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       # taz.de -- Debatte Rachel Dolezal: Was? Weiß? Ich?
       
       > Der Fall einer weißen Frau, die sich als Schwarze ausgibt, entfacht in
       > den USA eine Debatte über Identität. Wer darf eigentlich schwarz sein?
       
   IMG Bild: Cultural Appropriation? Rachel Dolezal am Dienstag im US-Fernsehen
       
       Auf eine Weise wirkt das, was Rachel Dolezal getan hat, wie eine perverse
       Version des American Dream. Das Individuum bestimmt selbst, was aus ihm
       wird, also macht es, was es will. Es färbt sich die Haare, macht sie lockig
       und benutzt Selbstbräunungscreme. All das ist erstmal unproblematisch. Nur
       an einem Punkt wird es kritisch. Wenn nämlich das Individuum sagt:Ich bin
       schwarz – obwohl es weiß ist.
       
       Letzte Woche wurde bekannt, dass sich die US-amerikanische Bürgerrechtlerin
       Rachel Dolezal jahrelang als Schwarze ausgegeben hat. Und nun streitet das
       Land, in dem die Kategorie race nicht unwesentlich den Alltag bestimmt,
       über Identität. Kann ein Mensch seine ethnische Zugehörigkeit einfach
       ändern? Darf man das?
       
       In der Rassismusforschung werden Weiß und Schwarz als politische Kategorien
       begriffen, die nicht Hautfarben, sondern Machtverhältnisse beschreiben. Das
       erklärt, warum zum Beispiel die Iren, die im 18. Jahrhundert in die USA
       einwanderten, auch als Schwarz bezeichnet wurden. Heruntergebrochen heißt
       das: Schwarz ist also der Mensch, der Rassimus erlebt, und Weiß derjenige,
       der ihn ausübt – unabhängig von der Hautfarbe. Es kommt auf den
       historischen Kontext an.
       
       ## Weiße Privilegien
       
       Im Fall von Dolezal ist damit klar, dass sie als blonde US-amerikanische
       Frau mit europäischen Vorfahren nicht Schwarz sein kann. Wenn nun Dolezal
       ihren Phänotyp aber so ändert, dass sie als Afroamerikanerin wahrgenommen
       wird, dann könnte man theoretisch meinen, dass sie auch Schwarz ist.
       Theoretisch. Was sie von anderen Schwarzen unterscheidet, ist, dass sie
       sich die Freiheit nimmt, sich selbst als Schwarz zu bestimmen, während
       andere Schwarze erst von Weißen zu Schwarzen gemacht werden. Was sie tat,
       ist ein exklusiv weißes Privileg.
       
       Von einigen wurde Dolezal mit Caitlyn Jenner verglichen – also jener
       US-amerikanischen Frau, in deren Geburtsurkunde der Name Bruce William
       Jenner stand. Manche bezeichneten Dolezal als transracial – so als sei ihr
       Verhalten in Bezug auf race das Äquivalent zu transgender. Die absurde
       Logik des Vergleichs: Wenn jemand ein biologisches Geschlecht bei der
       Geburt zugewiesen bekommt und es ändern kann, warum soll dann eine weiße
       Person nicht schwarz sein?
       
       Der Begriff transracial bezeichnet aber ursprünglich vor allem die
       Erfahrung vieler adoptierter Kinder, die mit Eltern aufwachsen, die
       kulturell anders sozialisiert sind und auch anders aussehen. In diesem
       Sinne wäre Dolezal nicht transracial. Sie ist als Weiße in einem weißen
       Elternhaus geboren. Sie ist weiß.
       
       Und der Vergleich mit Jenner hinkt auch an anderer Stelle. Der größte
       Unterschied ist: Transfrauen oder Transmänner erfinden keine Geschichten.
       Dolezal verleugnete hingegen ihre weiße Identität. Sie log: Sie gab an, in
       einem Zelt gelebt zu haben, gab einen schwarzen Mann als ihren Vater aus.
       Und sie profitierte persönlich und sozial davon, dass sie andere für
       schwarz hielten. Sie inszenierte sich durch Haare und Make-Up als
       Afroamerikanerin. Dolezal spielte schwarz. Das knüpft auch an die
       rassistische Praxis des Blackfacing an, die ihren Ursprung in den Minstrel
       Shows des 19. Jahrhunderts hat, in denen sich weiße Darsteller schwarz
       anmalten, um sich über Schwarze lustig zu machen – und ihnen ihre
       Selbstbestimmung und Stimme zu nehmen.
       
       ## Passing als Schutz vor Diskriminierung
       
       Das soziale Konstrukt race kann also als Performance verstanden werden, wie
       Rachel Dolezal beweist. Dieses Phänomen ist letztlich auch als passing
       bekannt – nur meist in die andere Richtung, also wenn Schwarze von außen
       markiert werden oder wenn Schwarze versuchen, als weiß durchzugehen. Wenn
       Schwarze das taten, taten sie es meist, um sich vor Diskriminierung zu
       schützen und nicht weil sie sich für Weiße hielten. Zu Zeiten der Sklaverei
       versuchten beispielsweise manche Schwarze mit heller Haut „als weiß
       durchzugehen“, um sich vor Gewalt zu schützen. Dieses Verhalten, war im
       Gegensatz zu dem, was Dolezal tat, höchst gefährlich. Denn ihr Passing
       konnte jederzeit auffliegen, beispielsweise, wenn diese Kinder bekamen, die
       nicht hell genug waren.
       
       Die US-Geschichte kennt aber auch Passing-Geschichten, in denen Weiße
       versuchten, Schwarz zu sein, damit sie eine schwarze Person, die sie
       liebten, auch heiraten konnten. Identitäten sind und waren schon immer in
       Bewegung.
       
       Aber der Fall Dolezal rührt scheinbar an etwas, was vielen als
       unabänderlich galt: race im Sinne von Ethnie. Dabei ist das, was
       US-Amerikaner beim Census in einer Box ankreuzen sollen problematisch, weil
       Menschen aus vorgegeben Identitäten wählen müssen.
       
       Es gab durchaus Reaktionen, auch von Schwarzen, die das, was Dolezal getan
       hat, positiv bewerteten. Weil damit die Kategorie race endlich als das
       enttarnt würde, was sie ist: ein soziales Konstrukt. Aber das ist keine
       neue Erkenntnis. Wer das erst jetzt erkannt hat und denkt, wir seien alle
       nur Menschen, Gleiche unter Gleichen, irrt. Denn genau damit lässt sich das
       Problem Rassismus wegtheoretisieren. Wenn es kein race gibt, gibt es auch
       keinen Rassismus. Und dann auch kein Ferguson, keine Polizeigewalt und
       schon gar nicht „Black Lives Matter“.
       
       ## Was ist eigentlich mit Micheal Jackson?
       
       Die Vorstellung, dass das, was Dolezal getan hat, Avantgarde sein könnte,
       krankt daran, dass es aus weißer Perspektive gedacht ist. Denn während sich
       potenziell jeder weiße Mensch als irgendetwas inszenieren kann,
       funktioniert das für Schwarze meist nicht. Da bestimmt der Hautton die
       Realität. Je dunkler die Haut, desto unwahrscheinlicher ist das Gelingen.
       Die utopische Idee „jeder-könnte-doch-alles-sein“ ist ein realitätsfernes
       Einbahnstraßenkonzept, von dem vor allem Weiße profitieren würden, die sich
       nicht die Gelegenheit nehmen lassen wollen, auch mal auf der Seite der
       Underdogs zu stehen. Auch einmal Rassismus erleben – aber mit
       Ausstiegsoption, versteht sich.
       
       Und dann kommt: Was ist eigentlich mit Micheal Jackson, oder Schwarzen
       Albinos? Nochmal: Sie alle sind Schwarz, definieren sich als Schwarz und
       lügen nicht.
       
       Ja, Dolezal hat sich wirklich und ernsthaft gegen Rassismus engagiert. Aber
       hätte sie da als weiße Verbündete nicht viel mehr Kraft gehabt? Doch nun
       werfen ihr viele vor, durch ihre Ich-bin-schwarz-Nummer nicht mehr
       glaubwürdig zu sein.
       
       Auch nach all den TV-Interviews, die Rachel Dolezal inzwischen gegeben hat,
       bleibt unklar, was sie wirklich angetrieben hat. Hat ihre „Verwandlung“
       etwas damit zu, tun, dass ihre Eltern schwarze Kinder adoptierten, sie
       zeitweilig einen schwarzen Mann heiratete, also Teile ihrer Familie schwarz
       waren? Auf einer persönlichen Ebene ist das vielleicht nachvollziehbar.
       Vielleicht eine exzessive Form von Solidarität und Gerechtigkeitsempfinden.
       
       Das, was Dolezal getan hat, könnte vielleicht am ehesten als cultural
       appropriation bezeichnet werden. Der Begriff wird verwendet, wenn sich
       Menschen einer Kultur Symbole, Handlungen oder Kleidungsstücke einer
       anderen Kultur aneignen. Das kann komplette Assimilation bedeuten oder auch
       zum Beispiel gelten, wenn ein Nicht-Hindu ein [1][Bindi] einfach nur aus
       modischen Gründen trägt.
       
       ## Schwarze Gefühle
       
       Dolezal identifizierte sich so stark mit schwarzer Kultur, dass sie sich
       diese zu eigen machte. Sie ließ sich die Haare flechten, wie es Schwarze
       tun oder machte sich Locken. Sie kopierte Styles. Sie befasste sich so
       lange mit schwarzer Geschichte, bis sie dachte, es wäre ihre. Wenn sie in
       Vorträgen vor Afroamerikanern in der Wir-Form über Kolonialismus, Sklaverei
       und Unterdrückung sprach, dann berief sie sich aber auf Teile einer
       kollektiven Identität, auf die sie sich aufgrund ihrer Familiengeschichte
       nicht stützen konnte.
       
       Und immer noch, nach all der Kritik, sagt sie, sie sei Schwarze. Heißt das
       einfach, sie fühlt sich als Schwarze?
       
       Aber: Schwarzsein hat nichts mit Gefühlen zu tun.
       
       19 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Bindi
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
       ## TAGS
       
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