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       # taz.de -- Die Rohingya in Myanmar: Ein Völkermord geschieht
       
       > Die Lage der Rohingya müsste gerade in diesen Tagen, in denen über den
       > Militärputsch berichtet wird, ein wichtiges Thema sein. Ist sie aber
       > nicht.
       
   IMG Bild: Rohingya-Flüchtlinge werden auf die Insel Bhasan Char umgesiedelt, Februar 2021
       
       Ein Ausweis ist eine wunderbare Sache. Wie viele Rechte damit verbunden
       sind, stellt sich erst heraus, wenn jemandem oder gar einer ganzen
       Bevölkerungsgruppe das Dokument vorenthalten oder entzogen wird. Wie zum
       Beispiel den Rohingya.
       
       Rohingya? Ich vermute, dass den meisten von Ihnen der Name etwas sagt – und
       Sie spontan dennoch nicht wissen, wo sie ihn unterbringen sollen. Das ist
       aufschlussreich. Denn eigentlich müsste die Lage der Rohingya gerade in
       diesen Tagen ein wichtiges Thema sein, in denen zu Recht oft und viel über
       den blutigen Militärputsch in Myanmar berichtet wird. Ist sie aber nicht.
       Was unter anderem daran liegt, dass viele von ihnen – nun ja, eben keinen
       Ausweis haben.
       
       Die sind den meisten schon [1][1982] weggenommen worden, infolge eines
       damals neuen Staatsbürgerschaftsrechts, das Nationalität entlang ethnischer
       Linien definierte. Bis dahin waren die Rohingya eine muslimische Minderheit
       im überwiegend buddhistischen Birma, dem späteren Myanmar. Nein, die hätten
       gar nichts mit Birma zu tun, befand die damalige Militärregierung. Sie
       seien illegal aus Bangladesch eingewandert. Offiziell gehören sie somit
       nicht zu den insgesamt 135 einheimischen Bevölkerungsgruppen.
       
       Der Versuch, ethnische oder religiöse Minderheiten auszugrenzen, ist nicht
       originell. Den gibt es oft, in Bürgerkriegsgebieten und in friedlichen
       Staaten. In Myanmar waren die Folgen dramatisch. Zwischen 2016 und 2018
       führten Massaker, systematische Vergewaltigungen, die Zerstörung von
       Dörfern und andere Menschenrechtsverletzungen zu einer Massenflucht.
       
       Hunderttausende Rohingya leben heute staatenlos in ausländischen
       Flüchtlingslagern. UNO-Organisationen bezeichnen das, was ihnen widerfahren
       ist, als Völkermord – kein Begriff, mit dem die Vereinten Nationen
       leichtfertig um sich werfen.
       
       ## Nur ein Sonderproblem?
       
       Ein Sonderproblem, man kann sich schließlich nicht in jedem Winkel der Welt
       auskennen? Das ist wahr, einerseits. Andererseits beschreibt genau das die
       Misere der Rohingya. „Solange Myanmar von der Welt abgeschottet war, blieb
       das Problem verborgen“, analysiert Amal de Chickera für die britische
       Organisation HPN (Humanitarian Practice Network). „Als Myanmar sich
       öffnete, war das Narrativ ‚Demokratisierung‘ und ‚Transformation‘. Die
       Realität, in der die Rohingya lebten, war ein ärgerlich widersprüchliches
       Detail, das beiseitegewischt wurde.“
       
       Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Lage in Myanmar nach dem
       Militärputsch gehört zu den wenigen außenpolitischen Themen, die sogar in
       Coronazeiten noch auf Interesse stoßen. Eine aufrechte, tapfere
       Protestbewegung kämpft für Demokratie und für Aung San Suu Kyi, die
       entmachtete Friedensnobelpreisträgerin. Hier die Guten – da die Bösen: Das
       sind Erzählungen, die Öffentlichkeit und Medien lieben.
       
       Die Erzählung ist ja nicht falsch. [2][Aung San Suu Kyi] ist eine
       bemerkenswerte Frau, und die Demonstranten auf den Straßen von Myanmar
       beweisen großen Mut. Wahr ist aber auch: Die Politikerin hat die Verbrechen
       an den Rohingya lange geduldet und gelegentlich sogar verteidigt oder
       geleugnet. Es sei dahingestellt, ob aus Furcht vor den Militärs, aufgrund
       stillschweigender Übereinstimmung mit ihnen oder aus Angst vor der
       öffentlichen Meinung, die den Rohingya mehrheitlich nicht wohlwollend
       gegenübersteht. Auch Demokraten können Minderheiten feindselig gesinnt
       sein. Leider.
       
       Die Geschichte der Rohingya ist komplex. Im Machtgefüge gab es einst gute
       Gründe, sie als politische Kraft abzulehnen. Das sollte, das dürfte jedoch
       keine Rolle mehr spielen. Inzwischen sind sie nämlich Opfer eines Genozids.
       Für den sich viele nicht interessieren. Aber: War das nicht schon mehrfach
       so bei Völkermorden – bis sie dann vorbei waren? Doch, durchaus.
       
       6 Mar 2021
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Gaus
       
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