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       # taz.de -- „Die Wannseekonferenz“ im ZDF: Ganz normale Bürokraten
       
       > Ein ZDF-Film spielt die Wannseekonferenz nach, auf der vor 80 Jahren der
       > Massenmord an den Juden besprochen wurde. Kann das gut gehen?
       
   IMG Bild: Eine Frage von Kompetenzen und Effektivität: Szene aus dem ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“
       
       Darf man das? Zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen von „der Gefahr
       rassischer Zersetzung“ sprechen? Menschen mit Schimmelpilzen gleichsetzen?
       
       Nein, das darf man nicht. Wäre ja noch schöner, wenn die Sprache der Nazis
       und Neonazis, die wir heutzutage schon [1][zur Genüge aus den sozialen
       Medien kennen], im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbreitet wird,
       finanziert aus den Gebühren der Zuschauer.
       
       Und doch gibt es am Montagabend im ZDF um 20.15 Uhr einen Spielfilm zu
       sehen, der von rassistischen und antisemitischen Äußerungen nur so strotzt.
       Und das ist in diesem ganz besonderen Ausnahmefall nicht nur richtig,
       sondern vorbildlich. Denn dieser Film von Matti Geschonneck spielt die
       berüchtigte [2][Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942] nach, auf der die
       Massenvernichtung der europäischen Juden besprochen wurde.
       
       Von dieser Besprechung existiert bekanntlich ein von Adolf Eichmann
       erstelltes Ergebnisprotokoll, das einen seltenen Einblick in die
       bürokratische Umsetzung dieses Massenmords durch die von SD-Chef Reinhard
       Heydrich so genannten Zentralinstanzen ermöglicht. Ergebnisprotokoll heißt
       aber auch, dass wir nicht wissen können, was sich auf der 90 Minuten
       dauernden Tagung am Großen Wannsee genau abgespielt, wer von den Anwesenden
       wie argumentiert und gesprochen hat.
       
       ## Fiktion wird nicht jedem deutlich
       
       Geschickt werden zentrale Zitate aus dem Protokoll der realen Konferenz in
       der Fiktion dem Darsteller Heydrichs in den Mund gelegt. Der Film, der die
       Konferenz nachstellt und etwas länger als die quälenden 90 Minuten lang
       dauert, bleibt aber eine Fiktion – und es ließe sich einwenden, dass dies
       möglicherweise nicht jedem Zuschauer deutlich genug wird.
       
       Rätselhaft bleibt weiterhin, warum das ZDF den Film erst vier Tage nach dem
       80. Jahrestag dieses Ereignisses am 20. Januar 1942 auszustrahlen beliebt.
       Hat man sich bei der Programmplanung etwa im Datum geirrt?
       
       Abgesehen von diesen Einwänden aber ist da ein Werk gelungen, das wie kein
       zweites der historischen Wahrheit verpflichtet ist – offenbar auch dank der
       hochkarätigen historischen Berater. Denn „Die Wannseekonferenz“ zeigt zwar
       ungeschminkt den antisemitischen Sprachduktus der Anwesenden, widersteht
       aber doch der Versuchung, aus diesen mittelalten Männern aus SS, NSDAP, der
       Ministerialbürokratie und aus den besetzten Gebieten die Monster zu machen,
       als die NS-Schreibtischtäter immer wieder gerne dargestellt werden.
       
       ## Keine Monster
       
       Das waren sie aber nicht. Es waren ganz normale Bürokraten, überzeugt
       davon, ein fiktives „Problem“ namens „Judenfrage“ lösen zu müssen. Sie
       reagieren im Film auf diese Aufgabenstellung so, als ginge es um den Bau
       einer größeren Umgehungsstraße oder die Entwicklung eines Haarfärbemittels.
       Es geht in diesem Fall aber darum, so der von Philipp Hochmair gespielte
       Reinhard Heydrich, „die Judenfrage einer endgültigen Lösung zuzuführen“.
       
       Keine der Figuren stellt dieses Ansinnen an sich infrage. Es gibt eine
       Szene, da bekommt der Zuschauer zunächst den Eindruck, als gäbe es
       wenigstens einen, in diesem Fall Staatssekretär Dr. Wilhelm Stuckart
       (Godehard Giese) vom Innenministerium, der für die Menschlichkeit
       argumentiert. Allein, es geht ihm, wie nach einigen Sekunden klar wird, nur
       darum, die deutschen Mörder von den Seelenqualen zu erleichtern, die ein
       andauernder Gebrauch von Schusswaffen beim Töten von Frauen und Kindern
       auslösen könnte, nicht aber diejenigen zu schonen, deren Ermordung auf dem
       Programm steht.
       
       ## Der auswechselbare Täter
       
       Unwidersprochen nehmen die (Film-)Teilnehmer die von Adolf Eichmann
       (Johannes Allmayer) dargebotenen Statistiken zur Kenntnis, dass es darum
       gehe, in ganz Europa elf Millionen Menschen umzubringen. Der darob
       dargebotene Streit dreht sich vielmehr um die Frage von Kompetenzen und
       Effektivität.
       
       Jeder dieser Herren zeigt sich darauf bedacht, seiner Dienststelle
       zugefallene Zuständigkeiten nicht beschnitten zu sehen. Zudem wagen es
       Einzelne, bis dahin über Details des Mordprogramms noch wenig Informierte,
       die praktische Umsetzung der Morde angesichts ihres geplanten Umfangs
       anzuzweifeln, zeigen sich aber ob der Ausführungen von Heydrich und
       Eichmann darüber beruhigt, dass die vorgesehenen Methoden offenbar dem Ziel
       angemessen sind.
       
       Es bleibt nicht immer ganz einfach, dem Gebotenen zu folgen, weil es
       entsprechend der realen Vorlage schwierig ist, diese 15 Massenmörder
       voneinander zu unterscheiden und ihnen ihre jeweils richtigen Namen und
       Funktionen zuzuweisen, zumal ein Großteil der Teilnehmer dieser Versammlung
       der Öffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt geblieben ist. Aber
       vielleicht muss das so sein. Denn diese Sorte Täter war und ist in ihrem
       Handeln auswechselbar.
       
       23 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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