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       # taz.de -- Debatte Energiewende: Das Schiefergasproblem
       
       > Mit dem Fracking-Verfahren können die USA billiger Gas fördern. Das
       > könnte die deutsche Energiewende um Jahrzehnte zurückwerfen. Ein Grund
       > zur Sorge?
       
   IMG Bild: Fracking kann auch schön sein: Förderanlage in Pennsylvania
       
       Die Energiewende ist in Gefahr. Dieser Satz ist im Jahr 2012 so oft gesagt
       worden, dass „Energiewende“ und „Gefahr“ fast zur Tautologie verschmolzen
       sind. Allerlei Gründe sind dafür ins Feld geführt worden: Netzausbau zu
       langsam, Solarförderung zu hoch, Winter zu kalt, Kosten ungerecht
       aufgeteilt, Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern. Wäre die
       Energiewende 2012 ein Bild, es würde aussehen, als hätte man Jackson
       Pollock in einer Gummizelle gesperrt – ein wildes, unkoordiniertes
       Gekleckse.
       
       An diesen Konflikten wird die Energiewende aber nicht scheitern. Beispiel
       Netzausbau: Bis 2015 muss dringend eine neue Leitung aus dem Norden nach
       Bayern gebaut werden. Trotzdem glaubt niemand ernsthaft, dass die
       Bundesregierung beschließt, wieder Atomkraftwerke zu bauen, falls die
       Leitung erst 2017 fertig wird.
       
       Nein, das unsägliche Gerede über ein „Scheitern“ oder eine drohende
       „Deindustrialisierung“ Deutschlands ist vor allem Ausdruck von
       Verteilungskämpfen, einer gewaltigen Machtverschiebung. Energiewirtschaft
       war im 20. Jahrhundert kein Pollock, sie war eher das „Schwarze Quadrat“
       von Kasimir Malewitsch. Eine Blackbox, eine staatlich protegierte
       Gelddruckmaschine für das Oligopol aus Eon, RWE, Vattenfall, EnBW. Jetzt
       ringt die Gesellschaft darum, wer wie viel Macht im Zeitalter der
       erneuerbaren Energien innehaben wird: die alten Großkonzerne oder die
       kleinen, eher dezentralen Erzeuger. Mit offenem Ausgang.
       
       ## Wasser in Gestein gepresst
       
       Wenn es eine Gefahr für die Energiewende gibt, kommt sie von außen.
       Erneuerbare Energien mögen Deutschland unabhängiger von Importen machen,
       nicht aber unabhängig vom internationalen Wettbewerb. Das Problem heißt:
       Fracking, eine seit einigen Jahren lukrative Methode, Öl und Gas zu
       fördern. Ein Mix aus Wasser und Chemikalien wird dabei ins Gestein
       gepresst, das aufreißt und wesentlich höhere Erträge liefert als bisher.
       
       Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostizierte vor kurzem, die USA
       würden in den 2020er-Jahren zum weltgrößten Ölproduzenten aufsteigen, zuvor
       bereits zum weltgrößten Gasproduzenten. Philip D. Murphy, US-Botschafter in
       Deutschland, spricht von einer „Schiefergaswende“.
       
       Schon jetzt ist der Boom zu spüren. Die Energiepreise in den USA sind so
       niedrig, dass nach einer Analyse der Citibank die Industrieproduktion nur
       noch 7 Prozent teurer ist als in China und 15 Prozent preiswerter als in
       Deutschland. Daran scheitert die Energiewende nicht, könnte sich aber
       verzögern, falls die falschen Schlüsse gezogen werden.
       
       Bis 2050 sollen mindestens 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus
       erneuerbaren Energien stammen. Das ist gleichzeitig eine Versicherung für
       die nächste Generation: Wir investieren jetzt eine Menge und versichern das
       Land gegen die Folgen der knapper und immer teurer werdenden fossilen
       Rohstoffe. Falls sich der Trend allerdings um ein, zwei Jahrzehnte
       verzögert, bedeutet das, dass die Rendite der Energiewende später kommt.
       Sie zu verzögern, wäre aber falsch.
       
       ## Auf Kosten der Zukunft
       
       Ein neuer Öl- und Gasboom wäre eine unerträgliche Belastung für die Umwelt,
       für die Flächen, an denen gefördert wird, ebenso wie für das Weltklima: Die
       Weltbank warnte in einer Studie, dass die globalen Temperaturen „sehr
       wahrscheinlich“ bis Ende des 21. Jahrhunderts um 3,5 bis 4 Grad Celsius
       steigen, sollte es keine weiteren politische Maßnahmen geben, um weniger
       Klimagase auszustoßen. Laut Weltklimarat IPCC würden dann 40 bis 70 Prozent
       aller Arten weltweit aussterben. Die Menschheit wäre damit vernichtender
       als der Meteorit, der vermutlich vor etwa 65 Millionen Jahren den Sauriern
       den Garaus machte.
       
       Zwar senken die USA momentan ihren Kohlendioxidausstoß, weil sie statt
       Kohle das effizientere Gas verstromen. Dafür sinken die globalen
       Kohlepreise, und der Rest der Welt verheizt mehr davon. Mit fossilen
       Brennstoffen verschaffen sich Staaten nach wie vor einen Wettbewerbsvorteil
       auf Kosten der Zukunft. Gleichzeitig leidet darunter die zweite
       Legitimation der Energiewende – das Argument des grünen Wachstums.
       
       Die Energiewende schafft zwar Stellen, weil deutsche Firmen Technologien
       wie intelligente Stromnetze, Wind- und – hoffentlich auch zukünftig –
       Solarkraftwerke exportieren. Wenn aber Deutschland von der nächsten Krise
       erfasst wird, die Arbeitslosigkeit steigt, dürfte auch die Bereitschaft
       wachsen, für geschlossene Fabriken die Energiewende verantwortlich zu
       machen. Schon jetzt schielt Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler
       neidisch auf die wegen des Gasbooms sinkenden Stromkosten in den
       Vereinigten Staaten.
       
       ## Zweifel an den Prognosen
       
       Ob allerdings die IEA mit ihren Prognosen Recht behält, steht in den
       Sternen. Sie lag mit ihren Szenarien in der Vergangenheit teilweise
       phänomenal weit daneben. Noch im Jahr 2004 sah sie den Ölpreis im Jahr 2030
       bei 29 Dollar pro Barrel, heute sind es im Jahresmittel bereits 109 Dollar.
       Zudem basiert eine potenzielle Energie-Autarkie der USA laut IEA auf einem
       zweiten, wichtigen Grund: dem Energiesparen. Auch die USA würden dann also
       Energiewende machen – Deutschland sollte seinen Weg daher unbeirrt
       fortsetzen.
       
       Analysten der Citibank bezeichneten die Analyse der IEA als „ziemlich
       simpel“ und glauben, der Gasboom könne die Energiewende gar beschleunigen,
       weil Gaskraftwerke die schwankenden erneuerbaren Energien optimal
       ausgleichen können. Den Markt für Wind- und Solarkraftwerke wird der
       Gasboom jedenfalls nicht abwürgen – die Erneuerbaren-Technologien werden
       bald günstig genug sein.
       
       Europa bleibt ohnehin keine andere Wahl als eine Energiewende, weil die
       heimischen Öl- und Gasvorräte gering sind, selbst wenn gefrackt würde. Die
       einzige Energiequelle, die vor Ort dauerhaft vorhanden ist, sind Wind,
       Sonne, Wasser. Deutschland ist seit Jahrzehnten wirtschaftlich erfolgreich,
       trotz hoher Energiekosten. Einen Wettbewerb um die billigsten Strompreise
       kann das Land nur verlieren, einen um die besten Technologien der
       Energiewende gewinnen.
       
       Wie es Günther Oettinger sinngemäß einmal so hinreißend formulierte: Bei
       uns kommt eben nur Trollinger aus dem Boden.
       
       26 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
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