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       # taz.de -- Deutschland in der Corona-Krise: Ein Land bremst ab
       
       > Am Dienstag spielen in Bremen die Theater. Am Mittwoch spielen in
       > Wächtersbach die Kita-Kinder. Dann ändert sich dieses Land grundlegend.
       
   IMG Bild: Abgesagt: Vorbereitungen auf die Caravan-Messe im hessischen Wächtersbach
       
       Eine junge Frau zieht den Kragen ihrer geöffneten Jacke vor ihr Gesicht und
       hustet hinein. Gemeinsam mit den zwei anderen Frauen auf dem Vierersitz
       scherzt sie darüber, was sie in Quarantäne machen würden. Sie sprechen
       darüber, als sei es abwegig. Es ist erst sieben Uhr morgens, die S-Bahn ist
       voll. Auf der anderen Seite des Zugfensters drückt sich die Sonne gerade
       durch das flächendeckende Grau. In den Fenstern von Plattenbauten
       reflektiert sich das Sonnenlicht auf das Rote Rathaus. Die hustende Frau
       schaut aus dem Fenster hinaus und gähnt in ihre Hand.
       
       An der nächsten Station steigt eine ältere Frau ein. Als sich die Türen
       schließen, schaut sie verunsichert zur glatten Metallstange. Sie versucht
       ihren Mantelärmel schützend über die Hand zu ziehen. Er ist zu kurz. Als
       sich die Bahn dann in Bewegung setzt, stützt sie sich mit dem Ellenbogen
       gegen die Stange. Im ganzen Abteil üben sich Menschen mit verschränkten
       Armen oder den Händen in den Taschen im Balancieren, anstatt sich
       festzuhalten. Selbst in Berlin, der Stadt der vielen parallelen
       Alltäglichkeiten, in der Rücksicht kleingeschrieben wird und das Handeln
       anderer im Zweifel jede:m egal ist, ändert sich etwas.
       
       Vor sechs Wochen erreichten Deutschland die ersten Videos aus Wuhan. Die
       Reaktionen waren für die meisten überschaubar. Dann kamen die ersten
       Infizierten in Süddeutschland. Diese Meldung löste die Hamsterkäufe von
       Nudeln, Toilettenpapier und H-Milch aus. Desinfektionsmittel war schnell
       vergriffen und wurde mitunter aus Krankenhäusern gestohlen. Die Grenze
       zwischen Komik und Tragik verlief in den vergangenen Wochen entlang der
       menschlichen Abgründe.
       
       Nun ist das Coronavirus in Deutschland angekommen.
       
       Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts kann sich die Fallzahl innerhalb
       einer Woche verdoppeln, wenn sich die Menschen den Empfehlungen
       widersetzen. Doch wie sieht der entscheidende Beitrag aus? Wie verändert
       sich das Leben in Deutschland in einer Woche?
       
       ## Bremen am Dienstag: Alles fast normal
       
       In Bremen erst mal gar nicht. Das Viertel ist an diesem Dienstag trotz
       Nieselregen belebt. Jenny Addens unterhält sich in einem der Cafés am
       Steintor über zwei Tische hinweg mit ihren Gästen. Sie reden über Corona,
       der derzeit größte gemeinsame Nenner der Gesprächsthemen. Die blonde Frau
       mit Pudelmütze steht auf, rückt sich das Kellnerportemonnaie am Gürtel
       zurecht und geht zurück an die Arbeit. Dabei habe sich bisher fast nichts
       verändert, sagt sie. Die Gäste kämen weiterhin. „Es gibt jetzt Anweisungen,
       wie man sich verhalten soll: Hände waschen, in die Armbeuge niesen. Das
       sind Dinge, die man halt eh in der Gastro macht“, sagt Addens und lässt
       ihren Blick nach oben schweifen.
       
       Zwar steht ihr Urlaub auf Kippe: Sie wollte nächste Woche ausgerechnet über
       Düsseldorf „ins Warme“ fliegen. Und auch das Tätowieren, was sie nebenbei
       betreibt, sei schwierig geworden, denn Desinfektionsmittel ist Mangelware.
       Bedrohlich findet sie Sars-CoV-2 dennoch nicht. Eine Freundin sei die
       Krankenschwester, die den ersten Coronafall in Bremen behandelt habe. Und
       selbst die sei gesund geblieben. „Insgesamt gibt es hier ja auch erst vier
       Fälle oder so“, sagt Addens und winkt ab.
       
       Die Zahl bestätigt das Klinikum Bremen-Mitte. Hier gibt es eine
       Corona-Ambulanz, in der täglich 200 Personen getestet werden können. Nach
       Angaben der Klinik sei die Ambulanz „gut ausgelastet, aber alles ist ruhig
       und geordnet“. Vor Ort bleibt die Tür geschlossen. Nur die laminierten
       Hinweisschilder und drei Mundschutzmasken im Mülleimer deuten darauf hin,
       dass hier etwas ungewöhnlich ist.
       
       In der Innenstadt flanieren Menschen über die Einkaufsstraße, durch
       Passagen, über den Markt. Das Theater wird weiter bespielt, heute startet
       das türkische Festival „Kültürale“. Solange „der Schwarm“ keine Schließung
       fordert, wolle man weitermachen wie zuvor, sagt die freundlich-heitere
       Stimme aus der Pressestelle des Theaters. Aber am Mittwoch gibt das Bremer
       Theater bekannt, alle Veranstaltungen bis Ende März abzusagen.
       
       Corona entspannt den Terminkalender, erlaubt Homeoffice, die Absage der
       Abendpläne übernehmen zunehmend die Kultureinrichtungen. Es entschleunigt
       den Alltag. Wer jedoch auf Veranstaltungshonorare oder den Stundenlohn an
       der Clubgarderobe angewiesen ist, steht vor finanziellen Schwierigkeiten,
       deren Ausmaß noch niemand recht einschätzen kann.
       
       ## Donnerstag in Wächtersbach: Das Virus kommt noch
       
       Donnerstagmorgen in Fulda steigen zwei junge Frauen in den Regionalzug
       Richtung Frankfurt am Main. Sie kommen von der Hochschule, wo sie gerade
       Hausarbeiten eingereicht haben. Ihr Alltag läuft normal weiter, trotz der
       allgegenwärtigen Gefahr, sich mit Sars-CoV-2 zu infizieren. „Vielleicht
       sehen wir es auch wegen unserem Studienfach entspannter“, sagt eine der
       beiden und lacht. Sie studieren Internationale Gesundheitswissenschaften.
       Studentin Paula F. sagt: „Ich selber habe gar keine Angst. Ich bin fit und
       vielleicht würde ich es gar nicht merken. Wenn, dann bin ich wegen der
       Älteren besorgt“, sagt sie und zuckt mit der linken Schulter.
       
       Auf halber Strecke zwischen Fulda und Frankfurt liegt die Kleinstadt
       Wächtersbach. Trotz seiner Altstadt mit Fachwerkhäusern und gerade
       renoviertem Schloss spielt sich das Leben ausgerechnet in einem Großmarkt
       ab. In der „Trefferia“, einer Kantine hinter dem Kassenbereich, kommen
       Städter und Dörfler zu Frühstück, Gulasch oder Sahnetorte zusammen. Auch
       wer nicht einkauft, trifft sich hier – manchmal auch zu Livemusik und Tanz
       am Nachmittag.
       
       Heute sind nur wenige der dunklen Holztische besetzt. An einem sitzen
       Joachim und Irmgard Remy, zwischen ihrem leeren Einkaufskorb und einer
       flachen Trennwand zum nächsten Tisch. „Das ist die Coronaschutzwand“, sagt
       Joachim Remy über die Erhebung hinweg und lacht lautlos. Wenn er redet,
       hält er eine elektronische Sprachhilfe an seinen Hals. Letztes Jahr im Mai
       wurde bei ihm Kehlkopfkrebs diagnostiziert. Die Chemotherapie ist
       abgeschlossen, doch nun ist er einem neuen Risiko ausgesetzt: dem
       Coronavirus. „Wir sind beide eher so die Ruhigen und lassen uns nicht
       verrückt machen“, sagt er. Irmgard Remy nickt das ab, auch wenn da etwas
       Sorge in ihrem Blick liegt. Auch sie hat bereits eine Krebskrankheit
       überstanden. Joachim Remy scherzt weiter, mehr lebensfroh als naiv:
       „Gestern habe ich bei Netto geschaut. Es gab nur noch das Toilettenpapier,
       wo man sich den Hintern verletzt.“
       
       „Ich denke, wenn alle ihre Panikkäufe erledigt haben, wird es besser.“ –
       Auch mit Corona? – „Nein. Der Virus wird erst richtig kommen“, sagt Remy.
       Er zieht dabei die Augenbrauen hoch. Bei all dem Spaß achten die Remys
       darauf, anderen Menschen nicht zu nahe zu kommen. Zu Hause in Kefenrod,
       einer kleinen Gemeinde nördlich von Wächtersbach, haben die Remys eine
       Flasche Desinfektionsmittel für die elektronische Sprachhilfe. „Das
       reicht ein Jahr“, winkt Joachim Remy ab. Dass manche Menschen literweise
       Desinfektion kaufen, findet das Paar lächerlich. „Und wenn das Klopapier
       alle ist, dann werden die Zeitungen wieder aus dem Briefkasten geklaut“,
       lacht das Rentnerpaar.
       
       Irmgard und Joachim Remy gehören zur gefährdeten Gruppe, zu jenen, für die
       ein Krankheitsverlauf von Covid-19 lebensgefährlich sein könnte. Sie
       übernehmen die Verantwortung füreinander.
       
       ## Die Pflegerin im Altenheim
       
       Magdalena Feher trägt die Verantwortung für gleich sechzig Personen der
       Risikogruppe. Sie ist die Pflegedienstleiterin eines Seniorenzentrums am
       Stadtrand. Vor wenigen Minuten hat Feher von dem ersten Coronafall in
       Wächtersbach erfahren, doch sie bleibt gefasst: „Wir müssen ja nicht mehr
       Angst machen, als es ohnehin gibt.“
       
       Eine Frau kommt in das Büro der Pflegedienstleitung. Sie trägt ein
       dunkelblaues Bandana-Kopftuch um den Kopf und ein rotes T-Shirt mit dem
       Logo des Heimträgers. Hülya Kaya ist hier seit 2007 Pflegekraft. Beim Wort
       Corona klopft sie zweimal mit den Handknöcheln auf die Tischplatte. Bisher
       sei alles unauffällig. „Wir haben keine Angst, aber wir sind vorsichtiger
       geworden“, sagt Kaya. Die Pflegekräfte geben sich untereinander nicht mehr
       die Hand, wechseln ihre Kleidung nach Betreten der Einrichtung und waschen
       und desinfizieren die Hände noch mehr als gewöhnlich, auch zu Hause, sagt
       sie. „Das ist hier ein geschützter Raum“, betont sie immer wieder, als
       wolle sie auch sich selbst davon überzeugen.
       
       Doch auch das stimmt nur bedingt. „Wir können nichts vorschreiben, wir
       können nur anraten“, sagt Feher. Sie rät Angehörigen der Bewohner:innen,
       ihre Besuche auf das Nötigste zu beschränken.
       
       Ein Besuch der Presse ist keine Notwendigkeit, deshalb berichtet Kaya von
       den Bewohner:innen: „Viele sind dement. Aber selbst die Wacheren gucken
       Fernsehen. Da läuft viel über Corona, doch bisher haben sie noch nicht
       darüber gesprochen. Sie reden eher über Griechenland und die Türkei, wie
       furchtbar dort mit den Menschen umgegangen wird.“ Unterm Strich seien die
       Bewohner:innen schlichtweg mehr mit sich beschäftigt, „und das ist besser
       als Angst“, sagt Kaya.
       
       Im Regenbogenkindergarten scheint eine Schließung nicht absehbar. Die
       Garderobe im Vorraum der Kita ist prall gefüllt mit bunten Jacken,
       Gummistiefeln und kleinen Rucksäcken. Im Essensraum sitzen die Frosch- und
       die Tigergruppe auf drei winzige Tische verteilt. Sie nehmen sich
       Würstchen, Brot und Suppe. Die Kinder zwischen drei und sechs wissen, was
       Corona ist: „Das macht Leute krank!“, rufen sie. Und was hilft dagegen? „Zu
       Hause bleiben“, sagt der sechsjährige Jari. Er zieht sein Kinn hoch, ist
       stolz auf seine Antwort.
       
       Nun sind sie aber alle hier und nicht zu Hause. „Wir haben auch kein
       Corona“, sagt Jari frei heraus. Er senkt seinen Blick und fängt an zu
       grübeln. „Wie kann der hier reinkommen?“, fragt er in die Runde, als wäre
       Corona eine Fabelfigur. „Vielleicht krabbelt er durch die Tür?“, sagt
       Juliane, die neben ihm sitzt. Ein Kind vom Nachbartisch entgegnet: „Dann
       müssen wir sie alle zusammen zuhalten!“.
       
       Die Maßnahmen des Kindergartens sind ähnlich begrenzt. „Kinder sind
       Kinder“, sagt die Leiterin Bettina Schumann. Sie sind sich nah, und auch
       wenn sie nach dem Essen selbstständig ihre Teller abräumen, geht Disziplin
       nur bedingt. Man gehe nun häufiger Hände waschen, dabei wird zweimal Happy
       Birthday gesungen. Vor dem Essen werden Tischsprüche gewählt, die ohne
       Händchenhalten funktionieren und kranke Kinder werde konsequenter nach
       Hause geschickt. Es sei mit der Stadt, dem Gesundheitsamt und der Feuerwehr
       abgestimmt, was passiert, „wenn es näher kommt“. Noch scheint das Virus
       fern.
       
       Als sich vor einigen Wochen die Corvid-19-Fälle in China häuften, sagte ein
       Kind zu einem anderen: „Da sterben Leute.“ Es war einige Tage nach dem
       Sturmtief „Sabine“. „Nein, das war nur ein Sturm. Das geht vorbei“, habe
       das andere Kind geantwortet. So erzählt es Bettina Schumann, als wünschte
       sie wie ein Kind denken zu können.
       
       Einen Tag darauf, im Laufe des Freitags, kündigen neun Bundesländer die
       Schließung von Schulen und Kitas an. Auch in Wächtersbach muss eine Schule
       wegen eines erkrankten Kindes schließen. Nach Angaben des Bürgermeisters
       Andreas Weiher (SPD) würden die Kindergärten auf Notbetrieb umgestellt.
       „Sie ganz zu schließen, ist keine Option“, sagt er. Eine fehlende
       Kinderbetreuung würde mehr Care-Arbeit für Eltern, voran Mütter, bedeuten
       und somit flächendeckende Ausfälle von Arbeitskräften – auch in Berufen wie
       der Krankenpflege. Die für das Wochenende geplante Wächtersbacher
       Caravanmesse soll trotz des Virus stattfinden. Es werden zwar zwei- bis
       dreitausend Menschen erwartet, aber die Messe sei schließlich unter freiem
       Himmel, sagt der Bürgermeister.
       
       Kurz darauf wird die Caravanmesse für dieses Jahr abgesagt. Die
       Regenbogen-Kita ist ab Montag geschlossen.
       
       Der Verlauf der Woche zeigt: Hände waschen allein reicht nicht. Doch was
       dann? Am Anfang der Woche wird noch diskutiert, ob Veranstaltungen mit über
       1.000 Teilnehmer:innen bundesweit abgesagt werden sollten. Wenig später
       empfiehlt Kanzlerin Angela Merkel, Sozialkontakte so weit wie möglich
       einzuschränken. Und in Österreich sind seit dem Sonntag Versammlungen von
       mehr als fünf Personen landesweit verboten.
       
       Das Koordinatensystem des Miteinander verschiebt sich. Was man eigentlich
       darf und was man muss, was nun gefährlich für einen selbst ist und ob man
       selbst eine Gefahr für andere darstellt – das sind Fragen, die neu
       verhandelt werden.
       
       ## Freitag in Dortmund: Tristesse statt Derby
       
       „Normalerweise wäre es hier rappel, rappel, rappelvoll“, sagt Aki mit lang
       rollendem r. Sie schaut müde über ihre Brille hinweg, an dessen Bügeln ein
       gelbes Band hängt. Hinter ihr sind Autogrammkarten und eine Maske mit dem
       Gesicht von Jürgen Klopp an der Wand befestigt. Aki ist Wirtin im
       Lütge-Eck, einer Fankneipe von Borussia Dortmund. Der Verein sollte dieses
       Wochenende Schalke 04 zum Ruhr-Derby empfangen. Am Anfang der Woche hieß es
       noch, es solle ein Geisterspiel werden. An diesem Nachmittag sagte die
       Deutsche Fußball Liga das Spiel dann komplett ab. Akis Vorratskeller ist
       voll, ihre Kneipe ist leer. Gerade einmal vier Stammgäste zählt man an dem
       langen Holztresen.
       
       Neben zwei alten Männern sitzen Stefan und Kiki M. hinter Biertulpen.
       Stefan M. geht zum Rauchen vor die Tür. „Aki hat jetzt Probleme. Deshalb
       sind wir heute hier, das ist Saufen aus Solidarität“, sagt er und ascht mit
       Schwung ab. „Normalerweise ist hier alles voll auf der Straße“, ruft Stefan
       M. und deutet auf die leere Fußgänger:innenzone. Drei Jugendliche laufen
       die Brückstraße entlang und kippen blaue Getränke. Ein Mann schlurft auf M.
       zu und fragt ihn nach Kleingeld. M. gibt ihm eine Zweieuromünze. „Bis elf
       müssen sie zwölf Euro zusammen haben“, erzählt er. Die Notunterkunft kostet
       in Dortmund Geld. Obdachlose trifft die Pandemie besonders. Sie können sich
       in keine Wohnung zurückziehen und wenn zudem keine Menschen auf den Straßen
       sind, wird das Betteln noch schwieriger.
       
       Gegen Mitternacht ziehen Stefan und Kiki M. in einen Club weiter. Er hat
       geöffnet, doch als sie den Raum betreten, sind nur drei andere Gäste da.
       „Das hat nichts mit Corona zu tun. Das wird hier noch richtig voll“, sagt
       Stefan M. und bestellt einen Fanta-Korn.
       
       Nachts um eins sind Tanzfläche und Barschlange miteinander zu einer
       energischen Masse verschmolzen. „I’ve got the feeling“, schmettert aus den
       Boxen und der halbe Raum ruft „Wuhu!“. Hinter dem Pult des DJ geht es auf
       eine Terrasse. Dort sitzen Kadir Bağci und seine Freund:innen zum Rauchen.
       „Corona hat hier keine Auswirkungen“, sagt Bağci und zeigt um sich herum.
       Die Terrasse ist voller Menschen, die dicht an dicht stehen oder sich mit
       Umarmungen und Küssen begrüßen. Verantwortungslos finden sie ihr Verhalten
       nicht. „Wir überwinden das. Deutschland ist gut vorbereitet“, sagt Bağci.
       Das Feiern will er sich nicht nehmen lassen, ebenso wenig die Schulbildung
       – die sei schließlich das Wichtigste in Deutschland. Und doch wird beides
       in den kommenden Wochen bundesweit eingeschränkt werden. Diese Nacht ist
       vorerst vielleicht die letzte, in der es Stefan und Kiki M., Bağci und
       seine Freund:innen und vielen anderen noch erlaubt ist, in einem Club zu
       feiern.
       
       Am nächsten Morgen ist der Frühling in Dortmund. Die kühle Luft riecht nach
       Blumen und Backwaren, die Zahl der Spazierenden ist überschaubar. Im Osten
       der Stadt reicht eine Menschenschlange von der Bäckerei hinaus auf den
       sonnigen Gehweg. Wer an der Theke ankommt, kauft keine Vorräte in großen
       Mengen, sondern Brötchen für ein spätes Frühstück, Kuchen für den
       Kaffeebesuch oder Torte für das Geburtstagskind. „Hier hat sich bisher zum
       Glück noch nichts verändert“, sagt eine der beiden Bäckersfrauen. Zwei
       Mädchen sitzen an einem kleinen Tisch, essen Brötchen und trinken Kakao aus
       Trinkpäckchen.
       
       Am Sonntagmorgen liegt eine Straße in Berlin-Kreuzberg still im
       Sonnenschein. Nur die eingezogenen Markisen der geschlossenen Geschäfte
       bewegen sich im Wind. Vor einem Café sitzen vereinzelt Personen bei Kaffee
       und Zeitung. Die Tische sind wie kleine Inseln weit voneinander entfernt um
       den Gehweg herum verteilt. Am Eingang des Cafés hängt ein Zettel: „Liebe
       Gäste. Bitte 1,5 m voneinander Abstand halten und am besten To-Go
       bestellen!“. Unter dem Strich des Ausrufezeichens ist ein Herz. Die Theke
       im Geschäft ist mit Panini und Croissants gefüllt.
       
       An der hellgrünen Wand daneben hängen Plakate für Veranstaltungen, die
       nicht stattfinden werden. Im Geschäft läuft leise portugiesische
       Fado-Musik. Sie handelt von Sehnsucht nach besseren Zeiten.
       
       15 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Stendera
       
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