URI: 
       # taz.de -- Deutschland, EU und Aserbaidschan: Wiederholungszwang mit Folgen
       
       > Die EU kooperiert mit dem Regime in Aserbaidschan. Und zeigt, dass sie
       > nichts aus den Fehlern mit Russland gelernt hat.
       
   IMG Bild: Demonstration in Paris mit der Forderung, Armenien zu unterstützen am 15.09.2022
       
       Während ich diese Kolumne schreibe, kann ich das laute Ausatmen unserer
       Regierung und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis in
       meine Berliner Wohnung hören. Puhhhh, nochmal Glück gehabt.
       
       Armenien und Aserbaidschan hatten [1][sich nach zweitägigen Kämpfen auf
       eine Waffenruhe geeinigt]. Mehr als 100 Armenier sollen nach Angaben von
       Ministerpräsident Nikol Paschinjan getötet worden sein. Die
       aserbaidschanische Seite spricht von 50 Toten. Ein alter Konflikt, der erst
       2020 zu einem erbitterten Krieg um Bergkarabach geführt hatte, ist diese
       Woche wieder aufgeflammt. Ein Konflikt mit Eskalationspotenzial.
       
       Wer etwas Verstand hat, weltpolitisches Interesse und vielleicht noch ein
       wenig Wissen über die Region, hätte das kommen sehen müssen. Das autoriäre
       Aserbaidschan hatte Armenien in der Nacht zu Dienstag angegriffen – und das
       selbst mit einer angeblichen Provokation begründet. In dieser Woche ist
       also ein demokratisches Land und dessen Souveränität in der Kaukasusregion
       von einem Regime angegriffen und verletzt worden. Kommt Ihnen das bekannt
       vor?
       
       Als ich Dienstagmorgen die Meldungen auf meinem Handy las, kam in mir das
       ungute Gefühl hoch, dass sich hier etwas wiederholte. Denn auch wenn sich
       der russische Angriffskrieg und die Gefechte in Armenien fundamental
       voneinander unterscheiden, so ähnelt sich doch der Umgang der EU und
       unserer Regierung damit.
       
       In beiden Fällen hat sich die EU und die Bundesregierung auf ein Regime
       eingelassen. Die erbärmliche Geschichte politischer Abhängigkeiten von
       Russland erleben wir in der aktuellen Energiekrise hautnah mit. Anstatt aus
       diesem Fehler zu lernen, verhandelte Ursula von der Leyen im Juli [2][mit
       Aserbaidschan einen Gasdeal]. Sie sprach davon, dass das Land ein
       zuverlässiger Partner der EU sei und eine wichtige Rolle für die
       Energiesicherheit Europas spiele. Um von Russland unabhängig zu sein,
       brauche es Aserbaidschan. Von den Armen des einen Regimes in die Arme des
       nächsten. Eine Art Wiederholungszwang mit schweren Folgen.
       
       ## Der restliche Osten Europas wurde zu lange vernachlässigt
       
       Viel zu lange hat der Westen, hat Deutschland dabei zu geschaut, wie Putin
       überall mitmischte: ob in der Ukraine, Belarus oder Armenien. Bis es dann
       am 24. Februar zur Katastrophe kam. Auch danach zögerte Deutschland – und
       zögert bis heute, wenn es zum Beispiel um die Lieferung von Panzern geht.
       Dass es zwischen Armenien und Aserbaidschan knallt, hat, ja, auch mit Putin
       zu tun. Wenn er Truppen aus Armenien abzieht, weil er sie für den Krieg in
       der Ukraine benötigt, dann steht das, was diese Woche an Auseinandersetzung
       in Armenien passierte, plötzlich in Verbindung dazu. Aserbaidschan spielt
       das in die Hände.
       
       Deutschland und die EU haben sich viele Jahre fast ausschließlich auf
       Russland und andere autoritäre Regime konzentriert und den restlichen Osten
       Europas vernachlässigt. Ich weiß nicht, ob es Ignoranz ist oder
       Desinteresse. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. So konnte auch das
       autoritäre Aliyew-Regime über Jahre sein Image in Europa aufpolieren. Auch
       in Deutschland. Der Einfluss des aserbaidschanischen Staatspräsidenten
       reichte sogar [3][bis in den Deutschen Bundestag]. Zahlreiche Recherchen im
       letzten Jahr haben das offengelegt.
       
       Kluge Worte habe ich von der Bundesregierung und der EU noch nicht dazu
       gehört. Vielleicht sind sie noch mit Ausatmen beschäftigt. Wobei, den
       Kommentar von Kanzler Scholz, der Konflikt zwischen Armenien und
       Aserbaidschan mache keinen Sinn, will ich natürlich nicht unterschlagen.
       Danke dafür. Sanktionen gegen Aserbaidschan und Gaslieferungen an
       demokratische Standards zu koppeln, das wäre stattdessen mal was.
       
       16 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Konflikt-Armenien-Aserbaidschan/!5881815
   DIR [2] /Wege-aus-der-Energiekrise/!5865745
   DIR [3] /Doku-ueber-Aserbaidschan-Affaere/!5778976
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erica Zingher
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Grauzone
   DIR Schwerpunkt Bergkarabach
   DIR Armenien
   DIR Bundesregierung
   DIR Aserbaidschan
   DIR Armenien
   DIR Kolumne Grauzone
   DIR Armenien
   DIR Ukraine
   DIR Armenien
   DIR Armenien
   DIR Schwerpunkt Bergkarabach
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Konflikt um Bergkarabach: Gestohlene Hilfsgüter
       
       In der Region ist die Versorgungslage schlecht. Russische Friedenstruppen
       sollen nun Geld für die Herausgabe von humanitären Gütern verlangen.
       
   DIR Kriegsdienstverweigerer aus Russland: Moralische Möchtegernexperten
       
       Wer sich abschätzig über russische Männer äußert, die vor Putins Krieg
       fliehen, macht es sich zu einfach. Aber auch ukrainische Ängste zählen.
       
   DIR Konflikt mit Aserbaidschan: Armenier fürchten weitere Schmach
       
       In Armenien trauern die Menschen um die Toten im Konflikt mit
       Aserbaidschan. Viele fürchten, dass ihre Regierung sich dem Druck beugen
       könnte.
       
   DIR Krieg in der Ukraine: Preis und Verlockungen des Sieges
       
       Die Erfolge der ukrainischen Armee bei Charkiw haben die Stimmung der
       Menschen gehoben. Doch Militärs mahnen einen realistischen Blick auf die
       Lage an.
       
   DIR Kämpfe im Südkaukasus: Angriff ohne Konsequenzen
       
       Trotz Angriffen auf Armenien droht die Bundesregierung Aserbaidschan nicht
       mit Sanktionen: Man wisse nicht, wer schuld an der Eskalation sei.
       
   DIR Armenien und Aserbaidschan im Konflikt: Schwere Gefechte im Kaukasus
       
       Die Spannungen zwischen Aserbaidschan und Armenien sind erneut eskaliert.
       Im armenischen Landesinneren wohl mit Dutzenden toten Soldaten.
       
   DIR Krieg in Bergkarabach: Die Sprache der Ohnmacht
       
       Russland und die Türkei haben den Konflikt um Bergkarabach entschieden. Für
       Deutschland und die EU bedeutet das eine Niederlage.