hatte,
       wenn er sein Maul bezüglich des Massakers in Mutarule (taz vom 3. 2.)
       halten würde, passte nicht zu den Black-Power-Monologen des Gouverneurs.
       Ebenso wenig wie die postergroßen Fotos, die ihn beim Handshake mit George
       W. Bush zeigten. Aber wie soll ich sagen, vom künstlerischen Standpunkt aus
       sind die amoralischsten Figuren meistens die interessantesten.
       
       Denn wie bei allen anderen Treffen in den vergangenen Wochen hatte ich nur
       eines im Sinn: den Gouverneur zur Teilnahme am „Kongo-Tribunal“ zu
       überreden. Es ist in Zentralafrika vergleichsweise einfach, einen Minister
       oder einen General zum Interview zu treffen. Ihn in einem inszenierten
       Dokumentarfilm auftreten zu lassen, der sich unter anderem mit den
       Verwicklungen der Regierung in den Bürgerkrieg beschäftigt, ist dagegen
       eher schwierig. Und schon aus rein technischen Gründen quasi unmöglich ist
       es, dies alles vor 500 Zuschauern und sieben Kameras auf offener Bühne zu
       tun.
       
       ## Mit Löwenköpfen geschmücktes Gebäude
       
       Es kam mir deshalb vor wie ein Wunder, als ich vor einigen Tagen in Bukavu
       die „Salle de Spectacles“ des Collège Alfajiri entdeckte. Das Collège ist
       der irrwitzigste koloniale Prachtbau, der mir auf meinen Reisen in Afrika
       begegnet ist. Eröffnet 1939, ist das riesige, mit Löwenköpfen geschmückte
       Gebäude die Realität gewordene Utopie des klassischen Kolonialismus.
       
       Hier sollte die schwarze Funktionärselite der belgischen Kolonie
       ausgebildet werden. Selbstverständlich nur bis zum Abitur und nur für die
       subalternen Posten: Als die Belgier 20 Jahre später von Lumumba aus dem
       Land gejagt wurden, gab es einen einzigen Kongolesen mit
       Universitätsabschluss. Und natürlich kehrten die ehemaligen Kolonialherren
       bald als Sicherheitsberater und Firmenchefs zurück – oder als Lehrer am
       Collège Alfajiri.
       
       So ist mit seinen 740 Plätzen die „Salle de Spectacles“ des Collège der
       passende Ort, um sie alle Ende Mai vor die Schranken des „Kongo-Tribunals“
       zu bitten: die Gouverneure und Firmenmanager, die Weltbankfunktionäre und
       Studentenführer, die Coltanschmuggler und Tagelöhner, die UNO und die NGOs,
       die Soldaten Gottes und der Weltwirtschaft. „Vérité et Justice“, „Wahrheit
       und Gerechtigkeit“ wird auf Wunsch unseres Staatsanwalts über dem
       gewaltigen klassizistischen Bühnenportal auf einem Spruchband stehen. Die
       Kameras werden alles aufzeichnen, die schönen Lügen genauso wie die
       bitteren Wahrheiten. Und in dem kleinen Raum hinter den Zuschauern, in dem
       noch der 35-Millimeter-Projektor aus der Kolonialzeit steht, werde ich auf
       die Kontrollmonitore starren.
       
       Dass wir dafür sogar die Stromverteiler mühsam aus Deutschland, Kigali und
       Nairobi werden herbeitransportieren müssen, ist Teil der Wahrheit dieses
       „Tribunals“ über den Kongo: dieser ärmsten und reichsten Nation der Welt,
       dieser Verkörperung aller Widersprüche unserer Zeit.
       
       16 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Milo Rau
       
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