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       # taz.de -- Debatte Verhältnis Türkei-Russland: Die neue Syrien-Allianz
       
       > Putin setzt auf Erdoğan in der Syrienpolitik – obwohl ein regimetreuer
       > Polizist seinen Botschafter in Ankara ermordete. Warum?
       
   IMG Bild: Irgendwie wieder d'accord: Putins und Erdogans gemeinsame Interessen lassen sie über den toten Botschafter hinwegsehen
       
       Er habe, sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow am Montag, die
       drei Länder an einen Tisch bringen wollen, die in Syrien wirklich etwas
       ausrichten können. Am Tisch saßen dann neben Russland noch der Iran und die
       Türkei. Das Treffen dieser drei Länder am gestrigen Dienstag war dem
       russischen Präsidenten Putin und seinem Außenminister so wichtig, dass sie
       sich auch durch den Mord am russischen Botschafter Andrei Karlow in Ankara
       nicht davon abbringen lassen wollten.
       
       Dabei wurde Karlow am Montagabend in Ankara von einem türkischen Polizisten
       erschossen, der zwar nicht im Dienst war, aber zu den Sondereinheiten von
       Präsident Erdoğan gehörte – und ganz offensichtlich die islamistische
       Propaganda der türkischen Regierungsmedien zu Syrien vollkommen
       verinnerlicht hatte.
       
       Schließlich unterstützt Ankara seit Jahren in Syrien einen
       dschihadistischen Feldzug gegen das Assad-Regime statt eines demokratischen
       Aufbegehrens gegen einen Despoten. So rief der Attentäter nach dem Mord
       denn auch nicht: „Es lebe die Demokratie“, oder: „Es lebe die Freiheit“,
       sondern: „Wir sind diejenigen, die dem Propheten Mohammed Treue im Dschihad
       geschworen haben. Rache für Aleppo“.
       
       ## Nachsicht mit Erdoğan
       
       Obwohl Putin eigene russische Sonderermittler nach Ankara geschickt hat, um
       herausfinden, wer den Attentäter gelenkt hat, ist er offenbar schon heute
       bereit, darüber hinwegzusehen, dass ein islamistischer türkischer Polizist,
       der die Propaganda seiner Regierung ernst genommen hat, seinen Botschafter
       ermordete. Warum diese Nachsicht gegenüber Erdoğan von einem Mann, der
       nicht für Nachsicht bekannt ist?
       
       Wer sich an die unerbittlichen russischen Reaktionen auf den türkischen
       Abschuss eines russischen Kampfbombers an der syrisch-türkischen Grenze vor
       eineinhalb Jahren erinnert, kann sich nur verwundert die Augen reiben über
       die milden Statements aus Moskau.
       
       In türkischen sozialen Medien war noch am Montagabend viel die Rede vom
       Attentat auf den österreichischen Kronprinzen in Sarajevo, das 1914 zum
       Auslöser des Ersten Weltkriegs wurde. Doch Ankara ist nicht Sarajevo. Putin
       will das Attentat in Ankara offensichtlich nicht zum Anlass für einen neuen
       großen Konflikt mit der Türkei nutzen, sondern im Gegenteil die
       Erdoğan-Regierung stärker in seine Pläne einbeziehen.
       
       Als die türkische Luftwaffe den russischen Flieger abschoss, bekam sie noch
       Unterstützung von den USA. Amerikanische Luftraumüberwacher bestätigten die
       türkische Version, dass der russische Flieger sich im türkischen Luftraum
       befunden habe. Heute ist Erdoğan mit Präsident Obama über die
       Syrien-Politik des Westens heillos zerstritten. Vor allem, weil die USA die
       syrischen Kurden bewaffnen und als Fußtruppen gegen den IS einsetzen. Für
       Erdoğan ein Affront, weil die syrischen Kurden mit der PKK zusammenarbeiten
       und ihre Bewaffnung aus Sicht der türkischen Regierung einer offenen
       Aggression gleichkommt.
       
       ## Die große Wende weg vom Westen
       
       Schritt für Schritt ist Erdoğan deshalb dabei, sich vom Westen ab- und nach
       Russland hinzuwenden. Putin agiert geschickt, wenn er Erdoğan damit
       schmeichelt, nur die Türkei, Russland und Iran hätten in Syrien genug
       Einfluss, um etwas zu bewegen. Wohingegen die westlichen Mächte, allen
       voran die USA, doch nur Propaganda betrieben.
       
       Für Putin ist die Rolle Erdoğans in den Syrien-Verhandlungen klar. Er soll
       leisten, was die USA nicht geschafft haben, nämlich die Rebellen und
       Dschihadisten, die die Türkei, Katar und Saudi-Arabien seit Jahren
       unterstützt haben, nach deren Niederlage in Aleppo zu einem Agreement mit
       dem Assad-Regime zu bewegen – und wenn es zunächst erst einmal nur ein
       Waffenstillstand ist.
       
       Was immer Russland im Detail plant, wie realistisch oder unrealistisch das
       auch immer sein mag, Erdoğan ist jedenfalls bereit, den ersten Schritt zu
       machen und sich mit Russland und dem Iran, ohne die USA, ohne die EU und
       ohne die UNO, an einen Tisch zu setzen.
       
       Nach Angaben eines Mitarbeiters des türkischen Außenministeriums hat es in
       der letzten Woche bereits indirekte Gespräche zwischen Vertretern Russlands
       und den Dschihadisten aus Aleppo gegeben, die in der Türkei stattfanden und
       von türkischen Diplomaten vermittelt wurden. Jenseits der internationalen
       Friedensgespräche in Genf plant Putin ein großes Treffen zwischen syrischer
       Opposition und dem Assad-Regime im kasachischen Astana, bei dessen
       Realisierung Erdoğan mithelfen soll.
       
       ## Luft für die Sunniten
       
       Warum macht Erdoğan da mit und was verspricht er sich davon? Erdoğan weiß,
       dass die von ihm bislang unterstützten Dschihadisten nicht mehr dazu in der
       Lage sind, Assad militärisch zu stürzen. Er musste diese Niederlage
       akzeptieren und gleichzeitig erfahren, dass dieselben Dschihadisten sich
       nicht scheuen, den Terror auch in die Türkei zu tragen. Um zu verhindern,
       dass sich dschihadistische Terroristen nun auch in der Türkei breitmachen,
       braucht er einen politischen Kompromiss, der den Sunniten in Syrien
       wenigstens etwas Luft zum Atmen gibt.
       
       Putin auf der anderen Seite weiß, dass Assad den Sunniten etwas anbieten
       muss, um die Situation in den kommenden Jahren wenigstens oberflächlich zu
       stabilisieren. Das wird kein Frieden sein, keine demokratische Wahl und
       kein wiedervereinigtes Syrien, aber vielleicht wenigstens gegenseitig
       respektierte Einflusszonen, auf deren Basis ein Waffenstillstand mit
       Ausnahme des IS möglich ist.
       
       Putin bietet Erdoğan an, in diesem Prozess den Sprecher der syrischen
       Sunniten zu machen. Nach der militärischen Niederlage kommt nun wieder eine
       diplomatische Phase. Die syrischen Moslembrüder sind seit Langem in
       Istanbul versammelt. Sie würden Erdoğan als Sprecher akzeptieren. Ob die
       geschlagenen Dschihadisten es tun, wird sich in den kommenden Wochen
       zeigen.
       
       Auf jeden Fall glaubt Erdoğan, mit Putin mehr in Syrien gewinnen zu können
       als mit den USA. Ob Putin Erfolg hat, wird sich erst in den kommenden
       Monaten zeigen, aber er scheint von seiner Strategie so überzeugt, dass er
       bereit ist, über einen ermordeten Botschafter hinwegzusehen.
       
       20 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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