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       # taz.de -- Deutsch-deutsche Fußball-Geschichte: Stasi, Stasi über alles!
       
       > 1974 kickt die BRD gegen die DDR. Auch das MfS spielt mit. Doch so wild
       > wie in einer frischen Graphic Novel beschrieben war die Spitzelei nicht.
       
   IMG Bild: Jürgen Sparwasser nebst DDR-Kollegen vor dem Spiel gegen die BRD bei der WM 1974
       
       Der Fußball ist eine magische Nostalgiemaschine. Sie wird angetrieben von
       der Erinnerung an Geschichten aus der fast immer guten alten Fußballzeit.
       Die werden so oft erzählt, dass selbst Nachgeborene glauben müssen, sie
       seien höchstselbst dabei gewesen, als Rahn aus dem Hintergrund geschossen
       hat, als die Hand Gottes ins Spielgeschehen eingegriffen hat oder als das
       Wembley-Tor nicht gefallen ist.
       
       Und wer sich von Adidas eine Retro-Trainingsjacke im Style der deutschen
       Weltmeistermannschaft von 1974 besorgt, der spürt möglicherweise bis heute
       den Geist von Malente, jenem Ort in Ostholstein, in dem die DFB-Auswahl
       sich während des WM-Turniers zu einer Weltmeister-Prämie von 100.000 Mark
       gemeutert haben soll. Er war eine Zeit, so toll wie der Wuschelkopf von
       Paul Breitner.
       
       Der Hinfaller von Klaus Hölzenbein im Finale oder die Regenschlacht gegen
       Polen sind bis heute so präsent wie das Sparwasser-Tor und all die schönen
       und scheußlichen Geschichten vom einzigen Spiel der A-Nationalmannschaften
       der DDR und der BRD.
       
       Auch über die große Auslandsoperation der Stasi in den Tagen dieser WM ist
       viel gesprochen worden, von den Agenten, deren Aufgabe es war, aufzupassen,
       dass ja keiner der handverlesenen DDR-Schlachtenbummler im Westen bleibt.
       Die „Aktion Leder“ der Stasi gehört ebenso zum Erinnerungsschatz der 74er
       WM wie das Foul von [1][Uli Hoeneß] an Johan Cruyff in der ersten Minute
       des Endspiels gegen die Niederlande, das zum Elfmeterpfiff geführt hat.
       
       ## Der Agent beim DFB
       
       Wie das alles war, ist gut erforscht. Auch dass die Stasi eine Kiste in
       ihrem Gepäck hatte, in der beim Fluchtversuch ertappte Fans aus dem Tross
       des DDR-Anhangs in die Heimat zurücktransportiert werden sollten. Wie
       schlimm die Stasi noch hätte sein können, das haben sich Philippe Collin
       und Sébastien Goethals ausgedacht und daraus eine Graphic Novel gemacht,
       die man tunlichst nicht für bare Münze nehmen sollte.
       
       In „Das Spiel der Brüder Werner“ ist es [2][Erich Mielkes Offizieren]
       gelungen, einen Mitarbeiter als Teambetreuer in die westdeutsche Auswahl
       einzuschleusen. Der ist es, der der Presse steckt, wie hart die Mannschaft
       um eine Titelprämie feilscht. Darüber hinaus bearbeitet er Paul Breitner,
       der sich zu jener Zeit noch als Maoist bezeichnet hat, und versorgt diesen
       mit Rotwein, der er in Johannisbeersaftflaschen abfüllt.
       
       Das ist ebenso erfunden wie die Streitdialoge zwischen Franz Beckenbauer
       und Paul Breitner, in denen Zweiterer seinen Kapitän auch schon mal
       Arschloch nennt. In die Kiste wird in der Geschichte dann der Bruder des
       Teammanagers gesteckt, der als Physiotherapeut und Stasi-Mitarbeiter mit
       der DDR-Auswahl unterwegs ist.
       
       Der Physio hatte vor dem Spiel der BRD gegen die DDR geschafft, Jürgen
       Sparwasser zu einem Ausflug in eine Bar zu lotsen, um ihn erpressbar zu
       machen. Auch weil er sich in eine Westlerin verliebt, wachsen Zweifel in
       ihm, die sozialistische Sache betreffend. Die beichtet er seinem Bruder,
       der ihn flugs in die Kiste stecken und in die DDR verbringen lässt. Was für
       ein Stasi-Kitsch!
       
       Eine so tolle historische Vorlage derart zu versemmeln ist ein Fehlschuss,
       mit dem nicht einmal Uli Hoeneß’ Mondelfmeter von Belgrad mithalten kann.
       Wer könnte sich nicht an jenen Abend von 1976 erinnern?
       
       3 Oct 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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