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       # taz.de -- Diskriminierung behinderter Kinder: Kein gleiches Recht für alle
       
       > 31 Prozent der Hamburger Kinder mit Behinderung bekamen keinen Platz an
       > der Schule, die sie besuchen wollten. Nun übt der Schulsenator
       > Selbstkritik.
       
   IMG Bild: Beim Umgang mit behinderten Kindern braucht die Hamburger Schulbehörde Nachhilfe
       
       Hamburg taz | Eltern von Kindern mit Behinderung haben es in Hamburg
       schwerer als andere, für ihren Nachwuchs einen Schulplatz zu finden. 72 von
       234 Eltern erhielten für nächstes Schuljahr nicht den Platz an der
       Wunschschule für die erste oder fünfte Klasse. Das sind 31 Prozent, bezogen
       auf alle Eltern in Hamburg liegt diese Quote bei nur 5,5 Prozent. Ein
       Bündnis von über 30 Verbänden von DGB bis zum Kinderschutzbund hat deshalb
       gefordert: „Gleiches Recht auf Schulwahl“ für Eltern von Kindern mit
       Behinderung.
       
       Die Ursache für die vielen Ablehnungen sei eine Mischung aus
       „diskriminierenden Verordnungen“ und „rechtswidrigen Entscheidungen“, ohne
       richtig auf das einzelne Kind bezogene Gründe, berichtet Pit Katzer von der
       Initiative „Gute Inklusion“.
       
       Der Viertklässler Leo* zum Beispiel hat ein körperliches Handycap, kann nur
       kurze Strecken gehen. Aber mit seinem Therapierad kann er fahren, das tut
       seinen Muskeln gut. Die Eltern wollten ihn an einer Schule anmelden, die er
       mit Rad erreichen kann. Die Schulbehörde habe ihn „ohne Prüfung des
       Einzelfalls“ an eine entferntere Schwerpunktschule für Schüler mit Handycap
       verwiesen, von denen es rund 60 gibt.
       
       In einem anderen Fall wählten Eltern eines Mädchens mit geistiger
       Behinderung bewusst eine Schwerpunktschule aus, die Erfahrung in diesem
       Bereich und freie Plätze hat. Die Behörde lehnte ab und verwies auf die
       „nächstgelegene Schwerpunktschule“. So handelte die Behörde auch in einem
       dritten Fall, in dem die Eltern sogar versprachen, ihren Sohn zur Schule zu
       bringen und daher keine Schulweghilfe zu brauchen.
       
       Ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom August 2017 besagt
       ausdrücklich, dass die Behörde lange Schulwege und die befürchteten Kosten
       der Beförderung nur sehr begrenzt nutzen darf, um die Schulwünsche
       abzulehnen. Nämlich, wenn die Kosten unverhältnismäßig hoch seien. Nicht
       statthaft wäre dies Argument, wenn die Eltern auf Schulweghilfe verzichten.
       
       Im Nachgang dieses Urteils wurde im November 2017 eine Richtlinie
       verschärft. Nun durften diese Schwerpunktschulen nur noch zwei Kinder pro
       Klasse mit speziellem Förderbedarf im Bereich körperliche, geistige und
       motorische Entwicklung aufnehmen. Die übrigen zwei der jeweils vier Plätze
       pro Klasse sollen für Kinder mit Lern- und Sprachförderbedarf (LSE) sein.
       Auch diese Regel führt zur Häufung der Ablehnungen. Allerdings weigerte
       sich der Senat auf eine Anfrage der Linke, Zahlen zu nennen.
       
       Die Initiative „Gute Inklusion“ fordert nun zu diesem Thema eine Anhörung
       im Schulausschuss. Das von ihr initiierte Bündnis fordert eine „Stärkung
       des Schulwahlrechts“ für Eltern behinderter Kinder. So müssten Eltern ihr
       Kind auch auf eine allgemeine Schule schicken dürfen und eventuelle
       Ablehnungen müssten im Einzelfall begründet werden. Außerdem müssten
       Schwerpunktschulen Ablehnungen aufs Kind bezogen begründen und wieder vier
       Kinder pro Klasse aufnehmen dürfen. Der besagte OVG-Beschluss zu den
       Schulwegen müsse „konsequent umgesetzt“ werden.
       
       Schulsenator Ties Rabe (SPD) verkündete am Donnerstag über den NDR eine
       Kehrtwende. Zu den Problemen sei es gekommen, weil die Behörde zu sehr auf
       die Fahrkosten geachtet habe. Künftig dürften Eltern weiter entfernte
       Schulen wählen, das habe er angewiesen.
       
       Ältere Regeln insbesondere zur Schulweghilfe hätten zu dieser Lage geführt,
       erklärte Rabe der taz. Die Schulbehörde wolle Abhilfe schaffen. So habe man
       in den meisten Fällen, in denen Eltern Widerspruch eingelegt hatten, diesem
       auch stattgegeben, sodass die Kinder ihre Wunschschule besuchen können.
       
       Zudem dürfen laut Rabe die Eltern künftig nicht mehr nur eine, sondern drei
       nächstgelegene Schwerpunktschulen wählen. Auch werde die Behörde künftig
       den Wunsch der Eltern und die Bereitschaft der Schule, ein Kind
       aufzunehmen, „stärker gewichten“. Sprächen sich beide Seiten für eine
       Beschulung aus, sagt der Schulsenator, „ist dieser Wunsch in der Regel zu
       erfüllen“.
       
       *Name geändert
       
       14 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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