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       # taz.de -- Demo-Überwachung per Mobilfunk: Mal eben ausgespäht
       
       > Die Technik ist da, die Polizei hat sie genutzt: Bei Protesten gegen
       > Neonazis wurden in Dresden zehntausende Handydaten erfasst. Betroffene
       > erwägen nun, dagegen zu klagen.
       
   IMG Bild: "Herausfinden, ob bestimmte Personen sich am fraglichen Ort aufgehalten haben": Bei einer Demo des Bündnisses "Dresden nazifrei" führte die Polizei eine digitale Rasterfahndung durch.
       
       Die Dresdner Polizei hat bei den Antinaziprotesten im Februar dieses Jahres
       die Handyverbindungen von tausenden Demonstranten, Anwohnern, Journalisten,
       Anwälten und Politikern ausgespäht. Wie die Staatsanwaltschaft Dresden der
       taz bestätigte, wurde am 19. Februar weiträumig eine sogenannte
       Funkzellenauswertung (FZA) durchgeführt.
       
       Dabei erfasste die Polizei über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb
       Stunden sämtliche Anrufe und SMS-Nachrichten, die bei allen Personen ein-
       oder ausgingen, die sich in der Südvorstadt aufhielten. Gespeichert wurden
       auch die exakten Positionen der Telefonnutzer. 12.000 Menschen wohnen in
       dem überwachten Gebiet, hinzu kamen an diesem Tag tausende Demonstranten,
       etliche Journalisten, Anwälte und Politiker.
       
       Von ihnen allen liegen den Behörden jetzt die Handyverbindungsdaten vor.
       Offiziell sollten mit dieser groß angelegten Überwachungsaktion Personen
       gefunden werden, die zuvor Polizisten angegriffen hatten. In mehreren
       Fällen wurden die Handydaten aber für andere Ermittlungen zweckentfremdet.
       
       So bei Christian Leye. Der Mitarbeiter der Bochumer Bundestagsabgeordneten
       Sevim Dagdelen (Linkspartei) wollte gemeinsam mit 20.000 anderen gegen den
       Aufmarsch von rund 3.000 Nazis demonstrieren. Gegen 16.00 Uhr nahm die
       Polizei in der Südvorstadt seine Personalien auf; später nahm die
       Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn wegen Behinderung einer
       angemeldeten Demonstration auf.
       
       In seiner Ermittlungsakte sind rund 15 Handyverbindungen vom 19. Februar
       zwischen 13.00 und 17.30 Uhr aufgelistet, versehen mit der genauen Angabe
       des Orts, wo er sich jeweils befand. Aufgeführt sind auch die Namen der
       Personen, mit denen er Kontakt hatte. "Es wurde ein genaues Bewegungsprofil
       erstellt", sagt Leye.
       
       ## "Das kommt einer Rasterfahndung gleich"
       
       "Tausende Menschen werden da in ihren Grundrechten eingeschränkt, um einen
       vermeintlichen Landfriedensbruch zu ermitteln. Das kommt einer
       Rasterfahndung per Handy gleich", meint auch Kristin Pietrzyk, die als
       Anwältin das Bündnis Dresden Nazifrei vertritt. Das sei nicht nur
       unverhältnismäßig, sondern auch rechtlich unhaltbar.
       
       Sie selbst war am Nachmittag des 19. Februar in der Dresdner Südvorstadt
       und hat von dort mit Mandanten telefoniert. "Die Behörden haben durch die
       Funkzellenüberwachung das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant
       verletzt", sagt sie. Mit Kollegen will sie prüfen, ob sie den Fall vor
       Gericht bringt.
       
       Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hatte an jenem
       Nachmittag in Dresden demonstriert und häufig telefoniert. "Mandatsträger
       sind besonders geschützte Personen. Ihre Daten dürften deshalb nicht
       gespeichert werden", sagt er. In einer Ermittlungsakte seien
       Aufenthaltsorte von ihm samt Uhrzeit festgehalten. Woher die Daten stammen,
       wisse er nicht.
       
       "Die Funkzellenabfrage trifft friedliche Demonstranten und Anwohner. Nach
       der einschlägigen Rechtsprechung dürfte sie rechtswidrig gewesen sein",
       sagt Wolfgang Neskovic, der rechtspolitische Sprecher der
       Bundestagsfraktion der Linkspartei. Nach den vorliegenden Informationen sei
       sie nicht geeignet, nicht erforderlich und auch nicht verhältnismäßig
       gewesen.
       
       Wie häufig solche FZAs im Rahmen von Strafermittlungen vorgenommen werden,
       ist unklar. Eine Statistik dazu führen weder Bundesjustizministerium noch
       Provider. Nur wenige Fälle sind in den vergangenen Jahren bekannt geworden.
       2008 etwa haben Ermittler in Niedersachsen Handydaten von rund 10.000
       Menschen erfasst. Sie wollten den Täter ermitteln, der einen Holzklotz von
       einer Autobahnbrücke auf ein Auto geworfen hatte, wodurch die Fahrerin
       starb. Selbst in diesem Fall war die Genehmigung der zuständigen Richterin
       für die Funkzellenüberwachung im Nachhinein unter Experten umstritten.
       
       ## Verhältnismäßigkeit kann bezweifelt werden
       
       In Hamburg drängt die Kriminalpolizei seit April dieses Jahres darauf, die
       Handyverbindungsdaten im Zusammenhang mit nächtlichen Autobrandstiftungen
       nutzen zu dürfen. Bisher wurde das von den zuständigen Richtern allerdings
       als "unverhältnismäßig" abgelehnt. Nur wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür
       gebe, dass durch die FZA Täter ermittelt werden können, sei diese Maßnahme
       zulässig, so die Begründung.
       
       Dass im Fall der Dresdner Demonstration der Grundsatz der
       Verhältnismäßigkeit eingehalten wurde, kann bezweifelt werden. Der
       richterliche Beschluss zur FZA bezog sich auf Ermittlungen wegen eines
       Angriffs auf Polizisten. "Die Polizei wollte herausfinden, ob bestimmte
       Personen, von denen Handynummern bekannt sind, sich am fraglichen Ort
       aufgehalten haben", sagt Lorenz Haase, Oberstaatsanwalt in Dresden.
       
       In der Strafprozessordnung, die die FZA nur verklausuliert erwähnt, heißt
       es, dass diese nur zulässig sei, "wenn die Erforschung des Sachverhalts
       oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise
       aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre". In Dresden aber waren über
       4.000 Beamte im Einsatz, die das Geschehen filmten.
       
       Über die Hintergründe der FZA hält sich die Staatsanwaltschaft sehr
       bedeckt. Wurde die FZA im Nachhinein beantragt, oder wurde gar in Echtzeit
       erfasst, wer mit wem per Handy kommuniziert? Über welchen Zeitraum hat sich
       die Überwachung erstreckt? Wie viele Menschen sind betroffen, und wie viele
       Namen wurden zu Handynummern ermittelt? Sind die Daten noch gespeichert?
       Oberstaatsanwalt Haase will sich dazu nicht äußern.
       
       ## Polizei übernahm Daten in die Akten
       
       Er bestätigt aber, dass in "mehreren Fällen" die erhobenen Daten auch in
       Ermittlungsakten einflossen, die nichts mit der eigentlichen Straftat, dem
       schweren Landfriedensbruch, zu tun hatten. Wie bei Christian Leye. Die
       Polizei habe, nachdem man seine Personalien festgestellt hatte, auf ihn
       zugelassene Telefonnummern ermittelt. Als seine Mobilfunknummer in den
       Daten aus der FZA auftauchte, habe die Polizei zudem die Namen der Personen
       in Erfahrung gebracht, mit denen er Kontakt hatte.
       
       Dass diese Zweckentfremdung juristisch nicht haltbar sein wird, hat auch
       die Staatsanwaltschaft inzwischen erkannt. "Die Polizei hat die Daten etwa
       im Fall von Herr Leye in die Akten übernommen. Wir halten das für nicht
       notwendig und nicht verwertbar", sagt Haase. Seine Behörde hat vergangene
       Woche den Ermittlern der Polizei untersagt, weiterhin Handydaten in
       entsprechende Ermittlungsakten zu übernehmen.
       
       Der sächsische Datenschutzbeauftragte, der durch die taz von der
       Überwachungsaktion erfuhr, hat am Freitag Anfragen an Staatsanwaltschaft,
       Polizei, Landeskriminalamt und Innenministerium gestellt. Die Grünen im
       Landtag wollen den Fall parlamentarisch prüfen lassen. "Es ist ja nicht
       auszuschließen dass die Behörden das gesamte Territorium in Dresden
       ausspioniert haben", sagte ihr rechtspolitischer Sprecher, Johannes Lichdi.
       
       19 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Wrusch
       
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