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       # taz.de -- Die Knast-Reform: „Wir waren mal zivilisierter“
       
       > Johannes Feest, Experte für Strafvollzug, über trügerische
       > WG-Vorstellungen, Arbeitszwang, die Angst vor der Bild und illusionäre
       > Erwartungen an „Resozialisierung“.
       
   IMG Bild: JVA Oslebeshausen: "Hier soll es wenigstens zivilisiert zugehen, solange einem nichts Besseres einfällt als diese Institution", fordert der Bremer Strafrechtler Johannes Feest.
       
       taz: Herr Feest, Bremens erstes eigenes Strafvollzugsgesetz ist gerade in
       Arbeit. Wie steht es bisher um die Gefängnisse? 
       
       Johannes Feest: Unter dem einheitlichen Bundesgesetz hatten wir in den
       Ländern sehr unterschiedliche Situationen. Bremen war mit Hamburg und
       Hessen zeitweise eher auf der liberaleren Seite. Was Lockerungen betrifft,
       waren wir ein eher zivilisiertes Vollzugsland. Das hat sich vor 15 Jahren
       total gewandelt: Ausgang und Urlaub wurden um mehr als 50 Prozent
       zurückgefahren, obwohl die Missbrauchsquoten minimal waren. Mittlerweile
       predigt man wieder einen liberalen Umgang – ganz überzeugend ist das aber
       noch nicht.
       
       Inwiefern? 
       
       Der Wohngruppenvollzug steht im Gesetzesentwurf, aber niemand wird dazu
       verpflichtet, die Wohngruppen auch wirklich anzubieten. Im Gesetz steht
       dann auch nicht, wie sie konkret zu gestalten wären: Das Wort gaukelt ja
       ein Bild von Freiwilligkeit und Selbstverwaltung vor. Man denkt an
       studentische WGs, aber im Vollzug hat das einen anderen Rahmen und ist
       immer Zwang.
       
       Ist es denn kein Fortschritt, wenn Gefangene sich selbst versorgen? 
       
       Natürlich, aber die inneren Rechte der Gefangenen werden da überhaupt nicht
       behandelt. Es besteht kein Anspruch auf Unterbringung in diesen Wohngruppen
       – es ist nicht mal geregelt, nach welchen Kriterien Gefangene dafür
       ausgewählt werden. Die Anstaltsleitung weist einen ein und man kann nichts
       dagegen machen – und wenn sie es nicht tut, genauso wenig. Da sind große
       Ermessensspielräume für die Verwaltung. Der Gesetzgeber gibt Spielräume aus
       der Hand, die er selber hätte. Die Sache wurde auch durch die Kündigung des
       Vertrages mit Niedersachsen erschwert, wodurch die Langstrafigen auf einen
       Schlag nach Bremen kamen.
       
       Was ist denn an niedersächsischen Gefangenen so anders? 
       
       Sie hatten dort mehr Rechte als hier. Jetzt beklagen sie sich natürlich
       darüber, Möglichkeiten, die sie jahrelang ganz selbstverständlich hatten,
       plötzlich verwehrt zu bekommen. Das beste Beispiel dafür ist der
       Langzeitbesuch. Der war in anderen Bundesländern schon lange üblich, um die
       Außenkontakte von Gefangenen zu verbessern, die noch keine
       Vollzugslockerungen wie Ausgang und Urlaub erhalten konnten. Das sind vor
       allem Gefangene mit langen Strafen. Solange alle Langstrafer in
       Niedersachsen waren, brauchte Bremen sich darum nicht zu kümmern, aber dann
       scheut man sich, entsprechende Regelungen zu schaffen. Wahrscheinlich hat
       man Angst vor Schlagzeilen in der Bild-Zeitung. Erste Gefangene klagen
       bereits und werden wahrscheinlich auch gewinnen.
       
       Aber soll im neuen Landesgesetz nicht gerade eine Rechtsgrundlage für den
       Langzeitbesuch geschaffen werden? 
       
       Ja, in diesem Punkt ist man zunächst dem Musterentwurf gefolgt. Aber dann
       hat man eine zusätzliche Klausel eingefügt, die gerade für Gefangene mit
       langen Strafen diese Möglichkeit praktisch ausschließt. Das verkehrt die
       anderswo übliche Regelung in ihr Gegenteil.
       
       Auch bei der Arbeitspflicht ist der Bremer Entwurf schärfer als das Muster. 
       
       In der Behörde sitzen viele Leute, die sich ein Gefängnis ohne Arbeitszwang
       absolut nicht vorstellen können. Man versteht Arbeit hier immer noch als
       zentralen Bestandteil des Vollzugs. Die Streichung im Muster war aber
       vernünftig: Die Leute sind zum Entzug der Freiheit verurteilt und zu nichts
       anderem.
       
       Soll die Arbeit die Gefangenen nicht fit für den Arbeitsmarkt halten und
       sie resozialisieren? 
       
       Das ist die Lebenslüge der Verantwortlichen. Durch Strafvollzug wird
       niemand ins Arbeitsleben integriert. Im Gegenteil: Wer aus dem Gefängnis
       kommt, hat keine Chance, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Und wer
       vorher Arbeit hatte, verliert sie meist sogar durch den Vollzug. Natürlich
       ist es vernünftig, jüngere Leute auszubilden, aber es ist eine Illusion, zu
       glauben, dass Arbeitszwang das leisten kann. Das sind Schimären, die auch
       liberale Vollzugsvertreter vor sich her tragen.
       
       Resozialisierung ist eine Schimäre? 
       
       Man wird ständig aufgefordert, sich zwischen Resozialisierung und
       Sicherheit zu entscheiden. Im Gesetz ist Resozialisierung das oberste Ziel
       des Strafvollzugs – tatsächlich ist sie die Ausnahme, nicht die Regel.
       Menschen werden aus dem Leben gerissen und ihre Situation wird sich meist
       eher verschlechtern. Ich fordere stattdessen ein Mindestmaß: Dass es
       wenigstens zivilisiert zugehen sollte, solange einem nichts Besseres
       einfällt als diese Institution. Resozialisierung ist ein viel zu großes
       Wort dafür, auch wenn wir leider kein besseres für die Forderung haben,
       dass Menschen nicht nur verwahrt werden. Es erzeugt gleichzeitig
       Illusionen.
       
       Widersprechen nicht auch Disziplinarmaßnahmen wie Fernsehentzug diesem
       Vollzugsziel? 
       
       Es gibt ein Strafsystem im Strafsystem, das ist wahr. Auch hier muss man
       genau hinsehen: Man will auf Disziplinarmaßnahmen nicht verzichten, auch
       wenn in den neuen Gesetzen steht, dass vorher andere Konfliktlösungen
       versucht werden müssen. Sie bleiben als Knüppel vorbehalten. Im übrigen
       gibt es neben Disziplinarmaßnahmen sogenannte besondere
       Sicherungsmaßnahmen, die inhaltlich zum Teil genau das gleiche sind. Der
       Arrest zum Beispiel ist in vielen Ländern abgeschafft, die Einzelhaft
       hingegen als Sicherungsmaßnahme beibehalten – das ist aber im Ergebnis das
       gleiche!
       
       Aber ist es nicht schwieriger, Sicherungsmaßnahmen einzusetzen? 
       
       Im Gegenteil: Es ist leichter. Disziplinarmaßnahmen erfordern ein
       Verfahren, Sicherung lässt sich elegant durchwinken. Hinzu kommt, dass die
       Strafanstalt viele andere Möglichkeiten hat, zu sanktionieren, etwa durch
       den Entzug von Privilegien, also Vollzugslockerungen und Ähnliches. In den
       meisten Fällen ist die Drohung damit viel schmerzhafter als die Drohung mit
       Strafmitteln. Oft ist die Angst viel wirkungsvoller als der tatsächliche
       Einsatz.
       
       Wie das? 
       
       Die Anstalten kontrollieren die Post der Gefangenen. Die Angst, da könnten
       sich die Vollzugsbeamten gegenseitig lachend einen Brief an die Ehefrau
       vorlesen, ist viel drängender als die Frage, wie oft das tatsächlich
       passiert. Bestimmte Empfänger sind ausdrücklich ausgeschlossen:
       Strafverteidiger natürlich oder auch Briefe ans Parlament. Schreiben an
       Gerichte hingegen nicht – mit der Begründung, sie könnten von dort weiter
       nach draußen gelangen. Das ist grotesk, aber die Angst wird da sehr
       konkret.
       
       Weil die Gegenseite schon im Vorfeld der gerichtlichen Befassung Bescheid
       wüsste? 
       
       Draußen würde das zu Recht kein Bürger hinnehmen und im Vollzug ist das
       alles noch viel drastischer. Als Gefangener muss man fürchten, schon vor
       der gerichtlichen Entscheidung zusätzlichen Ärger zu bekommen. Deshalb
       waren sich im Anhörungsverfahren von der Anwaltskammer bis zur
       Straffälligenhilfe alle einig, dass das Unsinn ist. Aber die
       Verbandsanhörungen haben null Wirkung gehabt: Die Gerichtspost soll
       weiterhin überwacht werden – ohne weitere Begründung. Ich vermute, es gibt
       auch gar keine, sondern man will einfach nur kein Mittel der Kontrolle aus
       der Hand geben.
       
       7 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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