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       # taz.de -- Digitalisierung in Wahlprogrammen: Für einen Bundestag ohne Faxgerät
       
       > Sechs Parteien werden vermutlich in den Bundestag einziehen. Was steht in
       > ihren Wahlprogrammen zur Digitalisierung?
       
   IMG Bild: Die Bundestagsverwaltung möchte zur neuen Wahlperiode ihre 1.600 Faxgeräte abschaffen
       
       Es war im Juni 2013, als Bundeskanzlerin Angela Merkel [1][das Internet als
       „Neuland“ bezeichnete]. Acht Jahre später sind große Teile Deutschlands
       noch immer meilenweit vom Highspeedinternet entfernt, unsere Verwaltungen
       arbeiten weiterhin eher analog, und funktionierendes WLAN an Schulen ist
       Mangelware. Kurzum, bei der Digitalisierung hinkt Deutschland Jahre
       hinterher. Dabei ist die Digitalpolitik auch wahlentscheidend.
       
       In einer [2][Civey-Umfrage für die Nachrichtenwebsite Business Insider]
       gaben immerhin rund 40 Prozent der 18- bis 39-Jährigen an, dass die Themen
       Digitalisierung und Internetinfrastruktur darüber entscheiden, welcher
       Partei sie ihre Stimmen geben. Das wissen die Parteien: Man sieht es ihren
       Wahlprogrammen an.
       
       ## CDU/CSU
       
       Die Union will – anders als 2017 – nun doch ein eigenes
       [3][Bundesministerium für digitale Innovationen] und Transformation
       schaffen, um „effizient die digitalen und technologischen Herausforderungen
       zu bewältigen und damit die Modernisierung des Staates zentral koordiniert
       wird“. So sollen etwa Projekte wie der elektronische Personalausweis
       vorankommen. Das Ministerium soll es unterstützen, dass bis spätestens 2024
       beim Mobilfunk „alle weißen Flecken mit stationären oder mobilen Masten
       beseitigt sind“. Außerdem will die Union Schulen modernisieren und plant
       eine nationale Bildungsplattform.
       
       Wie genau diese dann aber aussehen soll, bleibt offen. Etwas präziser sind
       da schon die Pläne zur „Cyber-Quote“. Demnach soll das Bundesamt für
       Sicherheit in der Informationstechnik zu einer Zentralstelle für
       Informations- und Cybersicherheit ausgebaut werden und Deutschland zum
       „Weltmarktführer für sichere IT-Lösungen“ machen. Was sich durch das
       komplette Programm der Union zieht, ist der europäische Fokus auf die
       Digitalpolitik. Ziel ist eine „Digital- und Datenunion“ mit „hochklassiger
       digitaler Infrastruktur, europäischen Speicher- und Rechenkapazitäten
       und einem einheitlichen Datenschutzrecht“.
       
       ## SPD
       
       Die SPD konzentriert sich in ihrer Digitalpolitik auf die Bereiche
       Wirtschaft, Verwaltung und Bildung. „Deutschland soll 2030 über eine
       digitale Infrastruktur auf Weltniveau verfügen, über eine vollständig und
       durchgängig digitalisierte Verwaltung und ein Bildungssystem, in dem für
       das Leben in einer digitalen Welt gelernt werden kann“, schreibt die SPD.
       
       Die Versorgung aller Haushalte und Unternehmen mit einer Brandbreite von
       mindestens 1 Gbit/s, was gegenüber der bisher gängigen DSL-Verbindung eine
       enorme Verbesserung wäre, soll „durch konkrete, gesetzlich festgelegte
       Ausbau- und Versorgungsverpflichtungen“ ermöglicht werden. Für
       Bürger:innen mit geringem Einkommen genauso wie für Schüler:innen und
       Studierende will die SPD einen Sozialtarif für den Netzzugang schaffen.
       Schulen sollen „erstklassig“ ausgestattet, Lehrkräfte aus- und
       weitergebildet und mit digitalen Endgeräten versorgt werden. Das
       Lernmaterial soll online abrufbar sein.
       
       Auch im Datenschutz will die SPD nachjustieren: „Wir werden ein Datengesetz
       schaffen, das das Gemeinwohl in den Mittelpunkt rückt.“ Die öffentliche
       Verwaltung soll ausschließlich mit Open-Source- und Open-Data-Modellen,
       also mit einer Software mit offenem Quellcode, und unendlich frei
       zugänglichen Daten arbeiten und damit eine Vorbildfunktion einnehmen. Dabei
       betonen die Sozialdemokrat:innen, dass alle Verwaltungsleistungen von Bund,
       Ländern und Kommunen digital ohne Zusatzkosten und datenschutzkonform zur
       Verfügung stehen sollen.
       
       ## AfD
       
       Die AfD sieht in der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft eine
       „Chance für die Verbesserung des Lebens aller Bürger“. Sie möchte in erster
       Linie die „weißen Flecken“ entfernen und daher den flächendeckenden Ausbau
       des Glasfaser- und Mobilfunknetzes angehen. Dabei sollen vor allem
       regionale Strukturen gefördert werden. Die AfD nennt das „nationales
       Roaming“. Der 5G-Netzausbau kann potenziell ausgebaut werden, allerdings
       müsste das „im Hinblick auf gesundheitliche Risiken“ erst noch untersucht
       werden.
       
       Beim Thema Schule schlägt die Partei einen ganz anderen Weg ein: Zeitgemäße
       IT ja, aber nicht für die Grundschule. Die ersten vier Schuljahre sollen
       vorwiegend digitalfrei verlaufen, denn das sei „altersgerecht sinnvoll“,
       meint die AfD. Ansonsten will die AfD Vorhandenes abschaffen: Die
       Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) beispielsweise soll durch ein schlankes
       Datenschutzgesetz ersetzt werden.
       
       Außerdem will die Partei Uploadfilter verhindern, weil diese angeblich die
       „Meinungsfreiheit beschneiden und zu Zensur führen“. Und auch das
       Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) soll laut AfD bald der Vergangenheit
       angehören. Wenn es nach ihr geht, dürfen Plattformen in Zukunft nicht mehr
       eigenständig über die Rechtmäßigkeit von Inhalten in sozialen Medien
       entscheiden, sondern einzig und allein die Justiz.
       
       ## FDP
       
       Die Digitalpolitik spielt für die FDP eine Schlüsselrolle. Wenig
       überraschend kommt die Partei zu dem Schluss, dass die bisherige
       Digitalpolitik „unkoordiniert, ziellos und chaotisch“ gewesen sei. Teil der
       Lösung: ein Digitalministerium. Darüber hinaus soll der bundesweite Ausbau
       des 5G-Netzes schon bis 2025 abgeschlossen sein. „Unternehmen, die dem
       Einfluss autoritärer Regime unterliegen“, sollen nicht beauftragt werden –
       was sich auf den chinesischen Konzern Huawei beziehen dürfte, der in dem
       Zusammenhang immer wieder genannt wird.
       
       Ein weiteres zentrales Thema ist die Digitalisierung von Behördengängen.
       Sie sollen virtuell und barrierefrei möglich sein und zwar auf dem
       sogenannten Deutschlandportal. Hier sollen Bürger:innen außerdem auch
       alle personenbezogenen Daten einsehen können, die der Staat über sie
       gespeichert hat. Beim Thema Datenschutz setzen die Liberalen sich für ein
       Recht auf Verschlüsselung jeglicher Art elektronischer Kommunikation ein
       und lehnen den Einsatz von Überwachungssoftware prinzipiell ab, genauso wie
       Onlinedurchsuchungen und die Vorratsdatenspeicherung. Das
       Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) will die FDP abschaffen.
       
       ## Bündnis 90/Die Grünen
       
       Ganz prominent werben die Grünen mit dem Rechtsanspruch auf schnelles
       Internet. [4][Sie versprechen Glasfaserinternet in jedem Haus und den
       weiteren Ausbau des Mobilfunknetzes], um eine flächendeckende Versorgung
       sicherzustellen. Genauso soll es mit der Digitalisierung der Verwaltung
       vorangehen. Ziel ist der digitale, antraglose und proaktive Sozialstaat, in
       dem Leistungen des Staates automatisch bei den Berechtigten ankommen.
       
       Dafür nicht unerheblich: Die digitale Identität soll es allen
       Bürger:innen kostenfrei ermöglichen, sich digital auszuweisen und zu
       unterschreiben. Im Gesundheitssektor schlagen die Grünen eine App vor, in
       der alle Patient:innen sicher auf ihre Informationen wie ihren
       Impfausweis oder Blutwerte zugreifen können. Die elektronische
       Patientenakte soll so weiterentwickelt werden, dass sie für alle
       Patient:innen zugänglich und verständlich ist. Und auch in den Schulen
       soll die technische Infrastruktur ausgebaut werden.
       
       Tablets und Laptops sollen zu selbstverständlichen Lernmitteln werden. Der
       digitale Rundumschlag schließt mit dem Kapitel IT-Sicherheit. Hier wagen
       die Grünen nicht viel Neues: Sie wollen „Anreize für guten Datenschutz und
       beste IT-Sicherheit“ sowie „innovative, technische Ansätze“ zum
       effektiven Schutz der Privatsphäre ausbauen, heißt es dazu vage im
       Wahlprogramm.
       
       ## Die Linke
       
       Die Linke sieht die Digitalisierung eher kritisch. Zwar könne sie „Chancen
       eröffnen für ein selbstbestimmtes Arbeiten und Leben“ und für „neue Formen
       der Demokratie, die Alltag, Arbeit und Wirtschaft einschließen“, aber die
       Linke will die Digitalisierung „den Profitinteressen der Konzerne
       entziehen“. Internet soll zur Grundversorgung gehören. Die Kosten für den
       Anschluss und für die Endgeräte sollen in der Mindestsicherung
       berücksichtigt werden. Während der gesamten Schulzeit soll jedes Kind ein
       kostenloses Leihgerät bekommen.
       
       In den Fokus stellt die Partei die Digitalisierung aus ökologischer
       Perspektive. Beispielweise soll die Energie und Ressourcen
       verschwendende Erzeugung von Kryptowährungen wie Bitcoin verboten werden.
       Der Ausbau von Breitband- und Mobilfunknetzen soll in öffentlicher Hand
       liegen. Den Glasfaserausbau will die Linke mit zehn Milliarden Euro
       jährlich fördern. Uploadfilter oder Netzsperren lehnt die Partei ab.
       Außerdem sollen Videoüberwachung, automatisierte Gesichtserkennung,
       Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchungen verboten werden.
       
       ## Fazit
       
       Am Ende ähneln sich viele Pläne: Die Visionen sind groß, doch oft ohne
       konkrete Pläne. Die Parteien der Großen Koalition hätten fast alle ihrer
       nun wiederholten Forderungen schon in den vergangenen Jahren umsetzen
       können. Den Ausbau der Breitbandinfrastruktur und eine möglichst digitale
       Verwaltung wird man mit der Wahl aller Parteien außer der AfD in den
       kommenden vier Jahr dann hoffentlich auch wirklich erreichen. Die
       Bundestagsverwaltung möchte zur neuen Wahlperiode ihre 1.600 Faxgeräte
       final abschaffen. Damit wäre Deutschland schon einen Schritt weiter in der
       Digitalisierung.
       
       28 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tagesspiegel.de/politik/die-kanzlerin-und-das-internet-merkels-neuland-wird-zur-lachnummer-im-netz/8375974.html
   DIR [2] https://www.businessinsider.de/politik/deutschland/digitalisierung-rente-umweltschutz-die-junge-generation-hat-hohe-erwartungen-an-die-politik-traut-ihr-aber-wenig-zu-a/
   DIR [3] /Ministerium-fuer-Digitales/!5782589
   DIR [4] /Wahlprogramm-Buendnis-90/Die-Gruenen/!5763311
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malaika Rivuzumwami
       
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