URI: 
       # taz.de -- PRESS-SCHLAG: Das eiserne Mädchen
       
       > KATARINA WITT Sie kann den Sozialismus und die olympischen Spiele
       > repräsentieren. Sie wird in jedem System nach oben gespült
       
       Es geschah am 24. Juli 1988 in Berlin-Weißensee. Ohne Karten hatten wir uns
       aufs Konzertgelände geschummelt. Fast wären wir erdrückt worden, so groß
       war der Ansturm. Zäune wurden geentert, Kontrolleure einfach überrannt. Es
       war der Abend, an dem Bruce Springsteen spielte. Springsteen in der DDR –
       beziehungsweise „Zone“, wie wir damals verächtlich sagten –, das war ein
       großes Versprechen. Sein Auftritt kam für uns einer Sensation gleich.
       Hunderttausend waren gekommen. Bevor es losging, stieg allerdings ein
       Mädchen im FDJ-Blauhemd auf die Bühne. Das passte der Masse
       verständlicherweise nicht. Die Springsteen-Fans wollten da vorn keine
       Vertreterin der Nomenklatura sehen. Der Auftritt des Mädchens kam einer
       Entweihung der heiligen Bretter gleich, auf denen gleich der „Boss“ und
       seine E Street Band wandeln sollten.
       
       Das Mädchen im Blauhemd war Katarina Witt. Kati legte los, sagte
       irgendetwas Belangloses. Ihre Worte waren eh nicht zu verstehen, denn die
       Hunderttausend pfiffen sie so gnadenlos aus, dass es eine Art hatte. Die
       Kati ohne h wurde förmlich von der Bühne gebuht. Das „schönste Gesicht des
       Sozialismus“, diese Tussi aus der Volkskammer, wünschte man im Berliner
       Norden zum Teufel. Sie mochte zwar gut eislaufen und dabei nicht übel
       ausschauen, aber für uns war sie nichts anderes als eine Opportunistin, die
       sich an Honni und Konsorten ranwanzte. Was wir damals noch nicht verstanden
       hatten, war, dass es die Witt in jedem System nach oben gespült hätte.
       
       Den Beweis ihrer Flexibilität trat sie nach dem Mauerfall schnell an. Man
       nahm ihr die Nähe zum alten System nicht krumm, denn die Kati war ja so
       sympathisch und „unverbraucht“, so kumpelhaft und unprätentiös. Dutzendfach
       wurde vom Star „zum Anfassen“ geschrieben, was die mehrheitlich männlichen
       Autoren wohl auch gern getan hätten. Mit kühnen Pinselstrichen übertünchten
       die Kati und ihre willigen Helfer die unpassenden Bilder aus der
       Vergangenheit. Die neuen veröffentlichte sie im Playboy. Außerdem: War ihr
       sächselnder Akzent nicht zum Piepen komisch? Ja, das konnte sie schon
       immer: Meinungsmacher um den Finger winkeln. Wie bezirzte Deppen priesen
       die Herren dann die Vorzüge der Kati ohne h. Das ist nun, da die
       Exmoderatorin einer Abnehmshow („The biggest Loser“) und Inhaberin des
       Vaterländischen DDR-Verdienstordens einer Olympiakampagne vorsteht, wieder
       zu beobachten. Glaubt man manchen Medien, dann ist Kati einfach die Größte.
       Ist aus dem Kader wirklich ein Kommunikationsgenie geworden? Na ja, fest
       steht allerdings, dass die Kati den Sozialismus verstanden hatte, noch viel
       wohler fühlt sie sich aber im Kapitalismus. Hier könne man mit eisernem
       Willen alles erreichen, hat sie einst selbst gesagt.
       
       Dass jetzt die Bayern die Kati aus Karl-Marx-Stadt durch die fünf
       olympischen Ringe tanzen lassen, ist vielleicht ihr größter Sieg. Sie macht
       ihr Diplom im Leutebezirzen ausgerechnet im schwärzesten Wessiland, wo
       mittelalte Ossis normalerweise nur zum Putzen und Brötchenverkaufen
       gebraucht werden. Ossi ist sie freilich schon lange nicht mehr. Das ewig
       junge Karieremädchen ist eine Marke. Warum 100.000 Wirrköpfe im Jahre 1988
       gepfiffen haben, also quasi in der Steinzeit, wen interessiert das noch,
       wenn die Kati ohne h Olympia nach Deutschland holt.
       
       MARKUS VÖLKER 
       
       ## Berichtigung
       
       In der taz vom 5./6.3.2011 haben wir unter der Überschrift „Das eiserne
       Mädchen“ über Katarina Witt wie folgt berichtet: „Es geschah am 24. Juli
       1988 in Berlin-Weißensee. [...] Bevor es losging, stieg allerdings ein
       Mädchen im FDJ-Blauhemd auf die Bühne. [...] Das Mädchen im Blauhemd war
       Katarina Witt.“
       
       Tatsächlich fungierte Frau Witt während der vom 16. bis 19.6.1988
       veranstalteten sogenannten Friedenswoche am selben Ort als Ansagerin eines
       Konzerts von Bryan Adams am 19.6.1988, welches der Autor in seiner
       Erinnerung mit dem Konzert von Bruce Springsteen verwechselt hat. Sie trug
       aus diesem Anlass kein FDJ-Hemd. Es gibt Bilder von einer von ihr
       ko-moderierten „DDR-Show“. Dazu schrieb Alexander Osang im Spiegel Nr.
       37/2003 vom 8.9.2003: „Katarina Witt trägt hier ein dunkelblaues Trikot der
       DDR-Fußball-Nationalmannschaft, auf dem Bildschirm erscheint sie in
       Pionierbluse. Sie trägt Zöpfe, einen blauen Rock und ein blaues
       Pioniertuch.“
       
       Wenn in dem Artikel der taz außerdem Katarina Witt als „diese Tussi aus der
       Volkskammer“ bezeichnet wurde und insoweit der Eindruck entstanden sein
       sollte, sie sei ein reguläres Mitglied der Volkskammer der DDR gewesen, ist
       dieser Eindruck falsch. Sie hat – beide Male im FDJ-Hemd – zumindest in den
       Jahren 1985 und 1987 Ansprachen im Volkskammer-Plenarsaal gehalten, vor
       Auditorien, an denen auch maßgebliche Funktionäre der SED und Blockparteien
       sowie Mitglieder der Partei- und Staatsführung teilnahmen.
       
       So fand die im Jahre 1985 gehaltene Ansprache im Rahmen des vom 21. bis
       24.5.1985 abgehaltenen XII. Parlaments der FDJ als deren höchstem Organ und
       die zwei Jahre später erfolgte Rede im Rahmen des vom 22. bis 25.4.1987
       veranstalteten 11. Kongresses des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund)
       als Dachorganisation der gleichgeschalteten Einzelgewerkschaften der DDR
       statt. Bereits im Jahre 1986 war Katarina Witt Gast des XI. Parteitages der
       SED. DIE REDAKTION
       
       5 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR MARKUS VÖLKER
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA