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       # taz.de -- Der Fall Gerhard S.: Unehrenhaft vernagelt
       
       > Der Streit ums Marktkirchenfenster in Hannover geht weiter. Die
       > Kolumnistin freut sich und rätselt über die verlorene Ehre des Gerhard
       > Schröder.
       
   IMG Bild: Auch bei Anti-Kriegsdemos in Hannover war Schröder Thema
       
       Ach wie wunderbar, der [1][Streit um das Reformationsfenster für die
       Marktkirche] in Hannover geht in die 50. Runde. Jetzt hat der Vorstand der
       Marktkirche entschieden, das von Altbundeskanzler Gerhard Schröder
       gestiftete Fenster vorläufig nicht einzubauen. Das Argument, dass es
       irgendwie komisch ist, im Licht des Geschenkes eines Putin-Freundes
       Friedensgebete abzuhalten, leuchtet mir sogar fast ein.
       
       Wobei man sich natürlich fragen müsste, ob nicht 80 Prozent aller
       Kirchenschätze demontiert gehören, wenn man derart strenge Maßstäbe anlegt.
       Aber früher galt man als Kriegsgewinnler halt noch was, da war die Kirche
       nicht zimperlich. Die Zeiten ändern sich.
       
       Ich warte jetzt darauf, dass der Künstler und die Befürworter-Fraktion
       Klage einreichen und spitze schon mal den Bleistift. Der
       Marktkirchenvorstand muss derweil verschärfte Finanzjonglage betreiben.
       
       Schröder hat nämlich bloß den Entwurf und seinen Künstlerfreund Lüpertz
       angeschleppt, für die tatsächliche Fertigung des Fensters hat er Spender
       vermittelt – denen will die Marktkirche nun das Geld zurückgeben. Das
       bereits gefertigte [2][und aufgrund der gerichtlichen Auseinandersetzungen
       seit Jahren fachgerecht eingelagerte Fenster] ist aber natürlich trotzdem
       schon bezahlt. Es ist kompliziert.
       
       ## Anekdoten, Psychogramme und billige Ersatzhandlungen
       
       Das Drama um den unaufhaltsamen Aufstieg und Fall des Gerhard S. erfüllt
       mich mit einer Art widerwilliger Faszination und leisem Grusel. Irgendetwas
       in mir möchte die ganze Zeit sagen: Nun lasst den alten Mann doch in Ruhe.
       Aber das wäre ihm ja bestimmt auch nicht recht.
       
       Es hat nur so etwas Peinigendes, Heuchlerisches, Fremdschambehaftetes,
       dieses Kesseltreiben. Wie jetzt jeder – mangels aktueller Äußerungen des
       Ex-Kanzlers – seine liebste Schröder-Anekdote aus den vergangenen
       Jahrzehnten hervorkramt und daraus gleich ein ganzes Psychogramm strickt.
       
       Die ewige Saga vom Emporkömmling, der Altersstarrsinn des Aufsteigers, der
       offenbar niemanden hat, der hinter ihm aufräumt, den Schaden in Grenzen
       hält, ihm hilft das Gesicht zu wahren. Schauderhaft. Ganz schlechtes Kino.
       
       Und ist das nicht eine billige Ersatzhandlung, wenn [3][ausgerechnet die
       CDU-Ratsfraktion den Entzug der Ehrenbürgerwürde] fordert, die sich sonst
       nicht einmal dazu durchringen kann, Denkmäler und Straßennamen von echten
       Kriegstreibern und Kolonialverbrechern ins Museum zu verräumen?
       
       Können wir mal kurz darüber reden, was für eine seltsame Ehrung das
       überhaupt ist? Das fängt schon damit an, dass man Ehrenbürger nur sein
       kann, solange man atmet. Deshalb wollte man in Hannover Hindenburg die
       Ehrenbürgerwürde nicht wieder aberkennen, weil die ja längst verfallen ist.
       
       Für Hitler und seinen Braunschweiger Gauleiter hat man 1978 aber noch eine
       Ausnahme gemacht: Die bekamen sie trotzdem aberkannt, sollten wohl
       irgendwie töter als tot sein. Doris Schröder-Köpf hat vorsichtig darauf
       hingewiesen, dass ihr Ex-Mann vielleicht nicht ganz in diese Liga gehört.
       Ein ähnliches Schicksal ereilte allerdings Walter Ulbricht und Konsorten in
       manchen ostdeutschen Städten.
       
       ## Über welche Art von Ehre reden wir hier eigentlich?
       
       Mir scheint auch erstaunlich unklar, wofür man diese Auszeichnung
       eigentlich erhält. Für Verdienste um die Stadt Hannover, heißt es diffus.
       Auf die richtige Art und Weise verdient machen sich aber nur Männer. Die
       einzige Frau auf der langen Liste der (Ex-)Ehrenbürger ist Niki de Saint
       Phalle – und das ist praktisch ein Freudianer-Witz.
       
       Diese vergangenen Verdienste sind auch nicht ewig haltbar, viel mehr hängen
       sie auf irgendeine geheimnisvolle Weise am sehr gegenwärtigen Ansehen der
       betreffenden Person. Das verbindet sie mit dem Begriff der Ehre, die ja
       auch so ein eher sozial bestimmtes, gefährlich waberndes Konstrukt ist.
       
       Welche Ehre ist denn da eigentlich gemeint, beim Ehrenbürger? Ist das noch
       die gleiche Ehre, für die man früher zum Duell gefordert hat? Oder die, auf
       die Kohl sich berufen hat, um Spender nicht nennen zu müssen? Die, um
       derentwillen man Frauen umbringt?
       
       Worin genau besteht sie in einer modernen, demokratischen Gesellschaft,
       diese seltsame Männerehre? Wer erkennt sie zu und wieder ab? Nach welchen
       Kriterien und wessen Moralvorstellungen? Wie viele Ehrenbürger braucht man,
       um einen Krieg zu gewinnen?
       
       Fragen über Fragen. Vielleicht sollte man die Gelegenheit nutzen, diesen
       ganzen Chichi grundsätzlich zu hinterfragen. Die echten Ehrenbürger
       sind sowieso die, die sich gerade um die Unterbringung von Geflüchteten
       bemühen und Hilfskonvois organisieren – ganz ohne Tschingderassabum und
       Lobreden im Prachtsaal des Rathauses vor Schnittchen fressendem Publikum.
       
       8 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ein-Kirchenfenster-und-andere-Probleme/!5806401
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       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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