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       # taz.de -- Debatte um Katar: Was zu erreichen war
       
       > Die Kritik an der Fußball-WM in Katar hat schon viel bewirkt. Dennoch
       > findet sich im Schimpfen auf das Turnier und das Emirat viel Wohlfeiles.
       
   IMG Bild: Die Boykottbewegung ist nicht zu übersehen: Zweitligabegegnung Bielefeld-Magdeburg
       
       Letztens habe ich einen flüchtigen Blick auf die WM erhascht. Es spielte,
       wenn ich mich richtig erinnere, Katar gegen Senegal, das lief in einem
       Brauhaus. Ich war fast überrascht, dass es sie gibt, diese WM, von der ich
       kaum Notiz nehme. Ich bin keine WM-Boykotteurin. Aber ich lese viel auf
       Gegenveranstaltungen, was mich wohl zu einer Boykotteurin zweiten Grades
       macht.
       
       Es ist eine seltsame Stimmung, die diesen [1][Boykott] umgibt. Auf Unrecht
       reagieren wir mit Konsumentscheidungen: Fernseher aus oder ein? So
       verhaftet in dem Glauben, dass unser Kaufen die Welt verändere. Und doch
       ist das bemerkenswert: Menschen, die sich zum ersten Mal derart auflehnen
       gegen die Fifa, gegen Autokratie, für Menschenrechte, gegen all die
       Ekelhaftigkeit dieser WM und dieses Gastgebers. Das ist neu.
       
       Der große öffentliche Druck, der vielleicht gar einen Bruch mit der Fifa
       erringt, hat mich überrascht. Ich habe einen Boykott lange für reines
       Haltungsgedöns gehalten. Ich lag falsch. Er hat sehr direkt gewirkt.
       
       Zugleich ist die überhebliche Naivität oft schwer erträglich. Menschen, die
       bedeutungsschwanger fragen, wie ich es verantworten könne, den Fernseher
       einzuschalten. Einige bemerkten jüngst schockiert, dass Sklav:innen und
       Sklavenhalter einander in Katar nicht einmal im Supermarkt treffen.
       
       ## Noch viel mehr protestieren ist nötig
       
       Im Fall von Deutschland treffen sie einander nicht einmal im Leben. Wir
       haben unsere Menschenrechtsverletzungen so erfolgreich außer Landes
       gelagert, dass wir sie nicht mehr sehen. Und uns nicht eine WM gekauft,
       sondern gleich den ganzen Fußball. Bei den Forderungen, Turniere nur noch
       in Demokratien (klar, im globalen Norden) auszutragen, wird mir schlecht.
       
       Und doch: Ein zweites Mal so viele Stadiontote bei einer WM wird die Fifa
       sich nicht leisten können. Eine Bewegung von unten hat das erreicht. Und
       vielleicht auch einen Gastgeber unter Druck gesetzt, der neben globalem
       Unrecht eine sonst kaum gefährdete, skrupellose Macho-Autokratie betreibt.
       Das ist eine Errungenschaft.
       
       Und nun? Sollen wir denn etwa, fragt mich einer, nicht protestieren gegen
       Katar, nur weil Deutschland nicht perfekt ist? Mir hängt diese Formulierung
       lange nach. „Nicht perfekt.“ Nein, sage ich, im Gegenteil. Weitermachen.
       Viel mehr protestieren, viel langfristiger, viel grundlegender. Ob das
       passieren wird?
       
       Die Katar-Debatte wird so undifferenziert geführt, sagt eine Frau. Sie
       glaubt, das liegt daran, dass Männer nicht anders diskutieren könnten als
       in zwei Lagern. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber ich fühle mich auch ein
       bisschen ertappt. Bis zur WM war ich auch in einem Lager, Anti-Boykott. Es
       ist jedenfalls nicht einfach, denke ich, und rufe noch eine Kenianerin an.
       
       29 Nov 2022
       
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