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       # taz.de -- Debatte um Einfamilienhäuser: „Das ist wirklich Unfug“
       
       > Verbieten Grüne das Einfamilienhaus? Ein Hamburger Bezirksamtsleiter
       > erklärt, warum er die von Konservativen gepushte Debatte recht irre
       > findet.
       
   IMG Bild: Schlechte Karten fürs Einfamilienhaus: In Großstädten herrscht Flächenknappheit
       
       taz: Herr Werner-Boelz, glaubt man manchen Liberalen und Konservativen auf
       Twitter, wollen Sie die Menschen in DDR-Plattenbauten stecken. Stimmt das? 
       
       Michael Werner-Boelz: Nein, natürlich nicht. Das ist wirklich Unfug.
       
       Aber [1][Sie verbieten neue Einfamilienhäuser], wie es die Bild-Zeitung
       titelt, oder? 
       
       Auch das ist eine irrige Annahme. In Hamburg-Nord, dem Stadtbezirk, für den
       ich zuständig bin, werden keine Einfamilienhäuser verboten. Überall dort,
       wo wir in gültigen Bebauungsplänen solche Häuser ausgewiesen haben, kann
       man sie weiter bauen. Und jeder, der in einem Einfamilienhaus lebt, lebt
       natürlich weiter darin.
       
       Dann von vorn: Was ist passiert? 
       
       Das weiß ich selbst nicht so recht. Wir wollen in neu auszuweisenden
       Baugebieten auf Geschosswohnungsbau setzen – und keine Einfamilienhäuser
       mehr ausweisen. [2][So haben es Grüne und SPD im Bezirk vereinbart.] Neu
       ist dieser Kurs aber gar nicht. Ich kann mich an keinen Bebauungsplan
       erinnern, in dem noch Einfamilienhäuser im Bezirk Hamburg-Nord erlaubt
       wurden – und ich bin schon einige Zeit in der Kommunalpolitik aktiv.
       
       Warum setzen Sie auf Geschosswohnungsbau? 
       
       Die Macht des Faktischen holt die Metropolen ein. Hamburg ist da nur ein
       Beispiel, das für alle steht. Wir haben pro Jahr einen Zuzug von mehreren
       tausenden Menschen, Hamburg ist ein Sehnsuchtsort für viele. Gleichzeitig
       sind die Flächen für Neubauten knapp. Ich muss also mit begrenzten
       Ressourcen für bezahlbaren Wohnraum sorgen.
       
       Also doch Plattenbauten für alle? 
       
       Nein, moderne, anspruchsvolle Architektur ist doch etwas ganz anderes als
       DDR-Platten.
       
       Wie müssen wir uns die Häuser vorstellen? 
       
       In Hamburg-Nord entsteht gerade zum Beispiel das so genannte
       Pergolenviertel. 1.700 Wohnungen auf 27 Hektar in mehrgeschossigen Häusern,
       die bis zu acht Stockwerke haben. Das wird ein lebendiges, hübsches
       Wohnviertel mit Parks, Innenhöfen, Spielplätzen, sogar Kleingärten.
       Pergolas, also Säulengänge, sind das verbindende architektonische Element.
       
       Das Einfamilienhaus ist aber auch ein Sehnsuchtsort für viele Menschen, ein
       Traum, den man sich verwirklichen will. Verstehen Sie, dass sich Leute über
       ein drohendes Verbot aufregen? 
       
       Natürlich verstehe ich, dass das Thema emotionalisiert. Ich bin kein
       Einfamilienhaus-Hasser. Ich gönne jedem sein Häuschen mit Garten und
       Freiraum für die Kinder. Aber nochmal: In Metropolen stehen wir vor der
       Herausforderung, trotz knapper Flächen viel bezahlbaren Wohnraum zu
       schaffen. Da funktionieren Einfamilienhäuser einfach nicht überall.
       
       Sie argumentieren, dass Stadtplanung auch eine soziale Komponente haben
       muss, richtig? 
       
       Ja. Ein Einfamilienhaus in Hamburg kostet rund 800.000 Euro. Das können
       sich Menschen mit normalen Jobs und ohne Erbe nicht leisten. Der Mietmarkt
       ist in Hamburg so überhitzt wie überall. Und wenn eine Familie mehr als ein
       Drittel des Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben muss, bekommt sie
       Probleme. Rund 40 Prozent aller Hamburger Haushalte haben Anspruch auf
       geförderten Wohnraum.
       
       Wie sieht eigentlich das Stadtgebiet aus, für das Sie zuständig sind? 
       
       Sehr unterschiedlich. Wir haben urbane Zentren wie Eppendorf oder
       Hoheluft-Ost, ehemalige Arbeiterquartiere wie Barmbek und in Richtung
       Landesgrenze Schleswig-Holstein auch Einfamilien- oder Reihenhaus-Gebiete.
       Auch das Häuschen von Helmut und Loki Schmidt steht in unserem Bezirk.
       
       Wie handhaben andere Bezirke Hamburgs das Thema? 
       
       Ähnlich wie wir. Auf Landesebene hat die Koalition das Hamburger Maß
       verabredet. Es wird Verdichtung eingefordert, beim Bauen ist ein
       großstädtisches Maß einzuhalten. Olaf Scholz hat schon vor Jahren, als er
       noch Erster Bürgermeister war, gesagt, Hamburg müsse dichter und höher
       bauen.
       
       Wie gehen Ihre Kollegen anderer Parteien in anderen Städten mit dem
       Einfamilienhaus um? 
       
       Ich habe nicht den Überblick über die bundesweite Praxis. Aber mein
       Eindruck ist: Das, was wir hier machen, ist State of the Art der
       Stadtplanung. Sie werden auch in München, Köln oder Berlin kaum noch
       Bebauungspläne mit Einfamilienhäusern finden. Auf dem Land sieht es
       natürlich anders aus, völlig zu Recht.
       
       In Sozialen Netzwerken werden die Grünen wegen Ihrer Politik als
       Verbotsfetischisten geschmäht. Wie nehmen Sie die Debatte war? 
       
       Die Debatte finde ich – ehrlich gesagt – etwas irre. Sie hat null
       Realitätsbezug. Es ist ja auch bezeichnend, wie das Ganze angefangen hat …
       
       Wie denn? 
       
       Anfang des Jahres ist ein seriöser Bericht in der Welt am Sonntag über
       Hamburgs Wohnungspolitik erschienen – mit Zitaten von mir. Niemand hat sich
       daran gestört. Nach drei Wochen wurde der Text mit einem anderen,
       zugespitzten Teaser online gestellt. Davon haben dann alle abgeschrieben,
       und es wurde manchmal noch falscher. Der Focus hat sogar insinuiert, der
       Hamburger Senat wolle Einfamilienhäuser verbieten. Was natürlich völliger
       Unfug ist.
       
       Warum haben Sie das den JournalistInnen nicht richtig erklärt? 
       
       Die Journalisten von der Bild-Zeitung oder vom Focus haben sich nie bei mir
       gemeldet.
       
       Welche Reaktionen bekamen Sie von BürgerInnen nach der verfälschenden
       Berichterstattung? 
       
       Ich habe meinen Auftritt in Sozialen Medien auf privat umgestellt. Da kamen
       wüste Beschimpfungen, eine habe ich sogar zur Anzeige gebracht. Am
       schlimmsten ergeht es den KollegInnen im Bezirksamt. Sie bearbeiten
       Bauanträge und beantworten Fragen. Bei ihnen gehen besorgte Anrufe von
       BürgerInnen ein, die denken, dass ihr Haus enteignet wird. Oder sie
       ängstigen sich, dass sie ein genehmigtes Einfamilienhaus nicht mehr bauen
       dürfen. Diese Ängste können wir ihnen dann aber schnell nehmen.
       
       15 Feb 2021
       
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