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       # taz.de -- Debatte um Ausbürgerung: Remigration setzt sich in den Köpfen fest – sogar in grünen
       
       > Ein Jahr nach den AfD-Geheimplänen zur „Remigration“ ist kaum etwas von
       > der Empörung übrig. Die Politik hat die Idee faktisch übernommen.
       
   IMG Bild: Tausende Menschen demonstrieren gegen die menschenverachtende Idee der „Remigration“ in Berlin am 3. Februar 2024
       
       Ein Jahr ist vergangen, seit die Geheimpläne der AfD bekannt wurden,
       Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund aus dem Land zu schaffen.
       Millionen Menschen demonstrierten anschließend gegen die extrem rechte
       Partei und die menschenverachtende Idee der „Remigration“.
       Politiker*innen aller demokratischen Parteien äußerten sich empört und
       unterstützten die Proteste.
       
       [1][Inzwischen ist davon nichts mehr übrig]. Im Gegenteil. Das
       Spitzenpersonal von Union, SPD, FDP und auch der Grünen tut gerade viel
       dafür, dass sich die zentrale Idee des Potsdamer Geheimtreffens in der
       politischen Debatte festsetzt.
       
       [2][Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, nicht arbeitende
       Syrer*innen ohne Deutschkenntnisse in ihr Herkunftsland
       zurückzuzwingen]. Grünen-Vizekanzler Robert Habeck sagte: „Diejenigen, die
       hier nicht arbeiten, werden – wenn das Land sicher ist – wieder in diese
       Sicherheit zurückkehren können oder auch müssen.“
       
       Die Behörden wollen Familien, die freiwillig zurückkehren, mit 4.000 Euro
       belohnen. Und CDU-Chef Friedrich Merz, der all das schon seit Wochen
       fordert, stellte nun in den Raum, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft
       auszubürgern, wenn sie Straftaten begehen.
       
       ## Strudel immer schärferer Forderungen
       
       Es ist ganz egal, dass diese Forderungen und Ankündigungen im Moment nicht
       viel mehr sind als populistische Wahlkampfrhetorik. Egal, dass für Merz’
       Pläne eine Verfassungsänderung nötig wäre, für die sich ohne AfD kaum eine
       Mehrheit finden wird.
       
       Egal, dass viele Syrer*innen in Deutschland schon die Staatsbürgerschaft
       haben oder zumindest eine Niederlassungserlaubnis, was Faesers Pläne und
       Habecks Ideen wohl auf einen kleinen Personenkreis beschränken würde.
       
       Und egal ist auch, dass der bürokratische Aufwand so hoch sein dürfte, dass
       eine Umsetzung schwer vorstellbar ist. Die Details verschwimmen im Strudel
       immer schärferer Forderungen und Ankündigungen. Was bleibt, ist die so
       rassistische wie unüberhörbare Botschaft: „Wir“ müssen „die“ loswerden.
       
       ## Zwei Klassen von Staatsbürgern
       
       Und diese dumpfe Botschaft frisst sich in den Diskurs und in die Köpfe. Sie
       macht vorstellbar und irgendwann vielleicht doch umsetzbar, was gerade noch
       ausgeschlossen schien.
       
       Insbesondere bei der Union kommt dazu eine beängstigende Bereitschaft, an
       bewährten Institutionen und gut begründeten Tabus zu rütteln. Schon seit
       Monaten fordern CDU und CSU Zurückweisungen von Geflüchteten an den
       Grenzen. Dabei würde das Europarecht gebrochen und das Schengensystem der
       offenen Grenzen gesprengt – ein zentraler Pfeiler der EU.
       
       [3][Merz’ jüngste Forderung nach Ausbürgerungen ist nicht nur zutiefst
       verletzend und von seltener Schäbigkeit]. Sie würde auch eine Art
       Zweiklassenstaatsbürgerschaft schaffen. Und sie berührt eine zentrale
       Lehre aus der NS-Zeit. Nicht zufällig entzogen die Nazis Juden*Jüdinnen
       die Staatsbürgerschaft, sobald sie die damaligen Landesgrenzen
       überschritten.
       
       Die Juden*Jüdinnen, die von Deutschen später in Osteuropa ermordet wurden,
       wurden zuvor gezielt in den schutzlosen Zustand der Staatenlosigkeit
       versetzt. Nach dem Sieg über Nazideutschland wurde der Anspruch auf
       Staatsbürgerschaft in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
       festgeschrieben.
       
       ## Merz hat ein Tabu gebrochen
       
       Natürlich hat Merz’ Vorschlag nichts mit den NS-Verbrechen zu tun und würde
       ohnehin nur diejenigen treffen, die noch den Pass eines anderen Landes
       haben. Staatenlosigkeit droht deshalb niemandem. Aber bislang galt eben als
       Folge der deutschen Vergangenheit, dass sich Demokrat*innen vom Thema
       Ausbürgerung fernhalten. Damit hat Merz gebrochen.
       
       Es hätte auch alles ganz anders sein können am ersten Jahrestag der
       Enthüllungen der „Remigrations“-Pläne der AfD. Aus dem Sturz des syrischen
       Tyrannen Assad folgt nicht automatisch, dass Deutschland darüber
       diskutieren muss, wie man möglichst viele Syrer*innen rauswirft oder
       deutschen Staatsbürgern den Pass wegnimmt.
       
       Es hätte ein Moment sein können, in dem die demokratischen Parteien der AfD
       klar entgegentreten, statt deren Ideen aufzunehmen. Immerhin zeigt die
       syrische Revolution, dass die Menschenfeinde und Putin-Freunde – darunter
       die AfD – keinesfalls unbesiegbar sind.
       
       Vielleicht ist es wert, an dieser Erkenntnis festzuhalten: Es muss nicht so
       sein, wie es ist. Auch wenn die Demonstrationen vor einem Jahr verhallt zu
       sein scheinen. Die schleichende Ausbreitung rechter Ideen bis weit in die
       demokratische Mitte ließe sich aufhalten.
       
       Die AfD ist weit entfernt von einer Mehrheit im Bundestag, man muss nicht
       vorauseilend vor ihr kuschen. Und: All die Menschen, die vor einem Jahr
       demonstriert haben, sind noch da. Die demokratischen Parteien müssen
       endlich auf sie hören.
       
       12 Jan 2025
       
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