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       # taz.de -- Demo gegen das Clubsterben: Wider die nörgelnden Nachbarn
       
       > Hunderte tanzten sich am Samstag durch Mitte und Kreuzberg. Die
       > Botschaft: Der Stadt fehlt es an Freiräumen für Clubkultur.
       
   IMG Bild: Yeah! Die Tanz-Demo tänzelt durch Mitte
       
       Manchmal braucht es Freunde, Schnaps und ein bisschen Wut, um zum
       Aktivisten zu werden. An einem Tag im Frühling traf diese Mischung auf
       Maximilian Schirmer und eine Gruppe von DJs, Technikern und Veranstaltern
       aus der Berliner Clubszene zu. Geeint von der Angst, weitere Räume für
       kulturelle Einrichtungen an private Investoren zu verlieren, gründeten sie
       das Kollektiv Kirsch und mit ihm die Idee zur Tanzdemo „Wem gehört die
       Stadt“, die nun Samstagnachmittag durch Berlin gezogen ist.
       
       Auf vier Wagen beschallen DJs schrullige Partygänger, Turnbeutelträger und
       Glitterliebhaber mit tiefen Bässen. Knapp 400 Teilnehmer zählt die Polizei
       zu Beginn, doch während der Parade schlossen sich immer mehr Menschen an.
       Das Kollektiv Kirsch will Party mit Politik verbinden. Viele
       Veranstaltungen seien zur inhaltsleeren Feierei verkommen, kritisiert
       Schirmer. Dabei sei alles politisch. „Wer darf wo wie lange tanzen und für
       wie viel Geld? Das ist Politik und daher müssen wir uns einbringen.“ Die
       Teilnehmer kombinieren daher das obligatorische Bier in der Hand mit
       Forderungen wie „Bass statt Hass“ oder „Drogenpolitik mit Substanz“.
       
       Vor der Volksbühne kommt die Parade zum Stehen. Während Schauspieler Joseph
       Konrad Bundschuh auf den ersten Wagen klettert, um eine Rede zu halten,
       nutzt das Feiervolk die Unterbrechungen für einen Abstecher zum nächsten
       Späti. „Cheers auf gemeinsame Entfaltung!“, ruft Bundschuh und kritisiert
       im Folgenden die „allgemein total beschissene Situation“ am Theater. Er
       beklagt, was viele Redner vor und nach ihm beklagen: Private Investoren,
       die Flächen für kulturelle Einrichtungen verdrängten, unsichere
       Arbeitsverhältnisse unter denen freie Entfaltung nicht möglich sei, zu
       wenig Anerkennung seitens der Politik.
       
       Es sind Probleme, die Clubs und Kneipen in Berlin gleichermaßen betreffen.
       Von einem Clubsterben ist seit Jahren die Rede. Die Gründe sind ähnlich:
       Baurechtliche Auflagen und Genehmigungen oder aber Nachbarn, die ihre
       Nachtruhe einfordern. In anderen Fällen ist es schlicht eine Geldfrage.
       Kaum ein Club hat die finanziellen Kapazitäten, sich gegen private
       Investoren behaupten zu können.
       
       ## „Techno ist wichtig“
       
       Die Liste der geschlossenen Einrichtungen ist entsprechend lang. Letztes
       Opfer: der Technoclub Jonny Knüppel. Lorenz Bethmann, einer seiner
       Mitbegründer, ist am Samstag ebenfalls gekommen. Auch ihm fehlt vor allem
       die Anerkennung seitens der Politik. „Techno ist wichtig, gerade in Berlin.
       Er hat ganz klar seine Daseinsberechtigung“, sagt er. Die Kulturlandschaft
       Berlins müsse geschützt werden und nicht der Kommerzialisierung und Profit
       geopfert werden.
       
       Der Zug setzt sich wieder in Bewegung. Weiter hinten hat man von der Rede
       nichts gehört. Die lauten Bässe übertönen alles und so schieben Paula Alves
       und Yasmin Afshar, zwei junge Frauen aus Brasilien, sichtlich verwirrt ihre
       Fahrräder. Spontan hatten sie sich angeschlossen. „Wir waren zu spät für
       die andere Demonstration und sind dann hierher. Wir dachten, die gehören
       zusammen“, sagte Alves. Tatsächlich ist es reiner Zufall, dass es an diesem
       Tag zwei Demonstrationen unter dem „Wem gehört die Stadt“ stattfinden
       (siehe Kasten). „Als wir gemerkt haben, dass es noch eine zweite Demo gibt,
       war es bereits zu spät die beiden Veranstaltungen zu verbinden“, sagt
       Organisator Schirmer.
       
       Nach über vier Stunden erreicht die Parade im Schein der letzten
       Sonnenstrahlen den Moritzplatz. Rauch aus Nebelmaschinen steigt zwischen
       den Häuserfassaden auf. Die Menschen fluten den Kreisel und die umliegenden
       Spätis – ein Bier geht noch.
       
       10 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rebecca Barth
       
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